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Für Sachsens Grüne wird es ungemütlich
Regierungsneuling verärgert über Verstöße gegen Koalitionsvertrag bei Braunkohle und Abschiebungen
Vor gut einem Jahr wurde in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Als rund drei Monate später im Dezember der Vertrag für eine Koalition von CDU, Grünen und SPD vorgelegt wurde, staunten nicht zuletzt viele Grüne darüber, wie viele eigene Forderungen ihre Unterhändler in dem Papier untergebracht hatten: zu Klimapolitik, Integration oder öffentlichem Nahverkehr. An der Basis griff eine regelrechte Euphorie um sich: 93 Prozent der Teilnehmer an einem Basisentscheid stimmten für den Vertrag und die erste Beteiligung an einer Regierung im Land.
Seither gab es zunächst wenig Grund, die Begeisterung fahren zu lassen. Im Kabinett setzten der grüne Minister für Landwirtschaft sowie seine Kollegin im Bereich Justiz Akzente, indem sie sich um bessere regionale Vermarktung von Agrarprodukten und um geschlechtergerechte Sprache in Rechtstexten kümmerten. Im Landtag funktionierte das Bündnis augenscheinlich ebenfalls reibungslos. Boshafte Tritte gegen das Schienbein, wie sie in der gleichfarbigen Koalition in Sachsen-Anhalt seit 2016 an der Tagesordnung waren, schien es in Sachsen nicht zu geben.
Nun aber wird es doch ungemütlich für die grünen Regierungsneulinge. Gleich an mehreren Stellen flammen Konflikte auf, die die grüne Basis ins Mark treffen. Prominentestes Beispiel: der Streit um Mühlrose. Das Dorf in der Lausitz ist seit Jahren vom Kohlebergbau bedroht. Die Mehrzahl der Bewohner hat sich für die Umsiedlung entschieden, einige wollen aber bleiben. Für die Grünen gehört die Rettung solcher von der Kohle bedrohten Orte zur politischen DNA. Dem bei Leipzig gelegenen Pödelwitz sicherte der Koalitionsvertrag explizit den Erhalt zu. Für die Lausitz einigte man sich, dass »keine Flächen in Anspruch genommen werden (...), die für den Betrieb der Kraftwerke im Rahmen des Kohlekompromisses nicht benötigt werden«.
Nach Ansicht der Grünen gilt das auch für den Ort. Dennoch begann der Kohleförderer Leag dort jetzt mit dem Abriss zweier Häuser. Das sei eine »reine Machtdemonstration und weitere Provokation«, empört sich Grünen-Energieexperte Daniel Gerber. Fachleute seien sich einig, dass die Kohle unter dem Ort nicht benötigt werde. »Im Koalitionsvertrag sind klare Grenzen gesetzt«, fügte er an: »Wir betrachten diese weiterhin als bindend.« Der Landesparteirat der Grünen forderte per Beschluss vom Samstag den zuständigen SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig auf, den »Aktionen« des Kohleförderers »Einhalt zu gebieten«. Wie der Konflikt ausgeht, ist offen.
Gleiches gilt für einen schwelenden Zwist zum Thema Abschiebungen. Diese in der Regierung mittragen zu müssen, ist für die Grünen ohnehin eine harte Nuss. Immerhin beteuerte man, sie »so human wie möglich« gestalten zu wollen. So solle auf Familientrennung und die Abholung aus Bildungseinrichtungen »möglichst« verzichtet werden, heißt es im Vertrag. Nun gab es aber schon mehrere Fälle, in denen das geschah, so zuletzt am 1. September bei einer Sammelabschiebung nach Georgien. Der Sächsische Flüchtlingsrat sah einen Verstoß gegen den Koalitionsvertrag. Petra Čagalj-Sejdi, Fachpolitikerin der Grünen, stimmte unumwunden zu und distanzierte sich von der Praxis der CDU und ihres Innenministers, »gemeinsame Absprachen willkürlich zu missachten«.
Und schließlich sorgt auch noch der Festakt des Landtags zum Tag der Deutschen Einheit für Zwist. CDU-Landtagspräsident Matthias Rößler lud dafür seinen Parteifreund Arnold Vaatz als Festredner ein. Grüne und SPD sind entsetzt. Vaatz, der für die CDU im Bundestag sitzt, driftet politisch zusehends nach rechts und spricht etwa von einem »totalitär« gewordenen »Diktat der Presse« gegenüber der Politik. Vaatz’ Einladung sei »taktlos und geschmacklos«, sagt Grünen-Fraktionschefin Franziska Schubert und kritisiert, dass es Rößler »nicht für nötig gehalten hat, sich mit uns abzusprechen«. Das illustriere eindrücklich die »unterschiedliche politische Kultur« der Koalitionspartner. Sollte Rößler an Vaatz als Redner festhalten, werde ihre Fraktion nicht am Festakt teilnehmen. Gleiches planen die SPD und die oppositionelle Linke.
Schubert räumt mit Blick auf die jetzt parallel aufgeflammten Konflikte ein, die Stimmung im Regierungsbündnis sei »schon besser gewesen«. Gleichwohl handle es sich um »einzelne Themen«, die jeweils einzeln abgearbeitet werden müssten, sagte sie auf Anfrage des »nd«. Mit Blick auf Mühlrose etwa stellen die Grünen öffentlich klar, dass es keine rechtliche Grundlage für eine Abbaggerung gibt; weder ein entsprechender Revierplan der Leag noch ein darauf aufbauender Braunkohleplan lägen vor. Im Fall der Abschiebung werde man zum wiederholten Mal das Gespräch mit dem zuständigen Minister, CDU-Mann Roland Wöller, suchen.
Trotz deutlicher Unmutsbekundungen an der Parteibasis sieht Schubert freilich noch keine »existenzielle Krise« der sächsischen Koalition: »So fühlt es sich nicht an.« Gleichwohl bestehe angesichts der »geballten Masse« an Problemen Handlungsbedarf – nicht zuletzt für Regierungschef Michael Kretschmer (CDU). Es liege, sagt sie, »auch in der Verantwortung eines Ministerpräsidenten, zu einer Klärung zu kommen«.
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