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Panik nach Polizeikessel in Tunnel
Sanitäter berichten von 116 verletzten Antifaschisten bei Einsatz in Ingelheim
Es ist ein verstörendes Video, das im Internet kursiert: »Lasst uns hier raus«, rufen rund 200 aneinandergedrängte Antifaschisten in einem Bahnhofstunnel in Ingelheim nahe Mainz am Samstag. Sie waren in die rheinland-pfälzische Stadt gekommen, um gegen einen Aufmarsch der extrem rechten Kleinstpartei »Die Rechte« zu protestieren. Bereits kurz nach der gemeinsamen Ankunft fingen Beamte die Aktivisten jedoch ab und drängten sie in die Unterführung, in der sie nun feststecken. Viele heben ihre Arme als Zeichen der Friedfertigkeit hoch. Sie können sich kaum bewegen, beide Ausgänge sind von Polizisten versperrt. Das Bitten nützt jedoch nichts. Die Stimmung kocht hoch, die Beamten beginnen, auf die eingepferchte Menge von mindestens einer Seite einzuschlagen und Pfefferspray einzusetzen. Die Menschen schreien, einige rufen nach Hilfe. Es herrscht sichtbare Panik in dem Tunnel.
Das Resultat: Die Sanitätsgruppe Süd-West musste nach eigenen Angaben 116 Verletzte versorgen. »Bemerkenswert ist die hohe Zahl von Panikattacken«, schrieben die Mediziner in einer Stellungnahme. Der »enger werdende Raum« und »die Brutalität« der Polizeimaßnahmen haben zu Traumatisierungen geführt, die von einem Team für Psychosoziale Notfallversorgung behandelt werden mussten. Nach Angaben der Gruppe »Gutmenschliche Aktion Mainz« waren wohl auch Polizisten verletzt worden, die sich in der eingepferchten Gruppe aufhielten.
Laut Bericht der Sanitäter wurden die Antifaschisten nach der Kesselung zu einer nahe gelegenen Kundgebung gebracht und dort »den ganzen Nachmittag über geschlossen festgesetzt«. Auch hier habe die Polizei mehrfach Pfefferspray und Schlagstock gegen Versammlungsteilnehmer eingesetzt. Dazu hätten Beamte eine Verletztenablage des Sanitätsdienstes überrannt, medizinisches Material durch die Gegend getreten und Sanitätskräfte mit dem Schlagstock bedroht.
Aus Sicht der Polizei war es am Bahnhof lediglich zu »Auseinandersetzungen« gekommen, als Gegendemonstranten »versuchten, zu dem Aufstellort der Rechten zu gelangen«. Die Polizei setzte dabei »kurzzeitig auch Schlagstock und Pfefferspray ein«. Später habe man die Gegendemonstranten zu ihrer Kundgebung gebracht, doch auch hier hätten Personen versucht, Polizeiabsperrungen »zu durchbrechen oder zu umlaufen«. Es habe erneut den Einsatz von »Schlagstock und Pfefferspray« gegeben, vier Beamte seien insgesamt leicht verletzt worden.
Auch aus der Politik gab es derweil Kritik an dem Vorgehen der Sicherheitskräfte. »Der Polizeieinsatz gegen Antifaschisten in Ingelheim war vollkommen überzogen«, sagte Katrin Werner, Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete der Linkspartei aus Rheinland-Pfalz. Die Landesregierung sei in der Pflicht, schnelle und umfassende Aufklärung zu leisten. »Wir brauchen die Möglichkeit unabhängiger Ermittlungen bei Polizeigewalt«, fügte Werner hinzu. Pia Schellhammer, Abgeordnete der rheinland-pfälzischen Grünen, hatte sich in einem Schreiben an Innenminister Roger Lewentz (SPD) gewandt und ebenfalls Aufklärung gefordert.
Ingelheim hatte erst versucht, den Aufmarsch der Neonazis zu verbieten, das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz genehmigte die Demonstration jedoch unter Auflagen. Nach Polizeiangaben waren 24 Rechte dem Aufruf gefolgt. Mehrere Hundert Gegendemonstranten stellten sich ihnen entgegen.
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