Verkapptes Nazitum
Kevin Rittbergers Stück »Schwarzer Block« am Berliner Gorki-Theater
Beim politischen Theater hat man oft den Eindruck, es ginge vor allem darum, dass sich am Ende alle einig sind. Mit strahlendem Gesicht beklatschen sich dann Parkett und Bühne gegenseitig mit dem guten Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Ein solches Verständnis von Theater kann man Kevin Rittberger nicht vorwerfen. Rittberger, der sowohl als Regisseur als auch als Theaterautor arbeitet, ist mit seinem neuen Stück »Schwarzer Block« nicht auf Konsens aus. Er meint es ernst mit dem politischen Anspruch, er übertritt die Schmerzgrenze. So mögen sich noch alle vernünftigen Menschen einig sein, dass Nazis in unserer Gesellschaft keinen Platz haben sollen, dass sie »raus« gehören. Wenige aber wären bereit, dieses »raus« zu konkretisieren, Gewalt zu befürworten oder gar selbst jemanden mit der falschen Gesinnung ins Krankenhaus zu prügeln. Ebenso unpopulär ist wohl die Ansicht, der Staat steckte insgeheim mit den Faschisten unter einer Decke und es fände sich wohl auch keine Mehrheit für die These, Polizisten seien auch nur »gut bezahlte Hooligans«. Rittberger aber hat nicht nur zur Geschichte des antifaschistischen Kampfes recherchiert, er verhält sich auch durchaus affirmativ zum »Schwarzen Block«, dem er seine Textfläche widmet.
Das Geschehen findet, wohl auch coronabedingt, nur zu einem kleinen Teil auf der Bühne statt, über große Strecken verfolgt man das Spiel als Projektion und über Kopfhörer. Regisseur Sebastian Nübling gilt als Experte für flächige Stück, er ringt noch dem störrischsten Textungeheuer Tempo und Rhythmus ab. So auch an diesem Abend, an dem er sein 14-köpfiges Ensemble durchs Foyer, auf dem Hof umher und durch die benachbarte Spielstätte Container hetzt. Mit weißen Fetzen im Gesicht, als Gespenster markiert, tauchen sie vor der Handkamera auf, als Wiedergänger aus der deutschen Geschichte, die nicht über diese hinwegkommen können, solange der Feind noch marschiert. »Staat! Nation! Kapital!«, skandieren sie und setzen ein beherztes »Scheiße!« hinten dran.
Wenig differenziert ist das Weltbild dieser Verteidiger der freien Gesellschaft, nur intern gibt es viele offene Fragen. Zum Beispiel immer wieder diese: »Warum eigentlich keine Einheit zwischen SPD und KPD gegen den Faschismus?« Ernst Thälmann wird als ein Schuldiger ausgemacht, sah der doch die SPD als den Hauptfeind, schlimmer als die Nazis.
Aber die Sozialdemokraten kommen auch kein Stück besser weg: »Matrosen mit dem Versprechen / Dass ihr Sold ausgezahlt wird / In einen Hof der Französischen Straße gelockt /Von Freikorps mit schweren Waffen empfangen / Den Auftrag gab Reichswehrminister Noske«. Auch die DDR bekommt noch ihr Fett weg, wollte der antifaschistische Arbeiter- und Bauernstaat doch noch 1989 nichts von der real existierenden Antifa wissen, die Rechtsradikale von ihren Straßen gescheucht hat. »Stell dir vor!«, nölt Publikumsliebling Svenja Liesau da empört.
So zerstritten die Linke immer war, so eindeutig sieht Rittberger die Aufgabe des Schwarzen Blocks, jener für ihn offenbar reinsten Erscheinungsform politischer Kämpfer. Eben dieser Kampf stellt sich für ihn, laut Programmheft, folgendermaßen dar: »Auf der einen Seite die starken Ichs, die sich formulieren, um sich politisch nach oben (wo auch immer das ist) zu drücken.« Auf der anderen die »schwachen Ichs« der anarchistischen Linken, die der Macht per se misstrauen. Für Rittberger scheint das nicht nur eine Beschreibung einer konkreten Situation in der deutschen Geschichte zu sein, er denkt Gesellschaft generell von ihren Rändern her, sieht sie - in guter marxistischer Tradition - als Kampfplatz dieser zwei Opponenten an, mit Gültigkeit bis heute. Wo in diesem Schema ist die Zivilgesellschaft, darf man fragen. Wo sind die Institutionen? Und was treibt eigentlich der Staat? Von dem ist hier offenbar kein Schutz vor dem drohenden Umsturz zu erwarten. In diesem Denken kann man dessen Gewaltmonopol nur fürchten, wird er es doch im besseren Falle nur gegen die Progressiven einsetzen, im schlechteren leichthin dem rechten Mob überlassen.
Das Resultat dieser Rechnung ist Alarmismus und Paranoia, ist das Ausweiten eines Unsicherheitsgefühls auch bei jenen, die bislang von Opern verschont geblieben sind, jener Mittelschicht, die sich weigert für die eine oder andere Seite in den Kampf zu ziehen. Man darf annehmen, dass Rittberger sie für mitschuldig hält, dass er jeden Differenzierungsversuch als naiv diskreditiert oder schlimmer noch: als verkapptes Nazitum. In einer wirklich witzigen Szene kommt das gut zum Ausdruck. Auf dem Vorplatz zünden die Demonstranten Bengalos, lärmen und skandieren, während Polizisten sie mit Wasserwerfern zurückdrängen, da fährt mit einem Mal ein BMW vor. Am Steuer sitzt Çiğdem Teke, die in biederster Manier zu politisieren beginnt, sich aber bald schon in die völkische Parolen eines Björn Höcke hineinsteigert. »Um Grausamkeit, wohltemperiert / Werden wir nicht herumkommen«. Die Meute jagt sie sogleich von Hof, ein Außenspiegel geht auf ihrer Flucht in die Brüche.
Auch Aram Tafreshian löst sich einmal aus dem Block des Ensembles. Als martialisch gepanzerter Polizist drischt er in Zeitlupe auf die vermummten Demonstranten ein und schildert anschaulich, wie sich die Sache aus seiner Sicht darstellt: »Ich verliebe mich ja auch im Urlaub nicht / Ernsthaft in eine Südländerin / Das hat wirklich gar nichts mit Rassismus zu tun.« Man braucht nichts gegen Polizisten haben, um diesen Monolog grandios zu finden. So wie der ganze Abend ohnehin in seiner Verweigerung zur Differenzierung Lust macht: vor allem Lust zu widersprechen. Und damit ist schon viel gewonnen.
Weitere Vorstellungen: 12., 19., 20.9. und 1., 2., 4.10.
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