Ernst schasst seinen zweiten Verteidiger

Richter entpflichtet auf Antrag Anwalt von mutmaßlichem Lübcke-Mörder

  • Johanna Treblin, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Er versuchte es noch einmal. Frank Hannig, Verteidiger von Stephan Ernst, der im Juni 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet haben soll, redete am Dienstagmorgen auf seinen Mandanten ein. Er nutzt die Chance, dass der zweite Verteidiger, Mustafa Kaplan, noch nicht angekommen war, und er Zeit mit Ernst für sich hatte. Hannig holte eine »Bild« aus seiner Tasche und breitete sie vor Ernst aus. Dann klappte er seinen Laptop auf und schien Ernst etwas darauf zu zeigen. Er hielt den Laptop so vor sein Gesicht, dass seine Mundbewegung nicht zu erkennen waren. Deutlich war dennoch: Er versuchte zu retten, was noch zu retten war. Und scheiterte. Ernst nahm seinen Antrag vom Montag, ihn zu entpflichten, nicht zurück. Als dann der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel die Verhandlung eröffnete, verkündete er als erstes, dass er dem Antrag stattgegeben hatte. Hannig musste gehen.

Noch während Hannig seine Sachen packte, beeilte sich Kaplan zu Protokoll zu geben, dass er Hannig nicht nur dieses, sondern alle Mandate entziehe.

Am Tag zuvor war es zum Zerwürfnis zwischen Hannig auf der einen Seite und Ernst und Kaplan auf der anderen gekommen. Hannig, der Ernst seit einem guten Jahr vertreten hatte, trug fünf Anträge vor. Auf Nachfrage des Richters gab er an, diese nicht mit seinem Mandanten abgesprochen zu haben. Richter Sagebiel wandte sich daraufhin an Ernst und sagte, er sei besorgt, dass Ernst nicht ordentlich vertreten werde. Sagebiel begründete das mit der fehlenden Absprache, aber auch mit dem Inhalt der Anträge. Diese trügen nichts zur Sache bei und hätten daher keine Aussicht auf Erfolg.

Hannig hatte einerseits einen Einbruch ins Regierungspräsidium Kassel kurz vor dem Mord an Walter Lübcke mit der Arbeit von dessen Söhnen in Verbindung gebracht. Beide führen zusammen eine Photovoltaikfirma. Bei dem Einbruch könnten Akten über diese Firma gestohlen worden sein, meinte Hannig. Er vermute hier ein mögliches Motiv für den Mord an Lübcke.

Kaplan intervenierte, Hannig wolle den Söhnen Lübckes krumme Machenschaften nachsagen. Ernst liege es fern, den Toten oder seine Angehörigen mit Dreck zu bewerfen. Im Namen von Ernst distanzierte er sich von den Anträgen. Kaplan warf Hannig zudem vor, keine Verteidigungsstrategie zu haben außer »Youtube-Videos hochzuladen«. Hannig hatte bisher nach jedem Prozesstag einen Videokommentar eingesprochen und auf seinem Kanal veröffentlicht.

Hannigs übrige Anträge drehten sich um mögliche Mittäter. Der Richter fragte erbost, ob er auf ein rechtsterroristisches Netzwerk hinauswolle. Am Dienstag erklärte der Richter, ein solches sei nicht Teil der Anklage. Falls es ein solches geben sollte, wolle man dieses natürlich aufdecken. Sagebiel nahm dies jedoch als weitere Begründung, warum er Hannig entbinde: Der Verteidiger könne damit seinem Angeklagten schaden.

Schaden würde es Ernst deshalb, weil der Terror-Paragraph 129a greifen würde, sollte sich herausstellen, dass der mutmaßliche Lübcke-Mörder im Rahmen eines Netzwerks agiert habe.

Im Rahmen einer Erklärung zu den bisherigen Vernehmungsvideos von Ernst erklärte Nebenklageanwalt Björn Elberling – in Vertretung von Rechtsanwalt Alexander Hoffmann die Angaben von Ernst zu möglichen Mittätern für unzureichend. Im ersten Geständnis habe er möglichst glaubhafte Erklärungen für seine Tat abgegeben, um davon abzulenken, dass er gerade keine Angaben zu seinen Kameraden machte. Auch die weiteren Vernehmungsvideos seien vor allem vor dem Hintergrund interessant, welche Informationen – auch über mögliche Mittäter und -wisser – er nicht preisgab.

Auch ohne Hannig will die Verteidigung von Ernst an seiner Aussage vor Gericht festhalten. Weil nun aber »wertvolle Zeit« verloren gegangen sei, könne der 30. Juli nicht eingehalten werden. Die Einlassung von Ernst soll am 5. August erfolgen. Der Verhandlungstermin 30. Juli wurde gestrichen, weiter geht es dann am 5. August um 10 Uhr. Dann voraussichtlich mit Ernsts neuem Verteidiger Jörg Hardies, Kanzleikollege von Mustafa Kaplan.

Alle Texte zum Thema Walter Lübcke: dasnd.de/luebcke

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -