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Kein Herz für die Erneuerbaren
Der Entwurf des Wirtschaftsministeriums für eine EEG-Reform erntet bei Experten mehr Kritik als Lob
Vor wenigen Tagen erlebte die Erneuerbaren-Branche in Deutschland eine 140-seitige Überraschung: Ohne viel Federlesens hatte das Bundeswirtschaftsministerium über die Sommerpause einen Entwurf für eine Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) zu Papier gebracht.
Die letzte Reform des EEG datiert aus 2017, als die Windkraft noch boomte, der Kohleausstieg in weiter Ferne lag sowie die EU, und mit ihr Deutschland, noch nicht beschlossen hatte, bis 2050 klimaneutral zu werden. Inzwischen ist dies Tatsache und gibt den Erneuerbaren einen neuen Stellenwert. Sie bilden jetzt das technologische Herzstück, um Wirtschaft und tägliches Leben wie geplant zu dekarbonisieren.
»Die Reform des EEG ist überfällig«, betont denn auch die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Im Blick hat sie dabei, dass ab Januar 2021 Zehntausende Ökostromanlagen, vor allem Photovoltaik-Dächer und Windräder, nach 20 Jahren Förderung ihren EEG-Zuschuss verlieren. Derzeit müssten diese, warnt Kemfert, aufgrund fehlender Rahmenbedingungen ab- und rückgebaut werden. Der Energiewende drohe somit das Aus.
Beim Solarstrom vom Dach verlieren im kommenden Jahr zwar nur Anlagen mit insgesamt 75 Megawatt Leistung ihren EEG-Zuschuss - etwa 0,15 Prozent der gesamten Photovoltaik-Leistung in Deutschland. Betroffen sind aber 18 000 sogenannte Solarpioniere, die sich um die Jahrtausendwende aller Skepsis zum Trotz eine Anlage aufs Dach setzen ließen. Bis 2025 verlieren sogar mehr als 100 000 Anlagenbesitzer ihre Förderung.
Zusammen mit ihren Verbänden setzen sie die Regierung derzeit per Social Media, Petitionen und Unterschriftenlisten gehörig unter Druck. Gefordert werden höhere Ausbauziele für Solarenergie, die Abschaffung der EEG-Umlage auf den Strom, den der jeweilige Haushalt vom eigenen Dach bezieht, eine bundesweite Solarpflicht für Neubauten sowie eine Regelung, um die alten Anlagen wirtschaftlich weiter betreiben zu können. Zehntausende aufgebrachte Solarstromer, die 2021 in einem Superwahljahr schlechte Stimmung gegen die Regierungsparteien machen, das kann niemand gebrauchen. Und so öffnete Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im hervorgezauberten Entwurf des EEG sein Herz für die Erneuerbaren.
»Der Entwurf korrigiert einige bisherige Fehlentwicklungen, indem beispielsweise windschwächere Regionen wie in Süddeutschland stärker berücksichtigt werden. Zudem sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren erleichtert werden«, bewertet Kemfert den Entwurf. Sie begrüßt auch die Verbesserungen beim Mieterstrom sowie die geplante finanzielle Beteiligung für Windkraft-Kommunen.
Hier greift das Wirtschaftsministerium im EEG 2021 eigene Ideen eines früheren Eckpunktepapiers auf. Vorgesehen ist eine Zahlung an die Anwohner von mindestens 0,2 Cent pro Kilowattstunde Windstrom. Bietet der Betreiber einen Bürgerstromtarif an, soll die Zahlung auf 0,1 Cent sinken.
Kritisiert am Gesetzentwurf werden allerdings die weiterhin viel zu niedrigen Ausbauziele bei den Erneuerbaren. So sieht bereits das 2019 beschlossene Klimaschutzprogramm der Bundesregierung vor, bis 2030 bei Photovoltaik insgesamt 98 000 Megawatt zu installieren. Dieses Ziel soll laut EEG-Entwurf minimal auf 100 000 Megawatt »erhöht« werden. Bei der Windkraft bleibt das Wirtschaftsministerium sogar innerhalb des Ausbaukorridors des Klimaprogramms, der bei 67 000 bis 71 000 Megawatt bis 2030 liegt. Da will sich Altmaier lediglich auf das Erreichen der Obergrenze gesetzlich festlegen.
Bei derart geringen Aufschlägen beim Ausbau mehren sich die Zweifel, wie die Regierung dann aber ihr eigenes Ziel erfüllen kann, bis 2030 einen Anteil von 65 Prozent Ökostrom am Stromverbrauch zu erreichen. Das Wirtschaftsministerium greift dafür zu einem Rechentrick: Entgegen der meisten Prognosen nimmt es für 2030 einen sehr niedrigen Strombedarf an, der nur wenig über dem heutigen liegt.
Das Herangehen Altmaiers gilt quer durch alle Verbände und allen Experten als viel zu wenig ambitioniert. Um die Klimaziele zu erreichen und eine Ökostromlücke zu vermeiden, hält Kemfert 2030 einen Anteil von sogar 75 Prozent Ökostrom für nötig. Dazu müssten jährlich bis zu 10 000 Megawatt Photovoltaik und bis zu 6000 Megawatt Windkraft an Land sowie bis 2030 insgesamt 25 000 Megawatt Windkraft auf See zugebaut werden. Grob überschlagen müsste die Stromkapazität der Erneuerbaren gegenüber heute mehr als verdoppelt werden.
Unzufrieden mit dem Entwurf des EEG 2021 sind auch die Betreiber, deren erneuerbare Anlagen aus der Förderung fallen. Falls diese es wagen, dann ihren Strom nicht mehr ins Netz einzuspeisen und ihn stattdessen selbst zu nutzen, müssten sich diese sogenannten Prosumer einen teuren »intelligenten« Zähler anschaffen, der die Ersparnisse größtenteils wieder auffrisst, prangert Energieexperte Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes an.
Für Leprich zieht sich die Angst des Gesetzgebers vor der dezentralen Bürgerenergie wie ein roter Faden durch den Gesetzentwurf. So werde der Eigenverbrauch weiter mit der EEG-Umlage belegt. Dach-Solaranlagen müssten künftig bereits ab 500 Kilowatt Leistung in das bürokratische Ausschreibungsverfahren und ab 2025 sogar ab 100 Kilowatt (bislang 750 Kilowatt).
Offenbar haben die Vertreter der Erneuerbaren noch einiges mit Altmaier auszufechten, bis dieser sein Herz für die Energiewende öffnet.
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