Die Welt der Kolportage
Maria Lazars »Leben verboten!«
Berlin 1931. Eine überdrehte und überhitzte Großstadt, Arbeitslosigkeit und Vergnügungssucht. Hektik und Nervosität. Überall die angespannt-fiebrige Atmosphäre. Dahinein versetzt die österreichische Autorin Maria Lazar (1895-1948) den Protagonisten ihres zur selben Zeit entstandenen, damals aber lediglich 1934 in einer englischen Übersetzung erschienenen Romans. Es handelt sich um eine »reichlich vertrackte und genial erfundene Geschichte«, wie Herausgeber Johann Sonnleitner im Nachwort bemerkt, ein Wiener Literaturwissenschaftler, dem vor allem die Wiederentdeckung der Autorin zu danken ist. Eine Geschichte voller Zufälle, die schließlich mit unerbittlicher Notwendigkeit in der Katastrophe endet.
Der Berliner Unternehmer Ufermann möchte in schwierigen Geschäftsangelegenheiten nach Frankfurt fliegen, doch nimmt er die Maschine dann doch nicht (die auch noch abstürzt), weil ihm zuvor Pass, Geld und Papiere gestohlen worden sind. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als Ufermann, in dem das Gefühl aufkeimt, endlich eine nötige Auszeit verdient zu haben, nicht etwa wieder nach Berlin zu Frau, Geschäftspartner Paul und - natürlich - Geliebter zurückkehrt, sondern einer dubiosen Zufallsbekanntschaft vertraut, die ihm rät, mit gefälschten Papieren und im Auftrag einer kleinen Gruppe eine Kassette nach Wien zu transportieren, in der sich, wie sich sehr viel später herausstellt, Falschgeld befindet.
Ufermann kommt bei einer verarmten großbürgerlichen Wiener Familie unter und verpasst immer wieder die Gelegenheit, die Situation aufzuklären und nach Hause zurückzukehren. Bis es schließlich zu spät ist. Er reist einige Monate darauf nach Berlin, wo ihn die Familie und sein Geschäftspartner verleugnen, der den vermeintlichen Flugzeugabsturz genutzt, der schwerreichen Witwe ein Kind gemacht und sich so Familie und Erbe unter den Nagel gerissen hat. Statt Licht in die verfahrene Situation zu bringen, verheddert sich Ufermann noch weiter, versucht in Wien Aufklärung zu betreiben und wird schließlich, ein weiteres Pseudonym benutzend, bei einem Attentat auf einen Zug in Ungarn umgebracht.
Lazars Roman ist ebenso rasant erzählt, wie sich der durchaus reißerische Plot ausnimmt. Strikt im Präsens gehalten, verquickt sie ein persönliches Schicksal mit den Zeitereignissen, womit ihr Text in die Nähe von Kolleginnen und Kollegen wie Vicki Baum, Gina Kaus, Hermynia zur Mühlen oder Erich Kästner rückt. Interessant ist, dass Maria Lazar, deren nunmehr dritter Titel beim Wiener Kleinverlag Das Vergessene Buch erscheinen kann, auf subtile Weise dem Erzähltext seine Poetik eingeschrieben hat. Denn in Gestalt des promovierten Juristen und Krimi-Liebhabers Frey, den Ufermann in Wien kennenlernt, tritt nicht nur eine Figur auf, die Gesellschaftskritik und politische Weitsicht artikuliert, sondern deren geflügeltes Wort zu passenden Gelegenheiten der Hinweis auf die enge Verbindung von Wirklichkeit und Kolportage ist: »Die Welt der Kolportage (…) ist gar nicht gar so weit entfernt von jeder Wirklichkeit« Das gilt für beides; ebenso wie die Realität Züge des Kolportagehaften - also, literarisch betrachtet, des Liebes-, Abenteuer- und Kriminalromans - trägt, vermag dann genau dieser Typus von Genreliteratur, was Interpreten von Ernst Bloch bis zu Dieter Wellershoff immer wieder bemerkt haben, kritische Einblicke in und Aufklärung über die Realität und jeweiligen sozialen Verhältnisse zu vermitteln.
Nicht zuletzt diese Fähigkeit hat Lazar in einer Reihe von Erzähltexten, im Roman-Erstling »Die Vergiftung« wie dem Zeitroman »Die Eingeborenen von Maria Hilf«, aber auch in einer Vielzahl von Feuilletonbeiträgen bewiesen, die bis 1933 in Deutschland und Österreich erschienen. Eine Autorin, die den Zeitgeist und die Atmosphäre der 20er und 30er Jahre, »Tendenzen und Latenzen« (Ernst Bloch), ja auch die komplizierte Diskursgemengelage sinnlich-plastisch erfahrbar macht und nun wiederentdeckt werden kann.
Maria Lazar: »Leben verboten!«, Das Vergessene Buch, 380 S., geb., 26 €.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.