Italien ergreift wieder schärfere Corona-Maßnahmen

Behörden verfügen Schließung von Discos und Ausweitung der Maskenpflicht. Einen neuen Lockdown könnte das Land kaum verkraften

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit einem Dekret des Ministerrats hat Italien die sofortige Schließung aller Diskotheken verfügt. Der Grund dafür, so Gesundheitsminister Roberto Speranza von der linken »Liberi e uguali« (Frei und gleich, Leu), seien die steigenden Zahlen besonders jugendlicher Corona-Infizierter. Mit Besorgnis beobachte man diesen Trend, der sich auch im übrigen Europa zeige. »Wir können es uns nicht leisten, die Anstrengungen der vergangenen Wochen und Monate aufs Spiel zu setzen«, so der Minister. Das Gesundheitsministerium hält diese Maßnahme vor allem deshalb für erforderlich, da sich bei den Besuchern von Diskotheken und anderen Tanzveranstaltungen Infektions- und Kontaktketten kaum verfolgen lassen.

Außerdem wurde eine generelle Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen zwischen 18 Uhr und 6 Uhr morgens eingeführt; in den Zeiten also, wo die Italiener sich gern zum abendlichen Plausch, der »Movida«, auf Straßen und Plätzen vor den Bars einfinden. Die Regierung erklärte, dass ein regionales Abweichen von dieser Linie nicht geduldet wird. Die Regelung gilt zunächst bis zum 7. September.

Arbeitsminister Stefano Patuanelli von der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) betonte, dass man die Sorgen der Disko- und Lokalbetreiber verstehe. Doch angesichts der vorliegenden Daten gebe es für die Behörden keine andere Wahl. Die Regierung werde für die Gastronomie weitere wirtschaftliche Hilfen bereitstellen, um der Branche das Überleben zu ermöglichen. Allerdings zeigt die Praxis, dass Unterstützung häufig nur scheibchenweise und mit großen Verzögerungen an ihre Zielgruppen gelangt. Bereits vor Corona litt das Land ja unter einer immensen Bürokratie. Viele, die bereits im April Hilfsgelder beantragt hatten, müssen auch im August weiter auf deren Auszahlung warten. Für etliche Unternehmen hat dies bereits das wirtschaftliche Aus bedeutet.

Der Verband der italienischen Tanzlokal-Betreiber SILB protestiert heftig gegen Roms neues Infektionsschutz-Dekret. Sein Vorsitzender Maurizio Pasca meint, die Diskotheken müssten als »grandioser Sündenbock« herhalten. »Wir fühlen uns nicht für die steigenden Infektionszahlen verantwortlich«, unterstrich Pasca. Man werde ja sehen, ob die Zahlen tatsächlich stagnieren, wenn das Veranstaltungsverbot in Kraft getreten ist, hinterfragte er den Sinn der Maßnahme.

Für Verbandschef Pasca sind die Diskotheken Orte des Zusammenkommens wie andere auch, wo bereits geltende Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten sind. Den auf die Branche zukommenden Schaden beziffert er auf etwa vier Milliarden Euro. SILB erwägt nun eine Klage gegen das neue Dekret vor einem Verwaltungsgericht.

Für Gesundheitsminister Speranza hat jedoch absolute Priorität, dass ein weiteres Ansteigen der Infektionszahlen verhindert wird. Die Bemühungen der Behörden richten sich jetzt vor allem darauf, eine Wiederaufnahme des Lehrbetriebs an Schulen und Universitäten im Herbst abzusichern. Großes Augenmerk richtet man auch auf die Infektionszahlen unter denjenigen, die aus einem Auslandsurlaub nach Italien zurückkehren. Einen neuen kompletten Lockdown kann sich Italien nach Einschätzung des Ministers angesichts der Wirtschaftslage nicht leisten.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.