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Aufgeschobenes Gedenken
Erinnerungsort für die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges 1939-1945 lässt auf sich warten
Jüngst erinnerte man in Polen an den Warschauer Aufstand gegen die deutschen Okkupanten vor 76 Jahren. Am Samstag läuteten landesweit Kirchenglocken im Gedenken an die Opfer. Sirenen heulten. Am 1. August 1944 hatte sich die Polnische Heimat- und die kleinere Volksarmee gegen die faschistische Besatzungsmacht erhoben. Nach 63 Tagen war der Warschauer Aufstand niedergeschlagen. Etwa 200 000 polnische Soldaten und Zivilisten kamen ums Leben, eine halbe Million wurden anschließend in Lager oder zur Zwangsarbeit verschleppt. Weite Teile der polnischen Hauptstadt wurden dem Erdboden gleichgemacht.
Auch die deutsche Botschaft in Warschau hatte die Flaggen auf Halbmast gesetzt - als Symbol für die »tiefe Trauer und Schande über die grausamen Verbrechen der deutschen Besatzer im Kampf gegen die Warschauer«. In Deutschland selbst war das Thema auch in diesem Jahr nicht allzu präsent. Dabei heißt es im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD von 2018: »Bisher weniger beachtete Opfergruppen des Nationalsozialismus wollen wir anerkennen und ihre Geschichte aufarbeiten. Wir stärken in der Hauptstadt das Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten im Dialog mit den osteuropäischen Nachbarn.«
Trotz zahlreicher und zum Teil seit vielen Jahren vorliegender Vorschläge und Initiativen habe die Bundesregierung bis heute keinerlei Planung vorgelegt, wie der selbst formulierte Anspruch umgesetzt werden soll, monierte Jan Korte. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagslinksfraktion fragte nach und erhielt von der zuständigen Staatsministerin im Kanzleramt, Monika Grütters (CDU), Auskunft. Deren Inhalt ist bestenfalls hinhaltend. Man unterstütze bereits viele Projekte, Ausstellungen und Gedenkstätten, habe mit vielen Regierungen gesprochen, setze im Sinne des Koalitionsvertrages zusätzliche Akzente, zeige also, dass das Erinnern an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen »ein Kernanliegen der Bundesregierung« ist. Bezogen auf erfragte »Errichtung eines national bedeutsamen Gedenkortes« habe es sich bewährt, »dass der Bundestag über ein solches Vorhaben debattiert und entscheidet«. Grütters verschiebt offensichtlich die Verantwortung, wenn sie betont, dass bislang noch keine Beschlussfassung des Parlaments erfolgt sei.
Es ist jedoch nicht nur der Bundesregierung anzukreiden, dass das Projekt eines Erinnerungs- und Dokumentationsortes nicht vorankommt. Darauf deutet Korte hin, wenn er fragt, ob die Bundesregierung die Gefahr einer möglichen »Opferkonkurrenz« sehe, »wenn die Erinnerung an den Gesamtzusammenhang des deutschen Vernichtungskrieges in Osteuropa in einzelne nationale Erinnerungsorte aufgesplittet wird«? Obwohl diplomatisch formuliert, bestätigt die Antwort, dass diese Gefahr real ist. Man bestätigt unter anderem einen Brief des ukrainischen Botschafters vom 8. Mai dieses Jahres an Kanzlerin Angela Merkel (CDU). In dem setzt sich Andrii Melnyk für ein Denkmal und ein Dokumentationszentrum für die »acht Millionen Einwohner der Ukraine« ein, die Opfer des Nationalsozialismus geworden sind.
Auch von anderer Seite werden Forderungen erhoben. Die Regierung teilt mit, dass seit Beginn der öffentlichen Debatte um ein sogenanntes »Polen-Denkmal« offizielle Vertreter von Belarus wiederholt den Anspruch angemeldet haben, dass für den Fall der Errichtung eines sogenannten »Polen-Denkmals« auch der belarussischen Opfer des Zweiten Weltkrieges mit einem eigenen Denkmal in der Bundesrepublik gedacht werden sollte.
Korte begrüßte gegenüber »nd« die in der Antwort erkennbare Position der Bundesregierung, »wonach die Erinnerung an einzelne nationale Opfergruppen nur im gesamthistorischen Kontext erfolgen sollte«. Seine Fraktion habe bereits im Oktober 2018 einen entsprechenden Antrag für einen Gedenkort, der alle Opfer des NS-Vernichtungskrieges einbezieht, vorgelegt.
Der Linksfraktions-Geschäftsführer verwies auch auf »einen vernünftigen Kompromissvorschlag«, den die Stiftung Denkmal und das Deutsche Polen Institut erarbeitet haben, und verlangt, dass die Regierungskoalition endlich aktiv wird. »Es reicht einfach nicht aus, sich in Sonntagsreden und auf geduldigem Papier in der Verantwortung zu sehen, die Erinnerung an alle Opfer des Nationalsozialismus wachzuhalten, dann aber Verantwortungs-Pingpong zu spielen«, so Korte.
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