Kleinkariert in der Coronakrise
Versicherungen müssten bei Betriebsschließungen wegen des Lockdowns eigentlich zahlen. Doch sie sehen das anders
Das Gastgewerbe wurde durch Corona und Lockdown besonders schwer getroffen. Viele Betriebe mussten schon im März schließen. Die Probleme sind längst nicht ausgestanden. Noch immer gibt es Umsatzeinbrüche, vielen Unternehmen steht finanziell das Wasser bis zum Hals. Viele der 2,4 Millionen Arbeitsplätze im Gastgewerbe sind in Gefahr.
Dies hat auch mit der harten Haltung der Finanzbranche zu tun. Eigentlich hätten in der Coronakrise sogenannte Betriebsschließungsversicherungen helfen müssen, doch die Realität sieht anders aus. Obwohl das Thema längst auch in Berliner Regierungskreisen angekommen ist, scheint sich bis heute nichts geändert zu haben. »Im Streit um Betriebsschließungspolicen gibt sich das Gros der Versicherer nach wie vor hart«, berichtet das Fachblatt »Versicherungsbote«.
Damit bringen die Versicherer nicht alleine ihre Kundschaft gegen sich auf, sondern zunehmend auch Vertriebspartner. Makler hatten in der Vergangenheit ihren Kunden volle Rückendeckung bei Betriebsschließungen versprochen. Dies zeigt ein Rechtsstreit, von dem die Berliner Kanzlei Wirth berichtet. Es geht um die Mannheimer Versicherung, die sich weigere, Betreiber von Hotels, Restaurants und Läden voll zu entschädigen, wenn sie aufgrund des Infektionsschutzgesetzes dichtmachen mussten. Stattdessen sollten sie sich mit dem sogenannten bayerischen Kompromiss begnügen. Anfang April hatten sich Landesregierung, Versicherer und Wirtschaftsverbände im Freistaat darauf geeinigt, dass aus Kulanz zwischen 10 und 15 Prozent der bei Betriebsschließungen vereinbarten Tagessätze übernommen und an die Gaststätten und Hotels ausgezahlt werden. Damit nicht genug. Wenn Kunden sich weigern und die volle Summe einfordern, werde gekündigt, so die Kanzlei.
Dabei gehen Beobachter davon aus, dass sich die Regierung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und der regionale Gaststättenverband seinerzeit haben über den Tisch ziehen lassen. Es steht nämlich in vielen Verträgen eigentlich eindeutig: »Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes den versicherten Betrieb schließt.« Trotz der eindeutigen Formulierung argumentieren viele Assekuranzen wie die Allianz, es seien nur jene Seuchen versichert, die namentlich im Vertrag genannt werden. Was bei einem neuen Virus natürlich nicht der Fall ist.
Daher gibt es eine wahre Klagewelle gegen die Versicherungen. Erste Gerichtsurteile in Deutschland und Frankreich fallen indes uneinheitlich aus. Es gilt wohl, was das Landgericht München bei der Verhandlung zu insgesamt vier Verfahren formulierte: »Es kommt auf den Einzelfall an.«
Gleichzeitig fordert die Versicherungsbranche an anderer Stelle Milliarden vom Staat. Sie schlägt einen privat-staatlichen Rettungsschirm vor, mit dem künftige Pandemie-Risiken abgesichert werden sollen. Zielgruppe sind kleine und mittlere Unternehmen. Finanziert werden soll der Fonds sowohl über Beiträge der Firmen wie über Steuermittel, schlägt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft vor.
Schon im April hatte R+V-Chef Norbert Rollinger erklärt, die Branche sei überfordert. Allein in Deutschland sei für die Versicherer ein Schaden von mehreren Hundert Milliarden Euro zu erwarten, wenn für alle Pandemie-Risiken gezahlt werden müsste. »Solche gewaltigen wirtschaftlichen Schäden kann unsere Branche finanziell nicht schultern.« Diesen Schäden stünden Prämieneinnahmen von nur rund 200 Milliarden Euro in 2019 gegenüber.
Kritiker weisen auf deutlich geringere Schadenssummen durch Corona hin: Für existenzielle Risiken wie Betriebsschließungen im kleinen und mittleren Gastgewerbe wäre lediglich ein kleiner einstelliger Milliardenbetrag zu zahlen. Angesichts eines angesammelten Kapitalstocks von über 1,6 Billionen Euro erscheint der bayerische Kompromiss daher vor allem kleinkariert. So steigerte Europas größter Versicherer, die Allianz, den Gewinn 2019 um drei Prozent auf den Rekordwert von 11,9 Milliarden Euro.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.