Genuss in der Niederlage

RB Leipzig scheitert im Halbfinale der Champions League an übermächtigen Stars von Paris Saint-Germain

  • Ullrich Kroemer, Lissabon
  • Lesedauer: 4 Min.

Peter Gulacsi wollte gern mit Yussuf Poulsen auswerten, was RB Leipzig beim 0:3 (0:2) im Halbfinale der Champions League hätte besser machen können. Doch Poulsen wehrte ab. Es war nicht der Moment für kleinteilige Analysen. Vielmehr sog der Stürmer den Moment in sich auf. Nach Abpfiff saß der Kapitän der Leipziger noch 20 Minuten im Schneidersitz auf dem Rasen an der Seitenlinie. RB Leipzigs Rekordspieler schaute in sich versunken in das leere Rund des Estadio da Luz in Lissabon, wo normalerweise der Lärm von 60 000 Fußballfans getost hätte. Immer mal wieder kam ein Kollege, Trainer oder Gegenspieler wie Thilo Kehrer vorbei, um Poulsen Mut zuzusprechen. »Es ging mir darum zu genießen, mir durch den Kopf gehen zu lassen, was wir hier gerade gespielt haben«, erklärte der Däne später.

Genießen? Nach einer 0:3-Pleite? »Es geht darum, das zu verarbeiten und stolz darauf zu sein, was wir hier geleistet haben«, betonte der 26-Jährige. Dafür bekam er Lob von Trainer Julian Nagelsmann, denn es war nach diesem Halbfinalabend von Lissabon nicht einfach, im Blick zu behalten, dass RB Leipzig elf Jahre nach seiner Gründung nicht nur von einer der besten, sondern auch von der sechstteuersten Mannschaft der Welt die Grenzen aufgezeigt bekommen hatte. »Man muss im richtigen Moment auch Demut walten lassen«, sagte der sonst so selbstbewusste Nagelsmann. Der 33-jährige Trainer wirkte nach der Pariser Machtdemonstration gefasst. »Ich nehme viel Positives mit aus der Champions League«, sagte er und meinte die »unerschrockene Leistung« gegen Madrid im Viertelfinale. Und auch gegen Paris habe sein Team das »Herz am rechten Fleck gehabt«.

Doch zu deutlich war der Klassenunterschied in allen Belangen gegen PSG gewesen. Nagelsmann hatte angekündigt, mutig und offensiv gegen das Pariser Starensemble um Neymar, Kylian Mbappé und Angel di Maria spielen zu wollen. Gegen Atlético war es dem Leipziger Kollektiv noch gelungen, die Mechanismen der Fußballbranche außer Kraft zu setzen und den erfahreneren, individuell vermeintlich besseren Favoriten zu knacken. Paris indes spielte von Beginn an auf einem anderen Level als RB. Die Leipziger konnten nur ohnmächtig reagieren, hinterherlaufen und zusehen, wie Neymar & Co. wirbelten, Chance um Chance kreierten und Tore schossen. Es war ein Rückfall in Leipzigs alte Topspiel-Lethargie. Doch der Gegner hieß eben auch PSG; und die Sachsen agierten auf einer Bühne, die für den Klub eigentlich noch eine Nummer zu groß ist.

Auch wenn es im Stadion nicht immer so aussah, sei sein Team »an die Grenzen gegangen. Es tut gut, so eine Mannschaft zu haben«, lobte Nagelsmann. Ein Schulterschluss zwischen dem ehrgeizigen Trainer und seiner Mannschaft, die in der Champions League und speziell beim Turnier in Lissabon mehr noch als in der Bundesliga gespürt haben, dass sie perfekt zueinander passen. Zwei Lernende, Trainer wie Mannschaft, die hochbegabt sind und zwei Klassen übersprungen, aber nun auch mal ihre Grenzen aufgezeigt bekommen haben.

Bei der Lehrstunde gegen PSG konnte Nagelsmann diesmal keinen Einfluss nehmen. Seine Idee, mit einer Viererkette zu beginnen, Lukas Klostermann auf die linke Innenverteidigerposition und Nordi Mukiele rechts in die Kette zu beordern und davor ein dreiköpfiges defensives Mittelfeld aufzubauen, ging nicht auf. Viel zu tief stand RB und übte keinen Druck auf den Pariser Aufbauspieler Marquinhos aus. »Alle - Spieler und Trainer - hätten vieles besser machen können, es hätte wahrscheinlich trotzdem nicht gereicht«, sagte Nagelsmann und hatte damit wohl Recht. Zu geschlossen und individuell herausragend zugleich agierten die Franzosen, einen zu guten Abend erwischten Neymar und di Maria, zu gierig auf den Titel ist die 800 Millionen Euro teure Equipe und zu gut eingestellt von Trainer Thomas Tuchel.

Nagelsmann bekannte zwar: »Aktuell überwiegt der Frust«. Doch vom Spektakel Champions League lenkte er den Fokus bereits auf die nächste Aufgabe: DFB-Pokal in Nürnberg in drei Wochen. »Psychologisch ist das keine einfache Situation. Die Spieler werden jetzt ein bisschen brauchen«, sagte er. »Aber wir müssen uns aufraffen, den Frust beiseiteschieben und dafür arbeiten, dass wir solche Spiele wieder erleben« - gestählt durch die Lehrstunde und beflügelt vom Aha-Erlebnis gegen Atlético im Viertelfinale.

Das 2:1 gegen Madrid ist nun die Messlatte für Team und Trainer für die kommende Saison. »Wenn wir das Herz und die Aktivität zeigen, die wir gegen Atlético hatten, werden wir den Weg weitergehen«, sagte Nagelsmann. Auch spielerisch wird jene offensiv wie defensiv komplette Teamleistung zur Benchmark, um in der Meisterschaft konstanter zu punkten und in Spitzenspielen gegen Bayern München und Borussia Dortmund von Beginn an hellwach zu sein. »Wir planen auch mal Negativerlebnisse ein, aber mir ist nicht bange«, sagte Nagelsmann.

Dabei vergaß er nicht, seine Klubchefs daran zu erinnern, dass man schon noch einen Ersatz für den abgewanderten Timo Werner benötige. Nicht vom Format Mbappés oder Neymars natürlich. »Die beiden Stürmer kosten so viel wie unser gesamter Kader«, wusste der Trainer. Immerhin aber hat die Halbfinalteilnahme dem Klub Prämie von zwölf Millionen Euro eingebracht.

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