Geteilter Genuss

Wieso in Österreich die Renten viel höher sind als in Deutschland.

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 5 Min.

In Österreich sind Erwerbstätige besser als hierzulande davor geschützt, im Alter in finanzielle Not zu geraten. Die gesetzlichen Renten sind deutlich höher als in Deutschland. Wieso sind dort Altersbezüge möglich, die hier als unbezahlbar abgetan werden?

Vor einigen Jahren haben deutsche Sozialforscher darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Rentenversicherung in Österreich einen deutlich besseren Schutz im Alter bietet als in Deutschland. Seither rechnen Wissenschaftler immer wieder nach, ob das wirklich stimmt und kommen dabei im Detail zu unterschiedlichen Ergebnissen, im Grundsatz jedoch nicht: Der Unterschied ist enorm.

Der Sozialwissenschaftler Florian Blank hat »nd.DieWoche« neue Daten zu abhängig Beschäftigten zur Verfügung gestellt, die 2018 in Ruhestand gegangen sind. In Österreich erhielten diese Menschen demnach im Durchschnitt eine Altersrente von rund 1700 Euro brutto im Monat, in Deutschland waren es nur 1000 Euro. 70 Prozent mehr Geld, das ist beachtlich und bestätigt frühere Ergebnisse.

Betrachtet man alle Rentner und nicht nur die Neuzugänge, ist die Kluft nicht mehr ganz so groß. Hinzu kommt, dass in Österreich Menschen erst nach 15 Versicherungsjahren einen Rentenanspruch haben, in Deutschland schon nach fünf Jahren. Darum gibt es hierzulande viele Kleinstrenten. Selbst wenn man diese herausrechnet, bleibt nach einer Analyse von Fachleuten der Deutschen Rentenversicherung ein Unterschied von über 40 Prozent.

Dass Menschen in Österreich nach ihrer Erwerbstätigkeit so viel besser gestellt sind, dürfte etwas mit einer Besonderheit zu tun haben, die das politische Kräfteverhältnis beeinflusst und auf die der Rentenfachmann Rudolf Zwiener hinweist: Dort gibt es nicht nur gesetzlich verankerte Wirtschaftskammern für Unternehmen. Es gibt auch Arbeiterkammern mit dem gesetzlichen Auftrag, die Interessen der Beschäftigten zu vertreten. Als öffentliche Einrichtung nehmen sie - neben den Gewerkschaften - politisch gewollt Einfluss auf die Gesetzgebung.

Woher das Geld kommt

Die mathematische Erklärung für die höheren Renten, die in Österreich Pensionen heißen, ist einfach: Die Gesellschaft gewährt alten Menschen einen größeren Anteil am Wohlstand des Landes. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt fließt mehr öffentliches Geld in Renten und Pensionen. Die Rentenbeiträge liegen seit Jahrzehnten stabil bei 22,5 Prozent, davon entfallen 12,55 Prozent auf die Arbeitgeber. In Deutschland beträgt der Gesamtbeitrag nur 18,6 Prozent.

Ein paar Prozentpunkte mehr - das bedeutet erheblich mehr Geld für Menschen im Ruhestand. Wenn die Beiträge hierzulande etwa so hoch wären wie in Österreich, hätte die Deutsche Rentenversicherung jährlich rund 61 Milliarden Euro mehr zur Verfügung, erläutert ein Sprecher auf Anfrage. Zum Vergleich: Für die Grundrente werden im ersten Jahr gerade einmal 1,3 Milliarden veranschlagt.

Doch eine Abgabe auf österreichischem Niveau wird es vorerst nicht geben. Denn die Politik hat sich selbst Fesseln angelegt: Die Bundesregierung ist gesetzlich verpflichtet zu verhindern, dass der Beitrag in den nächsten Jahren über 20 Prozent steigt.

Höhere Sozialabgaben sind ein Problem - dieses Dogma ist inzwischen tief verankert und hat sich als wirksame Sozialstaatsbremse erwiesen. So hat die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2001 eine Begrenzung der Rentenbeiträge zum zentralen politischen Ziel erhoben. Gleichzeitig hat sie sich mit der Riester-Rente explizit von dem Ziel verabschiedet, dass die gesetzliche Rente den Lebensstandard von Beschäftigten sichern soll, die jahrzehntelang berufstätig waren. Dies, so lautet seither die Vorgabe, wird nur gelingen, wenn Beschäftigte zusätzlich privat vorsorgen.

Infolge dieser und weiterer Reformen ist das Rentenniveau stetig gesunken. Heute müssen junge Beschäftigte mit einem Durchschnittsverdienst und einer ununterbrochenen Berufstätigkeit damit rechnen, dass ihre Bruttorente gerade einmal bei 39 Prozent ihres Einkommens liegt. In Österreich liegen die Ansprüche bei knapp 77 Prozent. Das ergab eine Analyse der Industrieländerorganisation OECD vom vorigen Jahr.

In Österreich gilt weiterhin das gesetzlich verankerte Ziel, dass die Altersbezüge nach jahrzehntelanger Erwerbstätigkeit den Lebensstandard sichern sollen. Anläufe für massive Kürzungen und eine Teilprivatisierung gab es, sie scheiterten aber am Widerstand, auch der Gewerkschaften. Das gesetzliche Rentenalter liegt bei 65 Jahren, für ältere Frauen gilt noch die Rente mit 60.

Gleiche Regeln für Beamte

Einsparungen gab es indes schon, allerdings traf dies zuletzt vor allem eine Gruppe: die Beamten, deren Pensionen offiziell Ruhegenüsse genannt werden.

In Österreich sind fast alle Erwerbstätigen einschließlich der Selbstständigen seit Jahrzehnten verpflichtend in der gesetzlichen Rentenversicherung. Beamte und Beamtinnen haben zwar eine separate Altersvorsorge, diese wird jedoch schrittweise an die Rentenversicherung angepasst.

So gelten für Bundesbeamte, die ab 2005 in den Staatsdienst eingetreten sind, bereits die gleichen Grundregeln wie für andere Beschäftigte. Diese sogenannte Pensionsharmonisierung führt zu deutlichen Abschlägen im Vergleich zu früheren Pensionen. Der österreichische Rechnungshof hat bereits 2009 beispielhaft den Ruhegenuss für männliche Akademiker berechnet, die bis zum Rentenalter berufstätig sind. Demnach hat ein 1945 Geborener Anspruch auf eine Pension in Höhe von gut 75 Prozent seines letzten Gehalts. Bei einem 1995 Geborenen sind es hingegen weniger als 40 Prozent.

Die Gründe: Die Ruhegenüsse richten sich nicht mehr nach dem letzten, meist höchsten Gehalt, sondern wie bei allen anderen Beschäftigten nach dem Verdienst während der gesamten Berufstätigkeit. Auch für Beamte ist das Rentenalter auf 65 Jahre angehoben worden. Der Rechnungshof geht überdies davon aus, dass der Modell-Akademiker nicht auf 45 Dienstjahre kommt und darum Abschläge hinnehmen muss. Zudem gilt auch für Staatsbedienstete nunmehr eine Beitragsbemessungsgrenze. Dadurch werden die Rentenansprüche von Besserverdienenden gedeckelt. Trotz der Kürzungen kann der Modell-Akademiker mit überdurchschnittlichen Altersbezügen rechnen. Zur Orientierung: Der Rechnungshof kam bereits damals, bezogen auf das Lohnniveau von 2006, auf eine Pension von monatlich 2650 Euro.

Durch die Angleichung der Altersbezüge haben vor allem Beamtinnen und Beamte mit höheren Einkommen Einbußen, bilanziert Zwiener. In Deutschland wären die Kürzungen für Verbeamtete einschneidender, weil das Rentenniveau insgesamt niedriger ist.

Gleiche Regeln für alle: Das war in Österreich womöglich nur machbar, weil die Politik die gesetzliche Rente nicht derart beschnitten hat. Schließlich ist der Staat verpflichtet, für das Wohl von Beamten und Beamtinnen zu sorgen, auch nach Ende ihrer Erwerbstätigkeit. Gleiche Regeln für alle wären wohl auch in Deutschland eher durchsetzbar, wenn die Altersbezüge für alle auskömmlicher wären.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.