Senat nimmt Verfassungsschutz in Schutz

Kritik an Geheimdienst wegen Fehleinschätzung zur Lage vor Reichstagsgebäude zurückgewiesen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.

Hat der Berliner Verfassungsschutz die Auswirkungen der Teilnahme von Rechtsextremisten an den sogenannten »Querdenken«-Protesten gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung am 29. August im Vorfeld unterschätzt? Dieser Frage ging am Mittwoch der Verfassungsschutzausschuss im Abgeordnetenhaus nach. »Die eine Situation am Bundestag hat gezeigt, dass die Gefahr nicht richtig eingeschätzt wurde«, sagte der Innenexperte der Linksfraktion, Niklas Schrader mit Blick auf die Ausschreitungen vor dem Reichstagsgebäude, dessen Treppe kurzzeitig von Hunderten Rechtsextremisten und sogenannten Reichsbürgern besetzt worden war. Ob der Berliner Verfassungsschutz in diese Fehleinschätzung einbezogen war, wollte der Abgeordnete der Linken allerdings nicht bewerten. Schrader kritisierte aber Äußerungen des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, die dieser vor und nach der Eskalation auf der Reichstagstreppe gemacht hatte: »Da entsteht der Eindruck, dass er seine nicht ganz zutreffende Einschätzung glattbügelt.«

Dass der Verfassungsschutz die Beteiligung von Rechtsextremen im Zusammenhang mit dem Demonstrationsgeschehen unterschätzt haben soll, hat Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) nach eigenem Bekunden »geärgert«. Er wies im Namen des Senats eine solche Kritik zurück. »Der Verfassungsschutz ist vollumfänglich seiner Aufgabe nachgekommen«, sagte Akmann. Auch vonseiten des Bundesamtes für Verfassungsschutzes habe es eine »tatkräftige Unterstützung« gegeben. Alle Informationen der Geheimdienste seien auch mit der Polizei ausgetauscht und in deren Lagebeurteilung eingeflossen, hieß es. Demnach sind beim Berliner Verfassungsschutz Hinweise eingegangen, dass Rechtsextremisten beabsichtigten, das Reichstagsgebäude zu besetzen. Vergleichbare Aufrufe habe es laut Akmann aber auch in der Vergangenheit gegeben. Sie seien Teil »der reichsbürgerlichen Verbalaggression«. »Dass es am 29. August tatsächlich dazu kommen würde, war für die Polizei und den Verfassungsschutz nicht vorhersehbar«, betonte Akmann.

Auch der Leiter der Abteilung Verfassungsschutz beim Berliner Innensenat, Michael Fischer, hat bislang keine Erkenntnisse, dass es sich beim Überwinden der Absperrungen vor dem Reichstagsgebäude um eine gezielte Aktion gehandelt haben könnte. Zwar wurde vom Versammlungsleiter der vor dem Reichstagsgebäude angemeldeten Kundgebung der extrem rechten Organisation »staatenlos.info« am frühen Nachmittag des 29. August dazu aufgerufen, die Absperrungen niederzureißen, um auf die Wiese vor dem Gebäude zu gelangen. Ursächlich dafür, dass die Absperrungen vor dem Bundestag tatsächlich überschritten wurden, sei aber eine weitere Rede einer Rednerin gewesen sowie, zweitens, der Zulauf von Hunderten Rechtsextremisten, die sich zuvor vor der Russischen Botschaft aufgehalten hatten, wo es zu Ausschreitungen mit der Polizei gekommen war. Es spreche viel für eine »spontane Situation«, sagte Fischer. Gleichwohl prüft der Berliner Verfassungsschutz, ob es im Vorfeld eine konkrete, klandestine Planung für den Angriff auf den Deutschen Bundestag gab.

Im Nachhinein fest steht, dass es verschiedenen rechtsextremen Organisationen und solchen aus dem sogenannten Reichsbürgerspektrum gelungen ist, Anhänger aus dem gesamten Bundesgebiet nach Berlin zu mobilisieren. Unter den laut Behörde bis zu 40 000 Teilnehmenden des »Querdenken«-Aufmarsches befanden sich demnach zwischen 2500 bis 3000 Rechtsextremisten. Dabei handelte es sich um Personen, die eindeutig durch Fahnen, Abzeichen oder andere Symbole zu identifizieren waren. Möglicherweise waren es noch mehr, die Behörden werten derzeit entsprechendes, umfangreiches Bildmaterial noch aus. »Klar ist, dass sich der Anteil von Rechtsextremisten und Reichsbürgern im Vergleich zum 1. August spürbar erhöht hat«, sagte Fischer. Besondere Sorgen bereitet dem Geheimdienst, dass es aus seiner Sicht eine neue Allianz zwischen der sogenannten neuen Rechten und »Reichsbürgern« gebe.

Auch für die Linksfraktion steht fest, dass das rechte Gedankengut bei »Querdenken« fest verankert ist. »Wer mit solchen Leuten mitläuft, den kann man in die rechte Ecke stellen«, sagt Niklas Schrader.

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