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Verspätung für Briefe und die Demokratie
Donald Trump schürt Zweifel gegen die Briefwahl und lässt die US-Post sabotieren – nun folgt der Rückzieher
Donald Trump hat geschafft, was Gewerkschafter der US-Post viele Jahre versucht haben: Er hat den United States Postal Service (USPS) »sexy« gemacht und ins Zentrum der nationalen Aufmerksamkeit katapultiert. Seit Tagen sind in den sozialen Medien und im US-Kabelfernsehen die aktuellen Auslieferungsprobleme der US-Post und die offensichtlich politisch motivierte Sabotage durch den US-Präsidenten das Top-Thema und wichtiger Nebenschauplatz des Wahlkampfs.
US-Demokraten, die ihre Unterstützung für die US-Post zeigen wollen, rufen derzeit dazu auf, Briefmarken zu kaufen und versuchen, den Staatsbetrieb, der sogar in der US-Verfassung vorgeschrieben ist, mit Bestellungen im hauseigenen Merchandise-Shop zu unterstützen. Ein bauchfreies Top mit der Abbildung eines Umschlags etwa ist schon ausverkauft. Am Samstag soll landesweit demonstriert werden.
»Nichts kann die Post stoppen: weder Schnee, weder Regen, weder Hitze, weder Nacht, noch Faschismus.« Das verkündet ein Poster mit dem Logo der US-Postgewerkschaft. Das Adbusting-Plakat, das zuerst im Onlineforum Reddit hochgeladen wurde, ist im Internet mittlerweile oft geteilt worden; es wurde alleine auf Twitter von 356.000 Menschen geliked. Der stoische Slogan verklärt Postboten zu Widerstandskämpfern und ist eine hoffnungsvolle Durchhalteparole.
Denn derzeit hat die Briefzustellung in einigen Landesteilen deutlich Verspätung. Berichte zeigen Verspätungen von bis zu drei Wochen für Briefe, Gehaltschecks und Rechnungen, deren Verschickung sonst zwei bis drei Tage dauert. Außerdem gibt es Berichte über den Abbau von Briefkästen und von landesweit über 500 Sortiermaschinen, angeblich aus Kostengründen.
Treibender Akteur der tagelangen Sabotage: Postmaster General Louis DeJoy. Der von US-Präsident Trump im Mai neu ernannte Top-Manager der US-Post – ein Großspender für die republikanische Partei mit Multimillionen-Portfolio privater Lieferdienste – strukturiert den Staatskonzern derzeit um. Er hat Überstunden verboten, angekündigt, dass die Briefwahlstimmen nicht länger Priorität haben und mit deutlich teureren Briefmarken als sonst üblich bezahlt werden müssen – eine weitere Bürde für die finanziell durch Steuerausfälle in der Coronakrise gebeutelten Staaten. Mitte August warnte die US-Post offiziell per Brief, man könne die rechtzeitige Zustellung der Briefwahlunterlagen und Stimmen in 46 Staaten nicht sicherstellen.
Wegen der Corona-Pandemie haben derzeit über 40 Staaten ihre Bestimmungen zur Briefwahl gelockert. Die deutlich coronabewussteren Demokratenwähler – sie sind nicht der rechten Fox-News-Desinformationsblase ausgesetzt – haben in mehreren Staaten in viel höherem Umfang Briefwahlunterlagen angefordert oder haben dies laut Umfragen vor. 33 Millionen Briefwahlstimmen wurden bei der Präsidentschaftswahl 2016 abgegeben, dieses Jahr könnten es deutlich mehr sein. Wenn die Zustellung von Briefwahlanträgen, deren Rücksendung und die anschließende Verschickung von Briefwahlstimmen um jeweils mehrere Wochen verzögert ist, könnten viele Briefwahlstimmen für ungültig erklärt werden, so Trumps Kalkül.
Der US-Präsident hat relativ klar erklärt, was er beabsichtigt. Seit Wochen schürt er Zweifel gegenüber der Briefwahl. So behauptet er etwa, dabei gebe es viel Betrug – obwohl umfangreiche politikwissenschaftliche Forschung zeigt, dass dieser praktisch nicht-existent ist. »Wenn die US-Post das Geld, das sie dringend benötigt, nicht bekommt, um Millionen von Briefwahlstimmen weiterzuleiten, dann heißt das, dass es nicht in allen Fällen Briefwahl geben kann «, sagte Trump im dem rechten Fernsehsender Fox News.
Der US-Präsident hat auch gesagt, man müsse das Wahlergebnis aus der Wahlnacht nutzen, um den Sieger zu erklären. Bisher sind die US-Amerikaner es gewohnt, dass noch in der Wahlnacht ein Sieger verkündet wird. Das könnte dieses Jahr nicht so sein. Wenn viele Demokratenwähler per Briefwahl abstimmen, die in vielen Staaten noch tagelang nach der Wahl ausgezählt werden, könnte Trump in der Wahlnacht vorne liegen – ein rhetorischer Vorteil.
Eine Nachwahl in einem eher konservativen ländlichen Kongresswahlbezirk im nordwestlichen New York Ende Juni zeigte, wie stark sich die Ungleichverteilung bei den Briefwahlstimmen am Wahlabend des 3. November und in den Tagen danach bemerkbar machen könnte. Am Wahlabend führte der Republikaner Chris Jacobs mit 69 zu 29 Prozentpunkten. Nach Auszählung der 80.000 Briefwahlstimmen drei Wochen später war sein Vorsprung auf nur noch fünf Prozent geschrumpft.
Doch eine Demokraten-Kampagne gegen die Post-Sabotage hat offenbar Wirkung gezeigt. DeJoy und Trump müssten dem US-Kongress »Rede und Antwort stehen«, warum sie wenige Monate vor der Wahl die »Stimmen von Millionen US-Amerikanern zum Schweigen bringen« wollten, forderte Nancy Pelosi, die Demokratische Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus. Sie will Ende der Woche die Abgeordneten des Repräsentantenhauses aus den parlamentarischen Sommerferien zurückholen, um der Post die aktuell durchgeführten Umstrukturierungen zu verbieten, auch wenn Beobachter bezweifeln, dass Pelosi viel tun kann.
20 Staaten kündigten eine Klage an. Ein Demokraten-Abgeordneter schlug vor, DeJoy notfalls durch die Sicherheitskräfte des US-Kongresses verhaften zu lassen, sollte er zu einer für nächste Woche geplanten Befragung im Repräsentantenhaus nicht erscheinen. Am Dienstagabend erklärte DeJoy, alle Umstrukturierungsmaßnahmen seien auf nach der Wahl verschoben, »um jeden Eindruck einer Beeinflussung von Wahlpost zu verhindern«. Doch Kritiker bei den Demokraten meinen, trotz des Rückziehers von DeJoy sei bereits Schaden entstanden, bereits abgebaute Briefboxen und Sortiermaschinen nicht wieder aufgestellt. Der demokratische Staatsanwalt aus Pennsylvania zeigte sich zudem misstrauisch. DeJoys Erklärung von Dienstagnacht sei bisher nur eine Ankündigung. Umfragen zeigen: Das Vertrauen in den Wahlprozess hat sowohl bei Wählern der Republikaner als auch denen der Demokraten abgenommen.
Dejoys Umstrukturierungen des USPS dienen vorgeblich der Rettung des hochverschuldeten Staatsbetriebes. Dabei verfolgen die US-Republikaner aber auch die Taktik des »design to fail«: Seit 2006 muss die Post wegen eines Gesetzes, dem damals auch die Demokraten zustimmten, anders als große Privatunternehmen die Pensionen für ihre Beschäftigten komplett vorfinanzieren - ein wichtiger Grund für die Milliardenschulden des Staatsbetriebs. Für die Republikaner geht es schon seit der Amtzeit von Ronald Reagan auch um Kulturkampf. Der Staatsbetrieb bietet schließlich seinen über 600.000 Angestellten Jobs mit Tariflöhnen und gewerkschaftlicher Vertretung. Er beschäftigt nicht nur viele Veteranen, sondern auch viele Afroamerikaner. Immerhin 40 Prozent der USPS Angestellten sind People of Color.
Millionen Amerikaner wiederum – speziell im infrastrukturschwachen ländlichen Raum, in den private Konkurrenten wie FedEx nicht liefern, weil es sich für sie ökonomisch nicht lohnt oder wo die Post für Lieferdienste wie Amazon übernimmt – sind auf einen funktionierenden USPS angewiesen. Die US-Post sichert dort etwa die Versorgung mit dringend benötigten Gütern wie lebensnotwendigen Medikamenten. Die Briefwahlstimmen dagegen machen nur einen Bruchteil des gesamten Postaufkommens aus. Der hohe Kollateralschaden durch die Post-Sabotage entwickelte sich zum Problem für Donald Trump, er bekam auch Druck aus der eigenen Partei, deren Wähler vor allem in ländlichen Gebieten leben.
Wochenlange Verzögerung bei der Zustellung etwa von wichtigen Medikamenten könnte dort einige Wähler bewegen, gegen Trump und die Republikaner zu stimmen, so die Befürchtungen einiger in der Partei. Gleichzeitig gibt es auch bei den Demokraten eine neue Wahlentschlossenheit: Schon jetzt gibt es Aufrufe, die Briefwahlstimmen möglichst früh in die Post zu geben.
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