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Weltwirtschaft nimmt wieder Fahrt auf

Frühindikator zeigt kräftige Zunahme der globalen Handelsaktivitäten - gegen einen Boom spricht aber vieles

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Hamburger Hafen freut man sich über das am 1. August in Kraft getretene Freihandelsabkommen mit Vietnam. Zölle auf 99 Prozent aller mit dem südostasiatischen Land gehandelten Waren werden mit der Zeit abgeschafft. »Der Handel, der in den vergangenen Jahren bereits zugenommen hat, dürfte hiervon weiter profitieren«, erwartet ein Sprecher des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg Marketing.

Deutschlands größten Seehafen verbinden fünf Liniendienste mit dem aufstrebenden Schwellenland. In der Hansestadt kommen überwiegend Maschinen und Ausrüstung, darunter auch elektronische Erzeugnisse, an. 2019 war mit 106 000 Standardcontainern eine neue Rekordmenge bewegt worden, eine Steigerung von 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. So soll es nach Corona weitergehen. Mehrere Milliarden Dollar will die Regierung in Hanoi in ihre Hafeninfrastruktur investieren. Seit kurzem spürt der Vietnam-Handel auch wieder Rückenwind. Die Transitzeiten liegen je nach Hafen, Verkehrsrichtung und Rotation zwischen 28 und 35 Tagen.

Solche langen Vorlaufzeiten machen den Seeverkehr zum idealen Frühindikator für den globalen Handel und damit für die künftige Entwicklung der Weltwirtschaft. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) und das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik in Bremen ermitteln regelmäßig einen Index, in den Daten aus 91 internationalen Häfen eingehen, die rund zwei Drittel des weltweiten Containerumschlags abdecken. Nach der Corona-Flaute zeigt der Index nun wieder nach oben. In der aktuellen Schnellschätzung mit Angaben für den Monat Juni ist er von 107,7 auf 111,5 Punkte gestiegen (2015 = 100). Der Index liegt damit nur noch um 5 Punkte unter dem Allzeithoch aus dem Vorjahr.

Treiber der positiven Entwicklung sind vor allem die chinesischen Häfen, deren Umschlag bereits ein Allzeithoch erreicht hat. Dies ist eine Folge des überraschend deutlichen Anstiegs des Bruttoinlandsproduktes im zweiten Quartal. Die Wirtschaft der globalen Konjunkturlokomotive wuchs um 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahrsquartal. Wie die Impulse aus Vietnam dürfte dieser Rückenwind auch Europas Wirtschaft im August und September beflügeln.

Für überschäumenden Optimismus sieht RWI-Konjunkturchef Torsten Schmidt jedoch keinen Grund. Die Entwicklung des Containerumschlags deute zwar eine Stabilisierung des Welthandels an, »aber die Unterschiede zwischen den Regionen bleiben groß«.

Das hat viel mit Corona sowie der Abhängigkeit einzelner Branchen von Im- und Exporten zu tun. So hat fast die Hälfte der deutschen Wirtschaft nur geringe oder gar keine Einbußen durch den Lockdown zu verzeichnen. Den pauschalen Wunsch, Abhängigkeiten in den Lieferketten zu reduzieren, hält Gabriel Felbermayr, Chef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, für »gefährlich«. Bei den heftig diskutierten Medizinprodukten sei Deutschland kaum abhängig von Lieferungen. Es sei eher umgekehrt: »Deutschland ist weltweit einer der wichtigsten Nettoexporteure von Medizinprodukten.«

Ähnlich sieht es in den exportstarken Branchen Automobil und Maschinenbau aus. Sie bezogen zuletzt gerade mal 29 beziehungsweise 37 Prozent ihrer Vorleistungen aus dem Ausland. In der Chemieindustrie sind es laut der Forschungsdatenbank World Input-Output (WIOD) dagegen 52, in der Textilindustrie sogar 76 Prozent.

Das europäische, das asiatische und das amerikanische Handelsnetz haben eine Eigenschaft gemein: Sie bestehen jeweils aus drei Ebenen. Die drei Netzwerke haben mit Deutschland, China und den USA ein Zen-trum. Es folgt jeweils eine Ländergruppe, die enge Beziehungen sowohl zum Zentrum als auch untereinander unterhält. Dies ergab eine Analyse der Deutschen Bank, in der 90 Länder erfasst wurden. In Europa pflegt demnach Deutschland relativ enge Handelsbeziehungen zu etwa der Hälfte der Staaten. In Asien gehören neben Vietnam auch Hongkong, Indien, Japan, Korea, Singapur, Thailand und auch Australien zur zweiten Ebene. In Amerika sind Mexiko, Kanada und teils Brasilien in der zweiten Ländergruppe rund um die USA. Hinzu kommt die dritte, größte Gruppe, die für den Handel unbedeutend ist.

Wenn kontinentale Lieferketten tatsächlich, wie viele Experten erwarten, im Gefolge der Coronakrise an Bedeutung gewinnen, dürften auch die Handelsbeziehungen zwischen der ersten und zweiten Gruppe noch wichtiger werden. »Insbesondere die Handelsbeziehungen zwischen asiatischen und amerikanischen Ländern«, so die Deutsche Bank, »könnten bei einer grundlegenden Umgestaltung der globalen Wertschöpfungsketten auf den Prüfstand kommen.« Die gewaltige Entfernung zwischen den Kontinenten spielt dann eine Rolle, wenn die CO2-Emissionen weltweit ernsthaft verringert werden sollen. Auch die Konflikte zwischen den USA und China ließen darauf schließen, dass der Handel zwischen Nordamerika und Asien die Obergrenze erreicht habe. Im Hamburger Hafen stellte man sich übrigens schon vor Corona auf eine Zukunft ohne rasantes Wachstum des Handelsumschlages ein.

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