Mehr als ein Bett für eine Nacht

Sozialsenatorin will Berliner Wohnungslosenunterbringung neu regeln

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 6 Min.

Wie ist die Unterbringung von wohnungslosen Menschen in Berlin geregelt?

Für die Unterbringung von Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen oder bedroht sind, sind die Bezirke zuständig: Menschen, die ihre Wohnung verloren haben oder kurz davor sind, sie zu verlieren, gehen zur Sozialen Wohnhilfe in ihrem Bezirk und die bringt sie dann unter. Wenn wir von Wohnungslosen reden, dann denken viele an Menschen, die auf der Straße leben. Das stimmt auch, aber wir haben eben viel mehr Menschen, die untergebracht werden müssen, die gar nicht erst auf der Straße landen - zum Glück. Für die Menschen, die jetzt in den Flüchtlingsunterkünften leben, ist das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) zuständig. Bei sehr vielen von ihnen sind aber die Asylverfahren längst abgeschlossen, sie sind statusgewandelt, bekommen Arbeitslosengeld oder Grundsicherung im Alter, oder sie arbeiten. Aber sie haben keine Wohnung und gelten daher als wohnungslos. So bringt das LAF auch sehr viele wohnungslose Menschen mit Fluchthintergrund unter, für die eigentlich die Bezirke zuständig sind. Hier reden wir von über der Hälfte der Menschen, die in den Unterkünften leben.

Elke Breitenbach

Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) erklärt im Gespräch mit Claudia Krieg das Konzept einer gesamtstädtischen Steuerung zur Unterbringung der von Wohnungslosigkeit betroffenen und bedrohten Berliner*innen, das sie am Donnerstag im Sozialausschuss des Abgeordnetenhaus vorstellte. Aktuell sind laut Breitenbach 38 000 Menschen provisorisch untergebracht und wohnungslos gemeldet. Betroffen sind auch 12 000 Flüchtlinge mit Aufenthaltstitel, die keinen Wohnraum erhalten, sowie Obdachlose und Menschen, die zum Beispiel bei Verwandten unterkommen.

Warum ist das so?

Zuerst einmal haben wir nicht ausreichend bezahlbaren Wohnraum. Das heißt, sehr viele Menschen, die einmal ihre Wohnung verloren haben, finden auch erst mal keine neue. Viele kommen auch nicht mehr aus den Unterkünften raus. Das heißt, ich benutze jetzt mal diesen Begriff, die Unterkünfte »verstopfen«. Bei den Unterkünften des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) - dorthin vermitteln die Bezirke - haben wir zudem einen großen Wildwuchs. Weil es hier nicht immer Verträge gibt, gibt es auch keine Mindeststandards und Kontrollen. Es gibt auch sehr gute ASOG-Unterkünfte, keine Frage. Grundsätzlich anders ist es aber nur in den LAF-Unterkünften. Hier haben alle Betreiber Verträge, Mindeststandards sind festgelegt und werden auch kontrolliert.

Was bedeutet das für die Gäste der Unterkünfte?

Abgesehen von den manchmal sehr prekären Lebensverhältnissen in nicht standardgemäßen Unterkünften ist nicht immer abgesichert, dass man sich um die Menschen kümmert und ihnen beispielsweise eine Beratung und einen Weg raus aus der Unterkunft anbietet - für ein eigenständiges Leben, mit Wohnung, Arbeit und was sonst noch dazugehört. Stattdessen bleiben die Menschen oft über viele Jahre, vermutlich sogar Jahrzehnte, dort. Manche haben eine Unterkunft und dann sind sie auf einem guten Weg, finden vielleicht eine Arbeit, brechen dann aber wieder zusammen und landen in einer anderen Unterkunft. Wir haben auch Leute, die so schwer krank sind, dass sie vermutlich nie mehr ein anderes Leben führen können. Niemand hat einen wirklichen Überblick. Und genau das ist nicht hinnehmbar. Weder im Sinne dieser Menschen, noch im Sinne öffentlicher Gelder.

Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?

Wir möchten jene Menschen, die in Not und wohnungslos sind und Unterstützung brauchen, gut unterbringen, gemäß ihren Bedürfnissen. Für jemanden im Rollstuhl, der die Wohnung verloren hat, muss die neue Unterkunft auch barrierefrei sein. Kindeswohl oder Frauenschutzkonzepte müssen umgesetzt sein. Ein Beispiel: Eine Familie mit minderjährigen Kindern, die ihre Wohnung verloren hat, die kann ich nicht in eine Unterkunft setzen, wo viele Menschen leben, die ein hohes Suchtpotenzial haben oder viele Suchtkrankheiten haben. So was funktioniert nicht.

Wie funktioniert es besser?

Solche Dinge passieren ja nicht aus Bösartigkeit oder Gedankenlosigkeit. Wenn eine Familie mit ihren Kindern Hilfe braucht, wird sie untergebracht, damit sie nicht im Park schlafen muss. In der Regel wird dann in den Bezirken nach freien Plätzen herumtelefoniert. Das ist aufwendig. Deshalb soll es künftig eine gesamtstädtische Steuerung (GStU) geben. Das heißt, es gibt ein Programm, in das man eingibt: Suche Unterkunft für Familien oder für Frauen, für eine Mutter im Rollstuhl, also barrierefrei, minderjährige Kinder, die einen kurzen Schulweg brauchen, und so weiter. Dann bekommt man alle Möglichkeiten, wo diejenigen untergebracht werden können. Zur weiteren Erleichterung wird auch geguckt, dass mit der Kostenübernahme alles stimmt. Mit dieser Software starten wir demnächst ein Pilotprojekt mit einzelnen LAF-Unterkünften, weil diese die nötigen Voraussetzungen mitbringen. Dann werden wir gemeinsam mit den Bezirken nach und nach die ASOG-Unterkünfte einbeziehen. Die GStU bekommt auch eine Servicestelle. Hier wird auch eine unabhängige Beschwerdestelle angedockt, die in Zukunft bei der Unterbringung in allen Unterkünften eine Rolle spielt. Insgesamt wird das ein relativ langer Prozess. Aber so kann gesamtstädtische Steuerung funktionieren.

Es soll ja auch darum gehen, dass Menschen aus Unterkünften rausziehen können.

Ja, das ist mitgedacht. In den Unterkünften müssen Beratungsangebote nachgewiesen werden. Das heißt nicht, dass jede Unterkunft die Beratung selbst machen muss. Wir haben ein großes Netzwerk von Beratungsstellen in der Stadt. Die Menschen haben sehr unterschiedliche Probleme. Viele von ihnen kommen gar nicht erst in die Unterkunft, weil sie zwar Anspruch auf Leistungen hätten, aber keine bekommen. Viele andere Menschen, die auf der Straße leben, wollen jedoch untergebracht werden. Dafür brauchen sie die entsprechenden Voraussetzungen, zum Beispiel die Kostenübernahme vom Bezirk oder vom Jobcenter. Sind die Menschen untergebracht, müssen sie nicht mehr überlegen »Wo kann ich duschen, auf die Toilette, wo bekomme ich mein Essen her?« Dann kann man sich die anderen Probleme anschauen. So wird es in den Verträgen mit den Unterkünften stehen: Es müssen entsprechende soziale Leistungen erbracht werden. So wie in den LAF-Unterkünften.

Wer soll für das Vorhaben zuständig sein?

Es gibt noch keine Entscheidung. Ich darf auch gar keine treffen. Meine Aufgabe ist es, Entscheidungen für Abgeordnete so vorzubereiten, dass ich ihre Fragen beantworten kann. Im Vorfeld brauche ich die unterschiedlichen Kompetenzen der Menschen in den Verwaltungen. Dann muss das Abgeordnetenhaus entscheiden. Auch bei der diesjährigen Strategiekonferenz der Wohnungslosenhilfe werden wir vorstellen, wo wir jetzt stehen. Ich möchte weiterhin die Stadtgesellschaft in die Auseinandersetzung einbeziehen.

Was muss noch in trockene Tücher gebracht werden, damit es über die Coronakrise hinaus hält?

Ein Wort zur Coronakrise: Im Bereich Wohnungslosigkeit haben wir Sachen ausprobiert, die vorher so nicht möglich gewesen wären. Wir haben sofort drei 24/ 7-Unterkünfte für unglaublich viel Geld geschaffen. Eine These, die es seit vielen Jahren gibt, ist ja: Man bringt Menschen vorbehaltlos unter. So, dass sie sich erst mal um sich selbst kümmern können. Dann kommen sie an einen Punkt, an dem sie offen sind für Beratungen und bereit, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. So wie beispielsweise bei Housing First. Andere geplante Projekte können wir nicht umsetzen, weil wir nie über eine Pandemie nachgedacht haben, Stichwort Safe Places. Auch die Idee, Grundstücke zu nehmen und dort Tiny Houses hinzustellen, ist gerade keine Option mehr. Wir brauchen aber eine Diskussion über die Unterbringung in Frauenhäusern, in der Jugendhilfe, in Seniorenwohnheimen, in der Obdachlosenhilfe - überall, wo Menschen zu zweit in einem Zimmer untergebracht sind und die vorgeschriebenen Abstandsregelungen nicht immer einhalten können. Ich möchte gerne, dass die gesamtstädtische Steuerung der Unterbringung bis zum Ende der Legislatur in Sack und Tüten ist. Das heißt für mich in erster Linie, dass sie funktioniert. Wir müssen Menschen wirklich eine Alternative fürs Leben anbieten und nicht nur ein Bett für die Nacht.
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