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Tod in Spielzeuggestalt
»Bömbchen« und Landminen - die Länder Südostasiens leiden bis heute unter den Folgen des Krieges der USA vor 50 Jahren
Das Wechselgeld hat sie zwischen Zeigefinger und Mittelfinger geklemmt. Das Ticket steckt zwischen Mittelfinger und Ringfinger. Die Verkäuferin am Ticketschalter des Cambodian Landmine Museum bei Siem Reap muss sich zu helfen wissen, denn sie muss mit ihrer linken Hand auskommen, die rechte steht nicht mehr zur Verfügung. Bei einer Explosion wurde ihr der komplette Unterarm abgerissen. Ein Unglück, das in Kambodscha und Laos immer wieder vorkommt.
Sprengsätze lauern im Boden
Nach Angaben des Landmine & Cluster Munition Monitors - eine Initiative mehrerer Nichtregierungsorganisationen - umfasste die mit Sprengsätzen kontaminierte Landfläche Kambodschas im Jahr 2013 immer noch eine Fläche von 1915 Quadratkilomtern. Nach 25 Jahren Minenräumarbeiten. Ein Großteil stammt von den Bombardierungen durch die USA im Vietnamkrieg. Obwohl Kambodscha und Laos keine Kriegsparteien waren, haben beide bis heute an den Kriegsfolgen zu tragen. Die US-amerikanische Luftwaffe flog Angriffe in den Grenzgebieten von Vietnam, Laos und Kambodscha, um dort vermutete Versorgungslinien zu treffen. Bei diesen Luftangriffen, die über die ganze Zeit des Krieges von 1964 bis 1973 andauerten, setzten die USA Clusterbomben ein.
Dies sind Behälter, die in der Luft detonierten und Hunderte von Streubomben in der Größe von Tennisbällen, genannt Bombies, zu Boden regnen ließen. Für Kambodscha schätzt die Initiative Monitor die Zahl der abgeworfenen »Bömbchen« auf 26 Millionen. 1,9 Millionen bis 5,8 Millionen davon explodierten nicht. Nach Angaben der laotischen Behörden wurden gegen Laos in in den neun Jahren des Krieges 270 Millionen Bombies eingesetzt, von denen 80 Millionen nicht detonierten. Das Ausmaß der heutigen Kontaminierung ist nach wie vor nicht bekannt, sicher ist jedoch, dass 14 der 17 laotischen Provinzen betroffen sind.
In beiden Ländern liegen demnach noch zahlreiche funktionsfähige Sprengsätze im Boden. Sie werden immer wieder von Kindern aufgehoben, weil sie wie Spielzeuge aussehen, oder werden von Bauern bei der Feldarbeit ausgelöst. Das Ergebnis: abgerissene Gliedmaßen, lebensbedrohliche Verletzungen und Todesfälle. Im Jahr 2017 verzeichnete Monitor in Kambodscha 58 durch Landminen und Bombies verursachte Unfälle, wovon 48 tödlich endeten. In Laos gab es in jenem Jahr 41 Unfälle mit 37 Verletzten und vier Toten.
In Kambodscha kommt mit Landminen ein weiterer Risikofaktor hinzu. Diese stammen aus der Zeit der Schreckensherrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1998. Am Ende wurden sie gegen die vietnamesischen Truppen eingesetzt, die in das Land einmarschiert waren - auch um wenigstens durch den Abtransport von Verletzten die vietnamesischen Truppenbewegungen zu verlangsamen. Es konnte den Sturz des Regimes nicht aufhalten. Zuvor waren die Minen auch in den Grenzgebieten eingesetzt worden, um die eigene Bevölkerung an der Flucht in die Nachbarländer zu hindern. Bis heute gehen von den Minen beträchtliche Gefahren aus.
Nach Angaben der belgischen Nichtregierungsorganisation APOPO, die in Südostasien, aber auch in Ländern wie Angola, Kolumbien und Zimbabwe Sprengsätze mit Hilfe von Ratten aufspürt, ist Kambodscha mit 40 000 Fällen das Land mit der höchsten Pro-Kopf-Rate von Amputierten weltweit. Im April 2015 wurden in Kambodscha erstmals Ratten zur Minensuche eingesetzt.
Ratten bei der Minensuche? Ein leises Klicken ertönt. Für P-Derr das Signal, das es jetzt eine Belohnung gibt. Er hebt die Nase vom Boden und flitzt in schnellen Sprüngen zu seinem Trainer. Das Stück Banane, das ihm gereicht wird, grapscht er mit beiden Vorderpfoten und beginnt zu kauen. P-Derr hat seinen Job gut gemacht, denn er hat gerade ein Menschenleben gerettet. Zumindest könnte es sein. P-Derr ist keine gewöhnliche Ratte, sondern eine von sechs afrikanischen Riesenhamsterratten, die vom APOPO Projekt in Siem Reap dafür eingesetzt werden, im Boden verborgene Sprengsätze zu erschnuppern.
»Trainiert werden die Riesenhamsterratten in Tansania, wobei es zwischen neun und zwölf Monaten dauern kann, bis die Ausbildung eines Tieres abgeschlossen ist«, erklärt Michael Heimann, Programmmanager bei APOPO Kambodscha. Die Ratten werden von Tansania nach Kambodscha gebracht, wenn sie etwa ein Jahr alt sind, und durchlaufen vor Ort nochmals ein sechswöchiges Akklimatisierungsprogramm.
Ratten - besser als Metalldetektoren
Mit Metalldetektor ist die Minensuche eine langwierige Arbeit, weil die Geräte auch bei anderen Metallteilen anschlagen. Außerdem besteht ein Restrisiko für die Menschen, die die Detektoren bedienen. Deswegen setzt das APOPO Center die Riesenhamsterratten ein. Die Tiere werden auf den Geruch des Sprengstoffs konditioniert. Die Spezialisierung spart Zeit. Die Ratten, die bis zu zwei Kilogramm schwer werden, sind immer noch leicht genug, die Granaten in der Erde nicht auszulösen. »Unsere Tiere arbeiten drei bis vier Stunden am Tag und auch nur am Morgen, wenn es noch nicht zu heiß ist«, erklärt Michael Heiman. Allerdings gleiche die Arbeitsgeschwindigkeit der Tiere den Zeitverlust durch die geringe Zahl der Einsatzstunden wieder aus.
Der Programmmanager betont die Schwierigkeiten der Minensuche: »Für Sprengsätze gibt es keine Einheitslösung. Jeder Sprengsatz ist anders, und so variieren auch das Gefahrenlevel und die Entschärfungsmöglichkeiten. Deswegen arbeiten wir sowohl mit manuellen, mechanischen und tierischen Minensuchsystemen, um die größtmögliche Effizienz und Sicherheit zu erreichen.« So kann es auch passieren, dass das Räumungsteam auf einen Typ Sprengsatz stößt, mit dem es vorher noch nie zu tun hatte.
Wie real die Gefahr durch unentdeckte Sprengsätze immer noch ist, wird spätestens im COPE Center in Laos Hauptstadt Vientiane klar. Auf dem Gelände des Rehabilitationszentrums schiebt Pflegepersonal in weißen Uniformen Patienten in Rollstühlen aus der heißen Mittagssonne in den Schatten. Treppen gibt es keine, nur Rampen. Vor dem Eingang des COPE Centers steht eine verrostete Kunstfigur, gebaut aus dem Metall von Sprengkörpern.
Seit 1996 stellt die Organisation Prothesen für Menschen her, die bei Minenunglücken verletzt wurden und bietet Physiotherapie an, um den Patienten anschließend ein möglichst eigenständiges Leben zu ermöglichen. Für Besucher gibt es eine Ausstellung, die die verschiedenen Arten explosiver Materialien und Munition erklärt, Prothesen zeigt und über das Ausmaß der Bombardierungen durch die USA-Luftwaffe in der Zeit des Krieges informiert. Von der Decke hängen Bombies an Bindfäden. Filme zeigen Interviews mit Menschen, die die Bombardierungen miterlebt haben. Dabei wird auch das Ausmaß der Luftangriffe klar. Nach Angaben von COPE flog die US-amerikanische Luftwaffe 580 000 Bombeneinsätze gegen Laos. Das entspricht für einen Zeitraum von neun Jahren einem Intervall von acht Minuten ohne Pause. »Die Bomben fielen wie Regen«, erinnert sich einer der Zeitzeugen in einem Film von COPE.
»Eben die Zeitzeugen sind wichtig. Wenn sie sterben, verlieren wir ihre Erfahrungen«, sagt Julien Kempeneers, Spezialist der französischen NGO Humanity & Inclusion in Vientiane. Außerdem zeige sich in den ländlichen Provinzen von Laos verstärkt der demografische Druck. Durch das Bevölkerungswachstum dehnen Farmer ihr Ackerland aus und stoßen dabei immer wieder auf Sprengsätze. Momentan gebe es 15 bis 40 Unfälle pro Jahr.
Wahrscheinlich niemals minenfrei
Die Zahl ist hoch, aber deutlich niedriger als etwa in den 70er Jahren. »Hier zeigen sich die positiven Effekte der Erfahrungswerte der Menschen, die mit der Kontaminierung leben, aber auch der Informationsveranstaltungen in den Dörfern und Schulen,« sagt Kempeneers. Trotzdem ist für den Spezialisten klar, dass Laos wahrscheinlich niemals minenfrei sein wird. »Deshalb müssen wir Prioritäten setzen, indem wir uns auf jene Gebiete konzentrieren, die am stärksten betroffen sind.« Ebenso sei es derzeit Ziel, Regionen zu identifizieren, in denen die Clusterbomben abgeworfen wurden. »Wenn man einen Bombie findet, sind da sicher mehr.«
Aktuell arbeitet die Organisation in Laos daran, die verschiedenen Aspekte rund um Minen zu verbinden, so etwa Erhebungen, Räumungen, Informationen in den betroffenen Regionen sowie Unterstützung der Opfer und deren Familien. »Der Staatsbesuch von Präsident Obama im Jahr 2014, verbunden mit dem Versprechen von 90 Millionen US-Dollar Finanzhilfen, war ein großer Schritt nach vorne, auch für Vietnam und Kambodscha«, erklärt Kempeneers. Präsident Donald Trump hat übrigens mittlerweile das Landminenverbot seines Amtsvorgängers wieder rückgängig gemacht. Nach Angaben des Pentagon sind die neuen Modelle für Menschen angeblich weniger gefährlich.
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