- Brandenburg
- Kohleausstieg
Die Narben der Lausitz
Landtag debattiert die Folgen des Braunkohleausstiegs. Der Ministerpräsident macht dabei auf Optimismus
Mit einem Feuerwerk der Superlative leitete Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am Mittwoch im Landtag seine Regierungserklärung zur Entwicklung in der Lausitz ein. Das Land Brandenburg sei »eine Gewinnerregion im 21. Jahrhundert«. Mit dem umfassenden Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen verfüge Brandenburg über die »Energie der Zukunft«, sei für Investoren reizvoll und daher als »Modellregion für ganz Deutschland« anzusehen. Auch glaubt Dietmar Woidke zu wissen, was dermaleinst in den Geschichtsbüchern über unsere Zeit stehen wird: »Brandenburgerinnen und Brandenburger haben angepackt.« Über die Tesla-Autofabrik, die in Grünheide gebaut wird, sagte Woidke, um diese größte Industrieinvestition der vergangenen 30 Jahre in Ostdeutschland werde Brandenburg beneidet.
Ja, räumte Woidke ein, fast alles stehe derzeit »unter dem Corona-Vorbehalt«. Aber auch das ist ihm zufolge nur Grund zur Zuversicht: Die Arbeitslosigkeit sei deutlich geringer gestiegen als in anderen deutschen Regionen, vom europäischen Umland ganz zu schweigen. Jüngste Daten würden belegen, dass Brandenburg »gut gerüstet ist für den Neustart nach der Pandemie«. Beim eigentlichen Thema, dem Kohleausstieg in der Lausitz, behielt Woidke seine grundoptimistische Tonlage bei. Für die Kohlekraftwerke Jänschwalde und Schwarze Pumpe sind die Abschalttermine festgelegt, es sei eine politische Entscheidung. Ohnehin hätte die Braunkohle in der Lausitz nur noch für einige Jahrzehnte gereicht, so Woidke.
»Spätestens 2038 werden wir keine Kohle mehr verbrennen«, das werde vielleicht sogar schon früher der Fall sein, unterstrich SPD-Fraktionschef Erik Stohn. Aber: »Wir haben nichts gewonnen, wenn wir nachts im Dunkeln sitzen müssen, wenn die Strompreise durch die Decke gehen, wenn die heutigen Kohlekumpel in 18 Jahren auf der Straße stehen, ihre Kinder wegziehen müssen.«
»Die Lausitz, Herr Ministerpräsident, ist kein Platz für Eitelkeiten«, warnte Linksfraktionschef Sebastian Walter. Mit seiner Rede habe Woidke sich selbst viel Mut zugesprochen und dargelegt, dass eigentlich alles in Ordnung sei und er alles im Griff habe. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.« An den bekennenden Lausitzer Woidke gewandt, sagte Walter: »Die Stimmung bei vielen Menschen in Ihrer Heimat ist eine ganz andere«. Es sei vor allem die Kurzarbeit, welche die Arbeitsmarktdaten günstig gestalte. »Irgendwann wird es keine Verlängerung mehr geben. Darüber verlieren Sie kein Wort.« Laut Walter wird es nicht so einfach gelingen, »für jeden wegfallenden Industriearbeitsplatz einen neuen zu schaffen«.
»Bislang war den Menschen in der Lausitz immer nur klar, was sie verlieren werden«, sagte CDU-Fraktionschef Jan Redmann. Über Jahrzehnte hätten sie Licht und Wärme geliefert und auf einmal seien sie »die Buhmänner der Nation« geworden. »Ihre Arbeitsmaschinen wurden sabotiert, öffentlich wurde darüber gestritten, warum sie nicht am besten sofort ihren Arbeitsplatz verlieren sollten.« Dabei sei das Erlebnis des Arbeitsplatzabbaus keineswegs ein neues für die Lausitzer. »Seit der Wende sind in der brandenburgischen und der sächsischen Lausitz rund 180 000 Arbeitsplätze weggefallen, heute hängen indirekt noch immer 20 000 Arbeitsplätze von der Kohle ab.«
Dagegen verteidigte Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke Proteste gegen die Kohleindustrie wie bei »Ende Gelände«. So widersprach er dem Koalitionspartner CDU. Die Rettung des Weltklimas müsse auch in der Lausitz stattfinden, sagte Raschke. »Ja, wir Grünen haben dazu beigetragen, dass die Braunkohleförderung ausläuft.« Man habe der Lausitz damit eine Perspektive genommen, gab er freimütig zu. »Aus unserer Sicht eine trügerische, eine vermeintliche Perspektive.«
Für die Freien Wähler hielt Fraktionschef Pèter Vida dem Ministerpräsidenten vor, er habe in seiner Regierungserklärung im Jahr 2014 das Gegenteil von dem verkündet, was er heute sage. Vida empfahl eine Analyse mit Fakten zu untermauern. Man könne nicht von einem ohnehin bald erschöpften Vorrat an Braunkohle sprechen: Die noch im Boden liegenden 3,6 Milliarden Tonnen »würden für 60 Jahre reichen«. Der Kohleverstromung werde vielmehr durch den Emissionshandel der Garaus gemacht. Das Überangebot an Windenergie und Solarstrom verteuere die Energie. Entschieden wies Vida die Annahme zurück, der US-Konzern Tesla habe Brandenburg aufgrund der verfügbaren »erneuerbaren Energien« als Standort für seine neue Autofabrik in Grünheide gewählt. Vielmehr plane Tesla, den Energiebedarf des Werks hauptsächlich mit Erdgas zu decken. »Ein Märchen wird nicht dadurch wahrer, dass man es ständig wiederholt«, meinte Vida.
Dieter Freihoff vom Sorbenrat des Landtags sprach von einem wegen der Tagebaue »mit vielen Narben durchsiebten Siedungsgebiet« der sorbischen Minderheit. Immer noch bedürfe es der kräftezehrenden Beharrlichkeit ihrer Vertreter, um zu erreichen, dass die Belange der Sorben bei den Entwicklungsplänen und Konzepten mitgedacht werden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.