Paraguays Präsident Mario Abdo feiert am Tatort
Angehörige und Menschenrechtskommissariat der Vereinten Nationen fordern Aufklärung über die Tötung zweier Kinder bei Militäraktion
»Wir haben eine erfolgreiche Operation gegen das Ejército Paraguayo del Pueblo (EPP) durchgeführt. Bei einer Konfrontation wurden zwei Mitglieder dieser bewaffneten Gruppe getötet. Ein Offizier ist verwundet«, twitterte Präsident Mario Abdo am 2. September. Möglich ist, dass der Präsident zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, was eine Spezialeinheit tatsächlich angerichtet hatte. Kurze Zeit später wurde der Öffentlichkeit bekannt, dass die elfjährige María Villalba und ihre gleichaltrige Cousine Lilian Villalba durch zahlreiche Schüsse zu Tode kamen. Da die Mädchen die argentinische Staatsangehörigkeit besaßen, schaltete sich sofort Argentiniens Außenministerium ein und verlangte Aufklärung. Am Mittwoch will sich Abdo auf einer allerdings nicht öffentlichen Sitzung des Parlaments in Asunción erklären.
Die Spezialeinheit der paraguayischen Armee griff ein Lager der Guerillagruppe EPP an. Am Ende der Militäraktion bei Yby Yaú in der Provinz Concepción waren die zwei Kinder tot. Abdo ließ sich am Tatort mit den Militärs in Siegerpose fotografieren und löste damit Empörung aus.
Paraguays Regierung hatte zunächst behauptet, die beiden weiblichen Todesopfer seien volljährig und Mitglieder der Guerilla gewesen. Noch am Tag ihres Todes wurden sie auf richterliche Anweisung auf dem Friedhof von Yby Yaú begraben. Als Begründung für die rasche Beerdigung diente die Corona-Pandemie. Doch als drei Tage später die Identität der Mädchen bekannt wurde, ordnete eine andere Richterin die Exhumierung der Leichname und die Überführung in die Gerichtsmedizin in der Hauptstadt Asunción an.
»Mich hat die Reaktion des Präsidenten nicht überrascht«, sagte Lilians Mutter Miriam Villalba. »Er folgt der gleichen Linie wie (der ehemalige Diktator, d. Red.) Alfredo Stroessner, der der paraguayischen Bevölkerung so viel Schaden zugefügt hat.« Nach ihren Schilderungen wurden ihre Tochter und ihre Nichte in Argentinien geboren. Beide lebten bei ihrer Oma in der dortigen Provinz Misiones. Sie selbst und ihre Familie stamme aus Paraguay. Die Väter der beiden Mädchen seien Mitglieder der Guerilla. Mit Lilians Vater sei sie nicht mehr zusammen. Dennoch leide ihre Familie seit Jahren unter der Verfolgung durch den paraguayischen Sicherheitsapparat. »Der größte Traum der Mädchen war es, ihre Väter zu treffen«, so Villalba. Deshalb seien die zwei im vergangenen November nach Paraguay gereist. Die Grenzschließung wegen der Corona-Pandemie habe die Rückkehr der Mädchen nach Argentinien verhindert. Jetzt sollen im Laufe der Woche ihre Leichname nach Misiones überführt werden.
Die paraguayische Volksarmee EEP ist eine Guerilla-Organisation, die seit Mitte der 1990er aktiv ist. Die Gruppe agiert im Nordosten Paraguays und machte bisher mit Entführungen und Anschlägen von sich reden. Sie wendet sich gegen die Konzentration des Eigentums am Boden und gegen die Gewalt lokaler Großgrundbesitzer gegen Aktivisten kleinbäuerlicher Organisationen. Ihre Mitgliederzahl wird auf 50 bis 100 Personen geschätzt. Offizielle Verlautbarungen der Gruppe gibt es nicht, auch keine zu dem aktuellen Vorfall.
Internationale Aufmerksamkeit erregte die EEP erstmals im September 2004 mit der Entführung von Cecilia Cubas, der Tochter des früheren Präsidenten Raúl Cubas. Fünf Monate später wurde Cecilia Cubas tot aufgefunden. Die letzte große Aktion des EPP datiert auf das Jahr 2016, als bei einem Bombenanschlag auf ein Militärfahrzeug acht Soldaten getötet wurden.
»Sie haben die Mädchen gefangen genommen, gefoltert und hingerichtet«, klagt Lilians Mutter Paraguays Regierung und Militär an. »Sie haben ihre Kleider verbrannt und sie in Tarnuniformen gesteckt. Dann haben sie sie gemeinsam in einem Karton begraben«, sagte Villalba am Montag während einer Demonstration im argentinischen Posadas, auf der einige Hundert Menschen Aufklärung und Gerechtigkeit forderten.
Aufklärung über diesen Angriff verlangt auch das UN-Menschenrechtskommissariat (OHCHR). »Es handelt sich um einen sehr gravierenden Vorfall, bei dem zwei Mädchen ums Leben kamen, die der Staat zu schützen hatte, weil er dazu verpflichtet ist, die Menschenrechte aller Mädchen, Jungen und Jugendlichen in diesem Land zu schützen«, erklärte Jan Jarab, der Südamerika-Repräsentant Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte.
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