- Politik
- Wisag
Sparwut trifft Flughafenarbeiter
Wisag beantragt bei Gericht Schutzschirmverfahren für Tochterunternehmen - und erntet Widerspruch
Der Wisag Ground Service Tegel (WGST) droht die Abwicklung, rund 350 Menschen könnten ihren Job verlieren. Das Unternehmen, dessen Beschäftigte am Flughafen Tegel Flugzeuge be- und entladen oder einweisen, ist eine Tochter der Wisag. Nach nd-Informationen hatte die Geschäftsführung am vergangenen Freitag kurzfristig zur Belegschaftsversammlung eingeladen und darüber informiert, dass man das Insolvenzgericht angerufen habe.
Auf nd-Anfrage betonte eine Wisag-Sprecherin, dass das Unternehmen nicht Insolvenz beantragt habe. In den kommenden drei Monaten werde das Management versuchen, »ein neues Geschäftsmodell für die WGST zu entwickeln mit dem Ziel, für einen Teil der Belegschaft eine Perspektive zu schaffen«. Hintergrund ist, dass die Wisag, einst der größte Bodendienstleister an den Berliner Flughäfen in Tegel und Schönefeld, in den letzten Wochen massiv Aufträge verloren hat.
Bei der Belegschaftsversammlung ließ die Geschäftsführung wissen, dass sie ein Schutzschirmverfahren beantragt habe, eine besondere Form des Insolvenzverfahrens, bei dem das Unternehmen noch nicht zahlungsunfähig ist. Es entscheidet dabei selbst, wer zum Sachwalter bestimmt wird. Am Ende des maximal dreimonatigen Verfahrens legt dieser einen Insolvenzplan vor, über den das Gericht entscheidet: Entweder geht es weiter oder es beginnt das reguläre Insolvenzverfahren mit einem vom Gericht bestimmten Insolvenzverwalter.
Man habe »Ansätze entwickelt, die die Fortführung des Geschäfts ermöglichen und Perspektiven für die Zukunft aufzeigen. Hierfür sind zum Teil harte Einschnitte notwendig«, heißt es in einem Schreiben der Geschäftsführung an die Beschäftigten.
Dass der Flugverkehr in den letzten Monaten nahezu brach lag, hat den Bodendienstleistern und den Flughafenbetreibern hart zugesetzt. Das Aufkommen in Berlin liegt derzeit bei 20 bis 25 Prozent des vorpandemischen Niveaus zitierte die »Berliner Zeitung« vergangene Woche aus einem Mitarbeiterbrief der Flughafengesellschaft.
Die Beschäftigten der WGST waren zum größten Teil schon bei der im Jahr 2008 privatisierten und von der Wisag gekauften Globeground beschäftigt. Das Unternehmen erbrachte noch 2012 rund 80 Prozent der Bodendienstleistungen mit rund 1500 Beschäftigten. Heute sind es noch rund 350, die in Tegel stationiert sind. »Das sind alles ausgebildete Flugzeugabfertiger mit bis zu 30 Jahren Betriebszugehörigkeit«, sagt Enrico Rümker, der zuständige Verdi-Sekretär.
Im Jahr 2015 wurden schon einmal massiv Stellen abgebaut und den langjährig Beschäftigten 3500 Euro Abfindung zugesprochen. Auf das Geld warten sie teilweise bis heute. Zuletzt hatte Verdi im Jahr 2018 mit der Wisag unter anderem tarifvertraglich Abfindungsansprüche für diejenigen geregelt, die beim Umzug von Tegel an den neuen Flughafen BER ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Bis zu 15 Monatsgehälter sollten gezahlt werden, teilte Verdi am Samstag mit: »Die jetzt erklärte Insolvenz führt dazu, dass die Abfindungen auf maximal zweieinhalb Monatsgehälter nach Insolvenzordnung gedeckelt sind.« Für Enrico Rümker liegt die Vermutung nahe, dass die »Coronakrise und die absehbare Schließung von Tegel dazu benutzt werden, Kosten zu sparen und die teureren, aber am besten qualifizierten Altbeschäftigten billig loszuwerden.«
Neben neuen Unsicherheiten für die betroffenen Kolleg*innen - nach nd-Informationen war bei der Belegschaftsversammlung am Freitag noch unklar, ob die Juli-Löhne gezahlt werden - kommt nun auch die Debatte um einen kommunalen Bodendienstleister wieder auf. So fordern die SPD-Abgeordneten Lars Düsterhöft und Jörg Stroedter die Gründung eines kommunalen Unternehmens an den Flughäfen und kritisieren die Wisag scharf. »Das Unternehmen zeigt jetzt in der Krise, dass es einmal mehr zu Lasten seiner Beschäftigen agiert«, sagt Jörg Stroedter zu »nd«. Die Privatisierungen kommunaler Unternehmen seit der Jahrtausendwende sieht er als Fehler. Man habe gesehen, dass dadurch »für die Bürger*innen nichts billiger wird. Und nun kaufen wir die Unternehmen für viel mehr Geld zurück, als wir damals dafür bekommen haben«. Das gelte auch am Flughafen. Im September will Stroedter einen Antrag auf Rekommunalisierung ins Abgeordnetenhaus einbringen. »Einerseits müssen wir jetzt mit Verdi und anderen politischen Akteuren ins Gespräch kommen und Verbündete finden. Andererseits ist ein Parlamentsbeschluss ein starkes Zeichen, dass der politische Wille da ist.«
Die Probleme sind hausgemacht. Immer wieder kam es in den vergangenen zehn Jahren zu Kämpfen an den Berliner Flughäfen. Lohndumping, der Einsatz von Leiharbeit, der Kampf um einen Tarifvertrag, schlechte Arbeitsbedingungen, die Liste der Gründe ist lang. »Hätte die Flughafengesellschaft nicht an Wisag verkauft, wäre den Beschäftigten vieles erspart geblieben«, sagt Enrico Rümker. Für ihn ist der Auftragsverlust der Wisag neben der Coronakrise auch auf einen Qualitätsverlust zurückzuführen. Ausgebildete Beschäftigte seien durch ungelernte ersetzt worden, zudem wurden die Ladegruppen verkleinert. Für die Berliner Bodendienstleister gilt ein Flächentarifvertrag, und danach verdienen Ungelernte deutlich weniger als ausgebildete Flugzeugabfertiger.
Die Sparwut schlage nun auf die Wisag zurück: Durch die kleineren Teams dauere es manchmal länger, bis ein Flieger wieder in die Luft kommt. »Und wenn du morgens schon beim ersten Turnaround eine Verspätung hast, nimmst du die über den ganzen Tag mit«, sagt Rümker. Der letzte Flug des Tages könnte auszufallen - und Flugzeuge, die nicht fliegen, generieren keinen Profit, sondern Kosten.
»Wenn weniger Personalbedarf da ist, dann ist das so«, sagt der Gewerkschafter, aber bei einem nötigen Stellenabbau »müssen sich die Arbeitgeber an die Regeln halten«. Damit meint Enrico Rümker die 2018 vereinbarten Abfindungsregelungen. Verdi teilt überdies die Forderung nach einem neuen kommunalen Anbieter für Bodendienstleistungen. »Wenn ein Flughafen die Bodenabfertigung abgibt, verliert er die Kontrolle über das Herzstück seines Geschäfts«, sagt er. Seite 9
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.