Angst vor zweitem Lockdown

Corona-Seelsorgetelefon soll den Hauptstädtern in kommender Zeit helfen

  • Claudia Krieg und Jordi Ziour
  • Lesedauer: 4 Min.

Viele Anrufer*innen stünden sehr unter Druck, berichtet Ulrike Feldhoff. »Es sind vorwiegend Leute, die Existenzängste haben, wie ein DJ, der überhaupt nicht mehr wusste, wie es weitergeht«, erzählt Feldhoff am Montagmittag dem »nd«. Sie ist seit Mitte März bei der Corona-Telefon-Seelsorge der Kirchen der Hauptstadt beschäftigt und Sprecherin der dort tätigen Ehrenamtlichen

»Oder da sind die Menschen, die im Homeoffice sind und die sagen, dass sie es nicht mehr aushalten, allein zu Hause ohne Kollegen, mit ihrer Familie um sich herum, weil sie dort nicht strukturiert arbeiten können«, sagt die Seelsorgerin. Vielen Menschen in der Hauptstadt, die bei ihr anrufen, gehe es so. Für sie ist mit den zahlreichen Lockerungen in der Öffentlichkeit das Krisengefühl der Corona-Pandemie nicht vorbei.

Mit einer berlinweiten Plakatkampagne werben die Kirchen in der Hauptstadt deshalb für ihr kostenloses Corona-Seelsorgetelefon. Es ist ein anonymes Angebot zum Ortstarif in Berlin. »Diese Krise zeigt so deutlich wie lange nicht, was Menschen in Not dringend benötigen: das offene Ohr eines anderen, der ruhig zuhört, der Hoffnung, Stärke und Trost gibt«, sagt der evangelische Bischof Christian Stäblein am Montag bei der Präsentation eines Kampagnenplakates an einer Bushaltestelle vor der Marienkirche unweit des Alexanderplatzes.

Man habe in den letzten Monaten gemerkt, wie die Anfragen gestiegen seien. »Es waren Gespräche, die oftmals eine sachliche Eingangsfrage hatten und dann lange dauerten, oftmals bis zu einer halben Stunde, und dann auch in die Tiefe gingen«, berichtet der Kirchenvertreter. Das Thema Corona sei nicht nur ein sachliches Thema, »nicht nur ein wirtschaftliches, finanzielles«. Es betreffe viele Menschen in ihrer ganzen Seele, in ihrer ganzen Unsicherheit, so der Bischof weiter. Weil keiner wisse, wie lange die Coronakrise noch andauern wird, fühlten sich viele Menschen allein gelassen.

»In einer Zeit, in der das Thema Corona sehr laut auf den Straßen hier in Berlin ist - etwa durch die Verschwörungstheoretiker, oder die, die sich sagen, wir lassen uns das Feiern nicht verbieten -, sind solche stillen Angebote, wo es um das Verstehen geht, um das Wort, um das Zuhören, so unendlich wichtig«, betont Stäblein.

Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz hat das Corona-Sorgentelefon gemeinsam mit dem Erzbistum Berlin, dem Diakonischem Werk und der Caritas ins Leben gerufen. Die Senatsverwaltung für Gesundheit unterstützt das Angebot (wie auch die Medi-Helpline für medizinisches Personal und Pflegende) bis zum Jahresende mit 65 000 Euro. Die im März gestartete Hotline hat den Angaben zufolge bis Ende Juli schon fast 1500 Anrufe registriert.

Derzeit teilen sich rund 70 ausgebildete Mitarbeiter*innen die täglichen Schichten von 8 bis 24 Uhr, wie Diakonie-Direktorin Barbara Eschen sagt. Die durchschnittliche Gesprächsdauer betrug bislang 24 Minuten. Aktuell sinke die Zahl der Anrufenden, dafür nehme die Länge der Gespräche deutlich zu. Die Zahlen zeigen, »dass wir mit unserem Angebot für Beratung und Seelsorge auf dem richtigen Weg sind« ergänzt der katholische Erzbischof Heiner Koch.

Viele Anrufer*innen hätten Angst vor einem zweiten Lockdown, kämpften mit Existenznot, Einsamkeit und Suizidgedanken, hieß es weiter. Je länger die Coronakrise dauere, desto dramatischer würden Sorgen und Ängste der Menschen.

»Bei älteren Leute ist es vor allem Einsamkeit«, meint Ulrike Feldhoff. Die Tatsache, keine Freunde zu treffen, sich nicht einfach in den Zug setzen zu können, mache vielen schwer zu schaffen», sagt die Beraterin. Schwierigkeiten habe sie vor allem mit Anrufer*innen, die meinen, hinter der Coronakrise stecke eine Verschwörung: «Das sind dann Menschen, die anrufen, die sagen: Amerika hat China beauftragt, den Virus freizulassen», gibt Feldhoff ein Beispiel. Sie versuche, dann deutlich zu machen, dass sie anderer Meinung sei, und herauszufinden, um was es den Menschen eigentlich gehe. Viele, glaubt sie, riefen auch einfach an, «weil sie sich beschweren über die Leute, die keine Maske aufsetzen in den öffentlichen Verkehrsmitteln» - und die sich deshalb unsicher fühlten.

Das Angebot richtet sich vor allem an Menschen in Notsituationen und ihre Angehörigen, an Menschen, die zu Risikogruppen gehören, Menschen in Quarantäne oder einer anderen coronabedingten Isolation sowie an Menschen, die ihre berufliche Existenz gefährdet sehen oder die sich anderweitig Sorgen machen, heißt es auf der dazugehörigen Webseite. Dort finden sich auch eine Auswahl an Anlauf- und Beratungsstellen sowie Übungen, die helfen sollen, den Alltag in der Coronakrise zu meistern. Zudem brauche es Zeit, um das Erlebte der letzten Wochen und Monate für sich zu verarbeiten. Hier werden Vorschläge unterbreitet, wie das mit einfachen Mitteln gelingen kann.

Unterstützt wird die Kampagne durch die Wall AG. Unter anderem werden bis auf Weiteres 1500 Plakate an BVG-Haltestellen für die Hotline werben. Außerdem verteilt der Sponsor Dinamix Media 24 000 Postkarten in Restaurants und Kneipen.

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