Umstrittener Polizeieinsatz kommt erneut vor Gericht
Beamte töteten den Geflüchteten Matiullah Jabarkhil angeblich in Notwehr - Verfahren wird nach Beschwerde wieder aufgenommen
Matiullah Jabarkhil wird erneut ein Fall für die Justiz. Der Geflüchtete aus Afghanistan war Mitte April 2018 im osthessischen Fulda in der Nähe einer Bäckerei von einem Polizisten erschossen worden (»nd« berichtete). Zuvor hatte er den Auslieferungsfahrer der Bäckereifiliale und eine zum Tatort entsandte Polizeistreife mit einem faustgroßen Stein angegriffen und dabei den Fahrer sowie einen Beamten verletzt.
Später entfernte er sich vom Tatort, mehrere Polizisten verfolgten ihn, einem Beamten entwendete er dabei einen Teleskopstock. Die Fuldaer Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen den Schützen bereits im Mai letzten Jahres ein. Sie bescheinigte ihm, in Notwehr gehandelt zu haben.
Gegen die Entscheidung hatte der Bruder von Matiullah Jabarkhil Beschwerde eingelegt, dieser wurde nun auch stattgegeben. Migrantische Organisationen wie das Afghan Refugees Movement und die antirassistische Organisation »Welcome In Fulda e.V.« begrüßten die Wiederaufnahme des Verfahrens.
»Welcome In Fulda« hatte jüngst in einer Stellungnahme kritisiert, dass in den vergangenen beiden Jahren die Justiz gegen Antirassist*innen vorgegangen sei, die die offizielle Sicht, wonach die tödlichen Schüsse auf Matiullah Jabarkhil aus Notwehr erfolgt seien, infrage stellten. So wird beispielsweise gegen den an der Fuldaer Fachhochschule lehrenden Sozialwissenschaftler Philipp Weidemann ermittelt, weil dieser während einer Gedenkdemonstration in Fulda zum ersten Todestag Jabarkhils »verleumderische« Parolen gerufen haben soll. Weidemann bestreitet die Vorwürfe. Am 20. August soll sein Fall vor dem Fuldaer Amtsgericht verhandelt werden.
Auf Dezember verschoben wurden hingegen die Prozesse gegen Darius Reinhardt und Leila Robel. Beide hatten sich in einem Artikel auf der antifaschistischen Plattform »Belltower-News« mit dem tödlichen Polizeieinsatz in Fulda befasst.
Auch gegen die beiden Autor*innen wird nun wegen Verdachts der Beleidigung, der üblen Nachrede und der Verleumdung ermittelt, nachdem der Fuldaer Polizeipräsident Günther Voss Anzeige erstattet hatte. Den Journalist*innen wurde eine ungenaue Formulierung vorgeworfen. Im ursprünglichen Text schrieben sie von »zwölf tödlichen Schüssen«. Von den insgesamt zwölf abgegebenen Schüssen trafen allerdings nur vier den Körper von Matiullah. Zwei waren letztlich tödlich. Aus Sicht der Polizei in Osthessen ist die von Reinhardt und Robel benutzte Formulierung geeignet, die betroffenen Polizeibeamten »verächtlich« zu machen.
Wegen der im Text verwendeten Worte bestehe der Verdacht, dass ein strafrechtlich relevanter Tatbestand verwirklicht wurde, so die Polizei Osthessen gegenüber »Belltower-News«. Wenn von »zwölf tödlichen Kugeln« die Rede sei, werde der Eindruck einer Hinrichtung vermittelt, erklärte die Sicherheitsbehörde.
Die Medienschaffenden verwehren sich gegen die Vorwürfe. »Unser Beitrag zielte darauf ab, die rassistischen Zuschreibungen und Diffamierungen durch Politiker*innen und Journalist*innen nach dem Gedenken letztes Jahr zu kritisieren und den institutionellen Rassismus in deutschen Behörden sowie die Verstrickungen auch der Fuldaer Polizei in den hessischen Polizeiskandal zu benennen«, erklärten die beiden Autor*innen gegenüber Medien. Es sei ihnen nie darum gegangen, einzelne Beamte zu beschuldigen.
Mit der Verschiebung ihres Prozesses reagiert die Polizei offenbar auf die Neuauflage des Verfahrens gegen den Polizeischützen, der auch aus rechten und konservativen Kreisen unterstützt wird.
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