Nicht groß genug für Kleinigkeiten

Bayer Leverkusen kann auch in der Europa League nicht über sich hinauswachsen und unterliegt Inter Mailand

  • Daniel Theweleit, Düsseldorf
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Bilder, die Worte, das Gefühl, es ist eine Art Dauerschleife, in der Bayer Leverkusen während dieser Sommerwochen gefangen ist. »Ich glaube, da war mehr drin«, sagte Peter Bosz nach der 1:2-Niederlage in einem intensiven Viertelfinalduell in der Europa League gegen Inter Mailand. Ganz ähnlich hatte der Trainer schon nach der knapp verpassten Qualifikation zur Champions League am Ende der Bundesligasaison und nach dem verlorenen Pokalendspiel gegen den FC Bayern München geklungen. Wieder hatten sie sich Hoffnungen auf den Titel gemacht, wieder hatten sie ganz ordentlich gespielt, wieder waren sie einfach nicht gut genug. Aus einer Saison der Verheißungen ist ein Sommer der Enttäuschungen geworden, »das Herz ist da, eine Entwicklung ist da. Was wir vergessen haben ist: uns zu belohnen«, sagte Kapitän Lars Bender.

Als Ertrag bleiben immerhin die kleinen Dinge, auch wenn die ein ziemlich schwacher Trost sind. »Man sammelt sehr viel Erfahrung in solchen Spielen«, sagte Jonathan Tah, der nur spielte, weil sich Sven Bender, der international erfahrenste Akteur der Werkself, beim Aufwärmen verletzt hatte. Der an diesem Abend starke Torhüter Lukas Hradecky sprach von »Kleinigkeiten«, die den Unterschied ausgemacht hätten, »und die waren heute auf Inters Seite«.

Aber am Ende dieser Leverkusener Fußballsaison steht eine bittere Erkenntnis: in allen Wettbewerben gab es Gegner, die einfach besser waren: Mönchengladbach im Kampf um die Champions-League-Teilnahme, die Bayern im DFB-Pokal und nun Inter Mailand. Das ist eine schmerzliche Erkenntnis, die sich, wie schon in den anderen Wettbewerben, auch in der Europa League sehr direkt auf die Mannschaftsteile und auf die Einzelspieler herunterbrechen lässt.

Im Sturm der Lombarden war der großartige Romelu Lukaku unterwegs, der das erste Tor vorbereitete und das zweite selbst schoss. Fast immer, wenn der Belgier an den Ball kam, gelangen ihm kluge Dinge. Vor dem anderen Tor versuchte Kevin Volland für Gefahr zu sorgen, war aber völlig chancenlos gegen die ebenso robusten wie abgeklärten Verteidiger der Italiener. Besondere Fußballabende sind eben auch Gelegenheiten für große Spieler, ihre Kunst zu zeigen. Auf dieser Ebene war Mailand einfach besser. »Es war ein schönes Inter, das wir uns anschauen konnten«, sagte Trainer Antonio Conte.

Daran änderte sich auch nichts, als sich die Leverkusener nach zwei frühen Gegentreffern steigerten. »In der zweiten Halbzeit habe ich wirklich geglaubt, dass da noch mehr drin war«, sagte Bosz, aber dazu wäre gegen diesen starken Gegner neben einer ordentlichen Mannschaftsleistung irgendetwas Besonderes nötig gewesen. Ein überraschender Moment, ein Geistesblitz, ein Geniestreich von Volland, von Moussa Diaby, von Kerem Demirbay oder Kai Havertz. Rund um den Strafraum fehlte den Aktionen der Leverkusener Klarheit und Durchsetzungskraft. Havertz, der designierte Weltstar, schoss zwar das Leverkusener Tor, blieb ansonsten aber meist blass. »Am Ende waren da zu wenig Torchancen«, konstatierte Bosz.

Vielleicht war die Debatte über Havertz‘ möglicherweise bevorstehenden Wechsel zum FC Chelsea doch eine Last, das deutete jedenfalls die Reaktion des Trainers auf die Frage nach der Zukunft des Nationalspielers an, die spät am Abend erneut gestellt wurde. Ob dies das letzte Spiel des 21 Jahre alten Angreifers für Bayer Leverkusen gewesen sei, wollte jemand wissen, woraufhin Bosz mit sehr ernster Miene antwortete: »Ja, ich kann euch mitteilen, dass Kai Havertz nächstes Jahr bei Herakles Almelo spielt.« Das war natürlich ein Scherz, hinter dem aber sichtbar wurde, wie sehr der Niederländer von den niemals endenden Diskussionen um seinen Star genervt ist.

Für Bayer geht damit eine Saison zu Ende, die noch im Juni das Potenzial für unvergessliche Großtaten barg und nun mit dem Gefühl tiefer Enttäuschung abgeschlossen wird. Aber Bosz wehrte sich intensiv gegen eine allzu harsche Kritik an der historisch gewachsenen Leverkusener Neigung, in den entscheidenden Momenten zu versagen: »Es ist zu einfach, zu sagen: Wir haben nichts gewonnen. Denn ich schaue als Trainer auf die Entwicklung meiner Mannschaft, und wir haben eine Entwicklung gemacht.« Aber eine zentrale Fähigkeit fehlt Bayer Leverkusen schon sehr lange: Sie schaffen es nicht, in den größten Spielen über sich hinaus zu wachsen. In Originalgröße sind sie nämlich einfach etwas zu klein für einen Gegner wie Inter Mailand.

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