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Passiv bleiben wäre falsch

Bildungsministerin startet Internetkampagne gegen Zunahme von Kindeswohlgefährdung

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ich höre dir zu«, sagt Henryk Wichmann in die Kamera. Der durch den preisgekrönten Dokumentarfilm »Herr Wichmann von der CDU« von Regisseur Andreas Dresen bekannt gewordene Politiker meint damit: »Wende dich an uns, wenn du Hilfe brauchst.« Wichmann, der zwei Legislaturperioden lang als Abgeordneter im Landtag saß, arbeitet mittlerweile als Sozialdezernent in der Kreisverwaltung Uckermark. Mit seinem Video beteiligt er sich, ebenso wie andere im Jugendschutz tätige Menschen, an der Kinderschutzkampagne »wirhoerendirzu!«, die Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) am Dienstag eröffnete.

Aus der Zusammenarbeit von 18 Jugendämtern entstanden, sollen auf einer Webseite »Kindern und Jugendlichen sowie deren Umfeld Unterstützungswege aufgezeigt werden«, erklärte Britta Ernst. Hans Leitner, der die Fachstelle Kinderschutz im Land Brandenburg leitet unterstrich die Wichtigkeit der Initiative unter den besonderen Bedingungen der Corona-Pandemie. Es sei nicht einfach, an Jugendliche heranzukommen und mit ihnen im Gespräch zu bleiben. Deshalb sei für den Internetauftritt die bei jungen Leuten beliebte Grundfarbe Schwarz gewählt worden. Die Ansprache könne auch das Thema Fußball betreffen, so Leitner. Neben der Verbreitung in den sozialen Medien stellt das Jugendministerium Geld für Plakate, Flyer und Broschüren zur Verfügung, die in Beratungsstellen, Ämtern und Schulen auf den Kindesschutz aufmerksam machen sollen.

Er spreche als Innenminister, aber auch als Vorsitzender des inzwischen 20 Jahre alten Landespräventionsrates, sagte Michael Stübgen (CDU) zum Start des Angebots. Er bezeichnete es als Selbstverständlichkeit, dass sich sein Haus an den 18 500 Euro Gesamtkosten beteilige. »Ich hoffe sehr, dass die Kampagne ihr Ziel erreicht und mit dazu beiträgt, das mehr Kinder und Jugendliche ohne Angst und Gewalt in Brandenburg aufwachsen.«

Derzeit sei keine Zunahme beim einschlägigen Anzeigeverhalten erkennbar, fügte Bildungsministerin Ernst hinzu. Doch davon solle man sich nicht täuschen lassen. Denn weil Kindergärten und Schulen geschlossen haben, »funktionierten die Alarmketten nicht wie sonst«. Es gehe nicht um das Aussprechen eines Kardinalverdachts gegen Familien, sondern um die Erhöhung der Sensibilität des Umfelds und dessen Bereitschaft, gegebenenfalls aktiv zu werden, betonte Britta Ernst. Weil die Coronakrise die Aggressionsschwelle in der Gesellschaft gesenkt habe, sei die Initiative auch ein Versuch, Nachbarn und Verwandte zu sensibilisieren. Bei einem Verdacht nichts zu tun, wäre die falsche Reaktion.

Im Jahr 2018 wurde in Brandenburg - zumeist nach Anzeigen - in rund 6000 Fällen ein amtliches Verfahren zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung eingeleitet. Diese Zahl erhöhte sich 2019 auf etwa 6860 und damit um 14 Prozent. 294 Kinder und Jugendliche sind 2019 von sich aus gekommen, haben ihren Fall also selbst angezeigt. Im Jahr 2018 wurden im Bundesland 2049 Kinder aus ihren Familien heraus in Obhut genommen. Ein Jahr später waren es 1846.

Die Gründe für eine Inobhutnahme können vielfältig sein. Fachleute weisen darauf hin, dass es sich nicht immer um die Gefährdung des Kindeswohls handeln müsse. Beispielsweise werde auch die Inobhutnahme minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge mitgezählt. Für die Corona-Monate liegen keine Zahlen vor. In knapp der Hälfte der für das Vorjahr genannten Verfahren, das heißt in rund 2500 Fällen, wurde jedoch in der Tat eine Kindeswohlgefährdung festgestellt. Bei den übrigen Fällen lag keine Gefährdung vor, gleichwohl wurde aber oft ein Hilfebedarf ermittelt.

Auf Nachfrage räumte Fachstellenchef Leitner ein, dass das neue Internetangebot sich objektiv an Kinder und Jugendliche wende, die zwölf Jahre oder älter seien, weil man dafür notgedrungen lesen können und über die erforderliche Technik verfügen müsse.

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