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Zwei Menschen bei Protesten in US-Stadt Kenosha erschossen

Familie des durch Polizeischüsse schwer verletzten Jacob Blake fordert Ende von Rassismus in den USA und ruft zu friedlichen Protesten auf

  • Lesedauer: 5 Min.

Kenosha. Bei den Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt im US-Bundesstaat Wisconsin sind zwei Menschen erschossen worden. Ein weiterer Mensch sei am Dienstagabend nach Zusammenstößen verschiedener Gruppen in der US-Stadt Kenosha mit schweren, aber nicht lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht worden, teilte die Polizei mit. Ermittelt wird Medienberichten zufolge, ob die Schüsse im Zusammenhang mit der Anwesenheit bewaffneter, selbsternannter weißer Milizen in der Stadt standen.

In Kenosha hatten sich am Dienstag den dritten Tag in Folge hunderte Menschen an Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt beteiligt, die durch die Polizeischüsse auf den 29-jährigen Jacob Blake ausgelöst worden waren.

Am Dienstagabend hielt sich mindestens eine Gruppe hauptsächlich weißer und schwer bewaffneter Männer in Kenosha auf, die nach eigenen Angaben Grundstücke vor Angriffen von Demonstranten schützen wollten. Wie die »New York Times« berichtete, ging die Polizei dem Verdacht nach, dass die tödlichen Schüsse ihren Ursprung in einem Streit zwischen Protest-Teilnehmern und einer solchen bewaffneten Gruppe hatten, die eine Tankstelle beaufsichtigten.

Vor den tödlichen Schüssen hatte es auch Zusammenstöße zwischen einer Gruppe Demonstranten und Polizisten gegeben. Dabei setzte die Polizei Gummigeschosse gegen Demonstranten ein, die zuvor Feuerwerkskörper auf Beamte geworfen hatten. Auf einem von der Nachrichtenagentur AFP verifizierten Video war ein stark blutender Mann mit einer Schusswunde zu sehen. Die Polizei rief daraufhin Verstärkung, Beamte halfen dem Mann auf die Beine.

Ein weiteres Video zeigte einen offenbar mit einem Gewehr bewaffneten Mann, der zu Boden fiel, kurz bevor das Geräusch mehrerer Schüsse ertönte. Andere Menschen auf dem Video liefen panisch davon und forderten einander auf, Schutz zu suchen. Ein AFP-Reporter vor Ort berichtete von vielen bewaffneten Zivilisten. Die Polizeipräsenz war insgesamt niedrig und konzentrierte sich auf die Umgebung des Gerichtsgebäudes.

Die Mutter des Schwarzen Jacob Blake, der im Bundesstaat Wisconsin von Schüssen eines Polizisten lebensgefährlich verletzt wurde, hatte am Dienstag mit ergreifenden Worten das Ende von Rassismus in den USA gefordert. »Ich wende mich an alle, egal ob weiß, schwarz, japanisch, rot, braun. Niemand ist dem anderen überlegen«, sagte Julia Jackson bei einer Pressekonferenz in der Stadt Kenosha.

Sie sprach sich zudem gegen gewaltsame Proteste aus, nachdem in der Stadt zwei Nächte in Folge Gebäude und Autos gebrannt hatten. Sie habe in Kenosha »viele Schäden« gesehen, sagte Julia Jackson am Dienstag. Diese Vorfälle spiegelten »nicht das wider, was mein Sohn und meine Familie sind«.

Der Gouverneur von Wisconsin, der Demokrat Tony Evers, rief nach den Ausschreitungen den Notstand aus und ordnete eine verstärkte Präsenz der Nationalgarde in der Stadt an. Zugleich stand er unter verstärktem Druck aus Washington, die Situation unter Kontrolle zu bringen. »Vergangene Nacht war es nicht genug«, sagte der amtierende Vize-Heimatschutzminister Ken Cuccinelli dem TV-Sender Fox News. »Ich stelle infrage, ob er genug unternimmt - und ausreichend schnell.«

Ungeachtet der Tatsache, dass die Nationalgarde bereits im Einsatz ist, verlangte Präsident Donald Trump, sie auf die Straßen zu bringen. »Beenden Sie das Problem schnell!«, forderte er Evers in einem Tweet auf. Der Gouverneur warnte die Demonstranten, dass es eine Grenze zwischen friedlichem Protest und Ausschreitungen gebe, die Familien und Geschäfte gefährdeten.

In den USA sehen viele den umstrittenen Einsatz gegen den Afro-Amerikaner Jacob Blake als das jüngste Beispiel für Rassismus und Polizeigewalt in den USA.

Der 29-jährige Familienvater war am Sonntag in Kenosha durch Schüsse der Polizei in seinen Rücken schwer verletzt worden. Auf einem Video ist zu sehen, wie Blake zu seinem Auto geht, gefolgt von zwei Polizisten mit gezogenen Waffen. Eine der Waffen ist auf seinen Rücken gerichtet. Als Blake die Fahrertür öffnet und sich ins Auto beugt, fallen Schüsse aus nächster Nähe. Nach Angaben des Anwalts der Familie, Ben Crump, saßen in dem Auto Blakes Kinder im Alter von drei, fünf und acht Jahren.

Blake ist nun nach Angaben der Familie von der Hüfte abwärts gelähmt. Einige Kugeln hätten die Wirbelsäule getroffen. »Es wird ein Wunder brauchen, damit er wieder laufen kann«, sagte Anwalt Crumb. Blake habe auch Bauch-, Nieren und Leber-Verletzungen und ihm seien große Teile des Dickdarms und des Dünndarms entfernt worden, sagte Anwalt Patrick Salvi.

Blakes Vater warf der Polizei einen »sinnlosen Mordversuch« vor. »Sie haben sieben Mal auf meinen Sohn geschossen, als ob er nichts zählt. Aber mein Sohn zählt. Er ist ein Mensch.« Mutter Julia Jackson sagte unter Tränen, ihr Sohn wäre gegen die Gewalt, wenn er davon wüsste. »Wir brauchen Heilung.« Harte Worte kamen von Blakes Schwester Letetra Widman: »Ich bin nicht traurig. Ich bin wütend und erschöpft. Ich habe nicht geweint. Ich habe vor Jahren aufgehört, zu weinen. Ich sehe seit Jahren, wie die Polizei Menschen, die wie ich aussehen, ermordet.« Sie wolle kein Mitleid: »Ich will Wandel.«

In den USA hatte der Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis (Minnesota) Ende Mai landesweite Proteste ausgelöst. Die Debatte spielt auch im US-Wahlkampf eine zentrale Rolle. Die Republikanische Partei nahm Blake in das Gebet zum Auftakt des zweiten Tags ihres Parteitags auf.

Für Freitag ist in der Hauptstadt Washington ein großer Marsch gegen Polizeigewalt gegen Schwarze geplant. Er findet am Jahrestag der berühmten Rede »I Have a Dream« (»Ich habe einen Traum«) des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King statt. King hielt die Rede am 28. August 1963. Agenturen/nd

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