EU will nach Brand in Moria 400 Kinder auf griechisches Festland bringen

Auch Seehofer bietet Griechenland Hilfe an /Großbrand in Moria weitgehend unter Kontrolle/ Größtes griechisches Flüchtlingslager teilweise evakuiert / Brandursache bisher unklar

  • Lesedauer: 6 Min.

Brüssel. Nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos hat die EU-Kommission Unterstützung angeboten. Sie habe die Finanzierung der sofortigen Verlegung und Unterbringung der 400 dort noch verbliebenen unbegleiteten Minderjährigen auf das griechische Festland genehmigt, erklärte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am Mittwoch. Aus dem Europaparlament kamen fraktionsübergreifend Forderungen nach einer umgehenden Evakuierung der überfüllten Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, die EU und ihre Mitgliedstaaten seien zur Hilfe bereit. Priorität für die EU habe der Schutz derjenigen, die durch den Brand ihre Unterkunft verloren hätten. Von der Leyen schickte ihren griechischen Vizepräsidenten Margaritis Schinas nach Griechenland, um sich ein Bild von der Lage zu machen.

Auch EU-Ratspräsident Charles Michel teilte mit, die EU sei in Kontakt mit den griechischen Behörden und bereit, Unterstützung zu leisten.

Auch Deutschland hat Hilfe angeboten. «Wir befinden uns seit gestern in intensiven Gesprächen mit der griechischen Regierung», schrieb der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Steve Alter, am Mittwoch bei Twitter. Er erklärte: «Wir haben Griechenland in der Vergangenheit geholfen und wir werden selbstverständlich auch jetzt helfen». Innenminister Horst Seehofer (CSU) habe dies bereits angeboten. Wie genau diese Hilfe aussehen könnte, teilte er nicht mit.

Auch der Berliner Senat seine Bereitschaft unterstrichen, 300 Betroffene im Rahmen eines Landesprogramms rasch aufzunehmen. «Hierfür gibt es die personellen und organisatorischen Kapazitäten in unserer Stadt. Dazu stehen wir nach wie vor», erklärte Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Mittwoch. Bislang habe Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) seine Zustimmung für eine solches Landesprogramm leider verweigert, nun sei er umso mehr in der Pflicht.

Auch Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) fordert von Seehofer eine Abkehr von seiner bisherigen ablehnenden Haltung. «Die Situation in Moria ist nicht mehr nur prekär, sie ist lebensbedrohlich», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. «Wir müssen diese Menschen retten, das gebietet eine humane Flüchtlingspolitik.» Deshalb fordere ich den Bundesinnenminister erneut auf, dass er endlich aktiv wird und dass er zulässt, dass wir, die sagen «Wir haben Platz für diese Menschen in Not» sie endlich auch hierherholen können.«

Großbrand in Flüchtlingslager weitgehend gelöscht

Der Großbrand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist nach Regierungsangaben seit dem frühen Mittwochmorgen weitgehend unter Kontrolle. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis habe für den Vormittag ein Krisentreffen in Athen einberufen, sagte Regierungssprecher Stelios Petsas dem staatlichen Fernsehsender ERT weiter. Neben dem Migrations- und dem Bürgerschutzminister sollen daran auch der Chef des griechischen Nachrichtendienstes (EYP) und der Generalstabschef teilnehmen. Man vermute organisierte Brandstiftung, so Petsas.

Griechenlands größtes Flüchtlingslager war in der Nacht in Flammen aufgegangen. Das Lager Moria auf der Ägäis-Insel Lesbos wurde nach Ausbruch mehrerer Brände in der Nacht zum Mittwoch teilweise evakuiert, wie die Feuerwehr mitteilte. Nach Angaben eines Fotografen der Nachrichtenagentur AFP brannte fast das gesamte Lager. Die Ursache der Feuer war zunächst unklar.

Nach Angaben der Feuerwehr waren mehrere Brände innerhalb des Lagers wie auch in der Landschaft der Umgebung ausgebrochen. Der AFP-Fotograf berichtete in der Nacht, auch ein außerhalb des Hauptlagers liegender Olivenhain mit Zeltunterkünften für Flüchtlinge brenne. Asylbewerber flüchteten dem Fotografen zufolge zu Fuß in Richtung des Hafens der Inselhauptstadt Mytilini. Dabei seien sie jedoch von Polizeiwagen gestoppt worden.

Die Flüchtlingshilfsorganisation Stand by Me Lesvos schrieb im Internetdienst Twitter: »Alles brennt, die Menschen fliehen.« Augenzeugen berichteten der Organisation zufolge, dass Einwohner flüchtende Asylbewerber daran gehindert hätten, ein nahegelegenes Dorf zu betreten.

Ob die Brände von Migranten oder Inselbewohnern gelegt wurden, blieb vorerst unklar - die Angaben dazu gingen zunächst auseinander: Nach Ausbruch des Feuers hätten Lagerbewohner die Feuerwehrleute mit Steinen beworfen und versucht, sie an den Löscharbeiten zu hindern, berichtete der Einsatzleiter im Fernsehen. Sondereinheiten der Bereitschaftspolizei waren im Einsatz. Videos in sozialen Netzwerken zeigten herumirrende, verängstigte Menschen und auch solche, die »Bye bye, Moria!« sangen.

"Wir haben Platz"-Kundgebungen in Solidarität mit den Geflüchteten aus Moria am 9. September 2020

Viele der mehr als 12 000 Migranten und Flüchtlinge, die zuletzt im Lager lebten, flohen in die umliegenden Wälder und auf Hügel, andere machten sich auf den Weg zur Inselhauptstadt Mytilini, wie griechische Medien berichteten. Stellenweise sollen sich ihnen Inselbewohner entgegengestellt und ihnen den Weg versperrt haben.

Bei der Teilevakuierung des Lagers waren laut Feuerwehr 25 Feuerwehrleute sowie zehn Wagen im Einsatz. Die griechische Nachrichtenagentur ANA meldete, die Brände seien nach einer Revolte in dem Lager ausgebrochen. Einige Flüchtlinge hätten dagegen protestiert, dass sie isoliert untergebracht werden sollten, nachdem sie positiv auf das Coronavirus getestet worden seien oder direkten Kontakt zu Infizierten gehabt hätten.

Mission Lifeline: Abriegelung hat das Fass zum Überlaufen gebracht

Axel Steier, Mitbegründer des Dresdner Vereins Mission Lifeline, ordnet das Geschehen so ein: »Aufgrund der katastrophalen humanitären Situation und weitreichenden Ausgangsbeschränkungen wegen Covid19, sind die Menschen in Moria extremem psychischem Stress ausgesetzt. Die Abriegelung des Lagers hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Geflüchteten in Moria werden nicht wie Menschen behandelt. Wir haben davor gewarnt, dass es eskaliert. Wir haben unter anderem die Bundesregierung wieder und wieder aufgefordert, alle Menschen aus den griechischen Lagern zu evakuieren. Doch kaum etwas ist passiert.«

NRW-Integrationsminister Joachim Stamp hat angesichts des verheerenden Feuers im Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos zu schneller Hilfe aufgerufen. »Es ist erbärmlich, dass die EU so lange zugeschaut hat, bis es in Moria zu dieser Eskalation gekommen ist«, sagte der FDP-Politiker am Mittwoch. »Deutschland hat die Ratspräsidentschaft inne und trägt Verantwortung.« Es sei unmittelbares Handeln notwendig, um es nicht zur humanitären Katastrophe kommen zu lassen.

Die Bundesländer hatten Hilfe angeboten, der Bund müsse nun die Koordination übernehmen. Zugleich kritisierte Stamp laut Mitteilung, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) seien bisher untätig geblieben. »Das muss sich sofort ändern. Wenn die EU nicht in der Lage ist, wenige Tausend Migranten menschenwürdig unterzubringen, ist das eine Bankrotterklärung der europäischen Werteordnung.«

Moria ist seit Jahren völlig überfüllt. Das Lager ist für rund 2800 Menschen ausgelegt, doch leben dort mehr als 12.700 Asylsuchende unter schwierigsten Bedingungen. In der vergangenen Woche war dort der erste Fall einer Coronavirus-Infektion festgestellt worden. Das Lager wurde daraufhin unter Quarantäne gestellt. Seither wurden nach Angaben des griechischen Migrationsministeriums in dem Lager etwa 2000 Corona-Tests ausgeführt und dabei 35 Infektionsfälle diagnostiziert. Agenturen/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -