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Kalbitz kann sich nicht durchboxen
Landgericht entscheidet im Streit um Mitgliedschaft in der AfD gegen den Politiker
Der brandenburgische Landtagsabgeordnete Andreas Kalbitz wehrt sich gegen seinen Rauswurf aus der AfD. Im Streit mit jenen Kreisen um Bundesparteichef Jörg Meuthen, die Kalbitz loswerden möchten, geht es hin und her. Die von Kalbitz beim Landgericht Berlin beantragte einstweilige Verfügung gegen die Annullierung seiner Parteimitgliedschaft wurde am Freitag zurückgewiesen. Deshalb steht Kalbitz im Moment außerhalb der AfD.
Der Bundesvorstand hatte am 15. Mai mit knapper Mehrheit die Mitgliedschaft von Kalbitz für nichtig erklärt, weil dieser bei seinem Parteieintritt im Jahr 2013 verschwiegen haben soll, einst bei der später verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) und bei den zeitweilig vom Verfassungsschutz beobachteten Republikanern mitgemacht zu haben. Kalbitz beteuert, er habe der HDJ nie angehört und sich 2007 lediglich aus Interesse bei einem Pfingstlager der neofaschistischen Organisation umgesehen.
Wie das nun genau war, das kümmert Richter Hans-Joachim Luhm-Schier am Freitag herzlich wenig. Denn dies alles wäre in einem späteren Hauptsacheverfahren zu untersuchen, erklärt er. Hier und heute gehe es lediglich um die Frage, ob gerichtlich verfügt werden müsse, dass Kalbitz bis zur Klärung der Sache einstweilen als Parteimitglied zu betrachten sei. Jetzt ist klar: Das muss nicht verfügt werden.
Anderenfalls hätte Kalbitz wieder zu Bundesvorstandssitzungen gehen und seine Funktion als Landesvorsitzender in Brandenburg wahrnehmen können. Theoretisch hätte er dann auch wieder die Führung der Landtagsfraktion übernehmen können. Den Posten des Fraktionschefs hatte er zunächst nur ruhen lassen. Erst am Dienstag verzichtete Kalbitz auf dieses Amt. Er war unter Druck geraten, weil der seinem Fraktionskollegen Dennis Hohloch im Landtag zur Begrüßung - freundlich gemeint - in die Seite boxte und dabei so fest zuschlug, dass Hohloch innere Verletzungen erlitt, die im Krankenhaus behandelt werden mussten.
Nach Einschätzung des aus Hamburg zur Gerichtsverhandlung angereisten AfD-Bundesvorständlers Alexander Wolf hat sich Kalbitz mit dieser gewalttätigen Entgleisung bei seinen letzten Anhängern unmöglich gemacht. So jemand habe in der AfD nichts zu suchen. Die Partei sei »freiheitlich-konservativ«, beteuert Wolf. Der Darstellung des Verfassungsschutzes, dem völkischen Flügel der AfD gehörten 7000 Personen an, die allesamt Rechtsextremisten seien, widerspricht er ganz entschieden. Das sei »Quatsch mit Soße« und diene dazu, der AfD zu schaden. »Die Entscheidung ist gefallen. Kalbitz ist draußen. Wir sind erleichtert«, kommentiert Wolf die Gerichtsentscheidung. Der Fall sei damit »politisch« abgeschlossen.
Juristisch könnte sich der Streit noch über Jahre hinziehen, wenn sich der Ausgestoßene durch alle Instanzen klagt. Allerdings gibt Richter Luhm-Schier schon einen kleinen Hinweis. Zur Begründung, warum die einstweilige Verfügung zurückgewiesen wird, führt er an, dass es keineswegs offensichtlich sei, warum der Rauswurf von Kalbitz nicht rechtens gewesen sein sollte.
Die Entscheidung durch den Bundesvorstand war womöglich problematisch. Dagegen hatte Kalbitz auch eine einstweilige Verfügung erwirken können. Doch inzwischen hat das Bundesschiedsgericht der AfD den Rauswurf bestätigt. Eine detaillierte, 29 Seiten umfassende schriftliche Begründung liegt dem Gericht vor. Auch stellt der Richter klar, dass es den Parteien obliege, über die Aufnahme und den Ausschluss von Mitgliedern zu entscheiden.
»Andreas Kalbitz hat gegen unser Grundprinzip ›Mut zur Wahrheit‹ verstoßen«, rügt Bundesvorständler Alexander Wolf. Zwar versucht es der Kalbitz-Anwalt Andreas Schoemaker mit dem Hinweis, sein Mandant sei nun einmal unstrittig Mitglied der AfD geworden und deshalb greife das Parteiengesetz. Es wäre - folgt man dieser Argumentation - vielleicht ein Parteiausschlussverfahren mit zwei Instanzen notwendig gewesen. Also hätte beispielsweise zunächst ein Landesschiedsgericht der Partei entscheiden müssen. Aber im Landesverband genoss Kalbitz ja Rückhalt und hätte sich sicher fühlen dürfen.
Der Rechtsanwalt der AfD, Joachim Steinhöfel, erinnert an die Satzung der Partei, wonach bei früherer Mitgliedschaft in rechtsextremistischen Organisationen eine Einzelfallprüfung des Aufnahmeantrags durch den Bundesvorstand vorgesehen sei. Das sei hier nicht möglich gewesen, weil Kalbitz seine Zeit bei HDJ und Republikanern verschwiegen habe. Würde man das hinnehmen, könnten sich »Extremisten aller Couleur« in die Partei einschleichen, die man dann nicht mehr loswerden würde, sagt Steinhöfel.
Das Gesicht von Kalbitz ist einmal kurz am Landgericht in der Littenstraße zu sehen. Ein Lkw mit seinem Konterfei und der Aufschrift »Kalbitz bleibt« fährt am Gebäude vorbei. Der Politiker selbst taucht in Saal 208/209 nicht auf. Er lässt seinen Anwalt machen. Nur AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland, der zu Kalbitz hält, lässt sich kurz blicken. Gauland äußert sich aber nicht vor den Fernsehkameras. Das tut Anwalt Schoemaker. Er glaube, dass sein Mandant ganz guter Stimmung sei, da er der AfD im Grundsatz nach wie vor angehöre, sagt Schoemaker. Das klingt, als sei es reine Formsache, dies im Hauptsacheverfahren feststellen zu lassen. Noch aber hat Kalbitz nicht einmal die für ein solches Verfahren erforderliche Klage eingereicht. Das soll demnächst geschehen, versichert Schoemaker. Man habe dafür etwas Schriftliches vom AfD-Schiedsgericht benötigt und es erst vor einer Woche erhalten.
Wie es nun auch kommen mag. Für Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter ist klar: »Andreas Kalbitz ist kein Einzelfall. Er steht exemplarisch für die gesamte Brandenburger AfD. Politisch ändert sich da überhaupt nichts, selbst wenn Personen ausgetauscht werden - und das ist ja nicht einmal sicher.«
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