Einst Aushängeschild, jetzt Sorgenkind

So manch ein großer deutscher Konzern befindet sich in der Krise - nicht nur wegen Corona

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Vom Aufschwung profitieren fast alle Firmen. Doch im Abschwung kann eine gewaltige Kluft zwischen Verlierern und Gewinnern aufreißen. So geschieht es auch in der Coronakrise: Einigen Gewinnern stehen Verlierer gegenüber, die bis vor kurzem noch als Aushängeschilder der deutschen Wirtschaft galten. Daimler etwa vermeldete für das zweite Quartal einen Verlust von rund zwei Milliarden Euro. »Aufgrund der beispiellosen Covid-19-Pandemie mussten wir ein herausforderndes Quartal durchstehen«, bekannte Daimler-Boss Ola Källenius. Die Nachfrage nach Pkw, Lkw und Bussen war eingebrochen, der Absatz ging um 34 Prozent auf 541 800 Pkw und Nutzfahrzeuge zurück. Ähnlich erging es anderen Autokonzernen und Zulieferern wie Schaeffler oder Continental.

Dagegen hat der Rekordverlust des Chemiemultis Bayer wenig mit der Coronakrise zu tun. Nach 400 Millionen Euro Gewinn im Vorjahreszeitraum schlägt für das zweite Quartal ein Verlust von 9,5 Milliarden Euro zu Buche. Dies erklärt sich aus Rückstellungen und Anwaltskosten für den kürzlich erzielten Vergleich im Streit um den Unkrautvernichter Glyphosat in den Vereinigten Staaten. Erst vor zwei Jahren hatte Bayer den Glyphosat-Erfinder Monsanto für über 60 Milliarden Euro geschluckt.

Juristische Auseinandersetzungen in den USA belasten auch anderen Konzerne. Mit einer Zahlung von fast 3,6 Milliarden Euro hatte sich im Januar erst der Flugzeugbauer Airbus aus einer Korruptionsaffäre freigekauft. Das Geld fließt an Behörden in Frankreich, Großbritannien - und den USA. Corona hat die Airbus-Bilanz dann endgültig verhagelt. Der zivile Umsatz brach gegenüber dem Vorjahr zwischen April und Juni um 54,6 Prozent ein. Kosten und Beschäftigung sollen runtergefahren werden. Analysten befürchten eine Zunahme von Airline-Insolvenzen, und der niedrige Ölpreis macht einen Austausch von älterem Fluggerät unattraktiv. Das Erreichen des Vorkrisenniveaus wird inzwischen nicht mehr vor 2024 erwartet.

Ähnlich schwach schnitt der Reisekonzern TUI ab. Noch tiefer fiel die Lufthansa: Mit 1,7 Millionen beförderte die Airline 96 Prozent weniger Passagiere als im Vorjahreszeitraum. Angesichts solcher Zahlen scheint es erstaunlich, dass die hiesige Wirtschaftsleistung zuletzt »nur« um 11,7 Prozent sank.

Ein wichtiger Grund ist der krisenfeste Mittelstand. Doch auch für die meisten großen Konzerne war das zweite Quartal kein Desaster. Die Erträge von Adidas und Allianz sanken kaum. Und die Produkte von Deutsche Telekom, Siemens und SAP waren sogar gefragter denn je. Insgesamt setzten die 30 Dax-Aktiengesellschaften im Ende Juni abgelaufenen Quartal laut »Handelsblatt« 283 Milliarden Euro um. Das waren 13 Prozent weniger als im Vorjahr und entsprach dem Umsatz von vor sechs Jahren. Damals galt dies noch als ein überaus erfreuliches Ergebnis.

Kurzfristig ist Liquidität die überlebenswichtige Kennzahl. Denn wer keine Rechnungen und Gehälter mehr bezahlen kann, muss Insolvenz beantragen. Wegen Corona hat der Bundestag diese Pflicht zunächst bis Ende September ausgesetzt. Doch eine Übersicht der Unternehmensberatung EY zeigt: Die Kassen sind gut gefüllt. Nach einem Jahrzehnt voller Wachstum und Rekordgewinne eigentlich selbstverständlich. So blieben die Forschungsausgaben ebenso stabil wie die Zahl der 3,5 Millionen Beschäftigten in Dax-Konzernen.

Selbst Sorgenkind Thyssen-Krupp, das sich mit dem Bau zweier Stahlwerke in Amerika verzockte, hat nun durch den Verkauf seiner Aufzugsparte wieder finanziell Luft gewonnen, um selbst eine längere Krise durchzustehen. Wie lang die Krise dauern wird, hängt ein gutes Stück von der Entwicklung der Großkonzerne ab. Der führende Maschinenbauer Körber, er gehört einer Stiftung, arbeitet laut Firmenangaben mit 15 000 Lieferanten aus 80 Ländern zusammen. Zählt man die Lieferanten der Lieferanten hinzu, wird die Zahl gar sechsstellig. Erholen sich die Großen, werden sich auch die Kleinen erholen.

Seit Mai ist dies bei fast allen Konzernen der Fall. Volkswagen hat im Juli sogar kräftig Boden gutgemacht: Die Verkäufe liegen schon wieder auf dem Vorjahresniveau. Dabei hilft ganz besonders die rasche Erholung in China, mittlerweile der größte Absatzmarkt für viele deutsche Unternehmen aus Luftfahrt, Chemie und Maschinenbau.

Grünes Licht zeigen auch die am Dienstag von der Commerzbank veröffentlichten »Echtzeitindikatoren«. Der für Industrie und Handel so wichtige Lkw-Verkehr befindet sich beinahe wieder auf Vorkrisenniveau, und der Einzelhandel (ohne Lebensmittel) hat bei der Kundenzahl nahezu seinen Normalzustand wiedererlangt. Die wirtschaftliche Erholung sei in Deutschland bereits sehr weit fortgeschritten, so die Analysten der teilverstaatlichten Bank.

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