Was jetzt zu tun ist

Antisemitismus in Berlin: Von Einzelfällen kann keine Rede sein

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 4 Min.

War Hass auf Juden das Motiv? Noch sind die Ermittlungen nach dem mutmaßlichen Brandanschlag auf die Kiezkneipe »Morgen wird besser« an der Hagenstraße in Berlin-Lichtenberg nicht abgeschlossen. Nach dem Feuer vor einer Woche, bei dem Teile der Inneneinrichtung in Flammen aufgingen, ermittelt der Staatsschutz im Landeskriminalamt zusammen mit dem zuständigen Brandkommissariat. Es bestehe der Verdacht der schweren Brandstiftung, die Polizei vor Ort habe Einbruchspuren am Fenster festgestellt, hieß es zu Wochenbeginn. Der jüdische Besitzer des Lokals gibt an, in der Vergangenheit wiederholt von mutmaßlichen Neonazis bedroht worden zu sein.

Dass bei der Brandattacke Antisemitismus mit im Spiel war, ist zumindest naheliegend. An der Eingangstür hinterließen der oder die mutmaßlichen Brandstifter jedenfalls eine Botschaft: einen eingeritzten Davidstern, darunter die Zahl »28«, eine Neonazi-Chiffre für das extrem rechte Netzwerk »Blood and Honour«.

Am Dienstagabend versammelten sich Hunderte Menschen vor dem Lokal, um gegen Antisemitismus und rechte Hetze in Lichtenberg und Berlin zu demonstrieren. »Es wird immer wieder von den Rechten versucht, diesen Kiez in Beschlag zu nehmen«, sagte die Linke-Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch auf der Kundgebung über die Gegend, in der sie selbst wohnt. Antisemitische Übergriffe seien kein Einzelfall. »Man muss sehr wachsam sein und alle Initiativen gegen rechts unterstützen«, forderte Lötzsch.

Von Einzelfällen kann mit Blick auf antisemitische Vorkommnisse in Berlin bestimmt keine Rede sein. Für das Jahr 2019 erfasste die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) insgesamt 881 antisemitische Vorfälle in der Hauptstadt, darunter 648 Vorkommnisse verletzenden Verhaltens, 103 Massenzuschriften, 59 Bedrohungen, 38 gezielte Sachbeschädigungen sowie 33 physische Angriffe. Auch auf Bundesebene wird das Bild nicht besser. Im Gegenteil: 2019 gab es in Deutschland deutlich mehr antisemitische Straftaten als im Vorjahr, so der aktuelle Jahresbericht zur »Politisch motivierten Kriminalität«. Demnach wurden im vergangenen Jahr bundesweit rund 2000 Taten gegen Juden und jüdische Einrichtungen registriert. Die bekannteste und blutigste war zweifelsohne der von einem Neonazi verübte Anschlag auf die Synagoge in Halle zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur am 9. Oktober.

Angesichts dieser dramatischen Zahlen stellt sich die Frage: Was muss gegen den ausufernden Antisemitismus in der Gesellschaft getan werden? Einer, der Antworten parat hat, ist Felix Klein, Diplomat und seit 2018 Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.

»Wir brauchen in erster Linie eine wache Zivilgesellschaft, die sich gegen jedwede Form von Antisemitismus wendet«, sagte Klein bei einer Diskussionsrunde zum Thema am Donnerstagabend in der Landeszentrale für Politische Bildung. Dazu eingeladen hatte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt, coronakonform mit Abstand.

»Es reicht nicht aus, wenn nur der Staat aktiv wird, wir sind alle herausgefordert«, sagte Klein. Nichtsdestotrotz stehe die Bundesregierung ganz besonders in der Pflicht. Als wirksamste Strategie gegen Juden- und Israel-Hass empfahl Klein »eine Mischung aus repressiven und präventiven Maßnahmen«. So müsse bei Straftaten eingehend geprüft werden, ob ein antisemitisches Motiv vorliegt. Damit ein solches ermittelt werden kann, müssen Polizeibeamte und die Justiz Antisemitismus aber zunächst einmal erkennen. »Hier müssen wir ansetzen und die Beamtinnen und Beamten besser fortbilden und schulen«, erläuterte der Regierungsbeauftragte.

Im Hinblick auf die Antisemitismusprävention appellierte Klein dafür, schon früh, also in der Schule, anzusetzen. Auch hier gehe es darum, antisemitische Äußerungen und Übergriffe zu erkennen und auf dieser Grundlage zu handeln. Klein setzt sich für eine deutschlandweite Meldepflicht für antisemitische Vorfälle an Schulen ein. »Dann können solche Vorfälle von Lehrkräften nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden.« Eine derartige Meldepflicht gibt es in einigen Bundesländern wie Berlin zwar schon, eine einheitliche Erfassung auf Bundesebene aber nicht.

Ein Baustein für die Präventionsarbeit ist für Klein die Wahrung der Erinnerung an die Shoa. Diese Erinnerungskultur müsse weiterentwickelt werden, »damit auch Menschen mit Migrationshintergrund bessere Angebote bekommen«. Nämliches wünscht sich Klein auch in puncto Geschichts- und Politikunterricht. »Es ist teilweise verheerend, wie über das Judentum in Religions-, aber auch in Geschichtsbüchern informiert wird«, schimpfte Klein. Schon seit Längerem kritisiert der Zentralrat der Juden in Deutschland die aus seiner Sicht verzerrte Darstellung des Judentums in Schulbüchern. In diesen gebe es zuweilen Bilder, die von antisemitischen Stereotypen geprägt seien, so die Kritik. Inzwischen hat sich der Zentralrat mit den Verlagen in Verbindung gesetzt, um gemeinsam eine Überarbeitung in Angriff zu nehmen - ein »wichtiger Schritt«, so Klein.

Letztlich war es Klein wichtig, nach vorn zu blicken. Denn: »Jüdisches Leben ist deutschlandweit im Aufschwung.« So grenze es an ein kleines Wunder, dass an der Uni Potsdam wieder Rabbiner ausgebildet werden. Auch Neubauvorhaben von Gotteshäusern wie der Synagoge am Fraenkelufer in Berlin-Kreuzberg hob er hervor: »Diese Projekte zeigen, dass jüdisches Leben Teil unserer Identität ist und zu unserer Gesellschaft gehört.«

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