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- Pop-up-Radwege
Das Auto-Privileg muss fallen
Ohne Änderung der Bundesgesetze wird die Berliner Mobilitätswende nicht gelingen.
»Wir wollen definitiv diese Pop-up-Radwege behalten«, sagt die Rednerin. Jubel und Fahrradgeklingel schallen über den Berliner Hermannplatz. Eine Platzhälfte ist voll mit Rädern und Menschen, es sind wohl an die 200. Vorher an diesem Mittwochnachmittag ist die Kolonne unter dem Motto »Stoppt das Pollersterben« eine knappe Stunde lang mehr als die Hälfte aller aufgrund der Corona-Pandemie angelegten temporären Radwege abgefahren.
Am Montag hatte die 11. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts einem Eilantrag von zwei Mitgliedern der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus stattgegeben und verdonnerte die Senatsverwaltung für Verkehr, die acht bisher auf einstigen Autospuren eingerichteten Corona-Radspuren unverzüglich abzubauen. Der Senat sei »fälschlich davon ausgegangen, er müsse eine Gefahrenlage nicht begründen«, urteilte das Gericht. »Dies ist ein Sieg der individuellen Mobilität gegen den Autohass«, setzten die AfD-Abgeordneten zum Triumphgeheul an. Der CDU-Verkehrsexperte Oliver Friederici kommentierte dieses »Fiasko« für Grünen-Senatorin Regine Günther genüsslich. Es bleibe »ein Irrweg, immer nur auf Rad-Lobbyisten zu hören«. Ähnlich äußerte sich auch die FDP.
Noch am selben Tag kündigte die Verkehrsverwaltung an, gegen das Urteil Widerspruch vor dem Oberverwaltungsgericht einzulegen. »Die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts ist natürlich ärgerlich. Aber ich gehe mal davon aus, dass die nächste Instanz das Urteil zu den temporären Radwegen einkassiert«, sagt Tilman Bracher zu »nd«. Er ist Bereichsleiter Mobilität am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu), dem größten wissenschaftlichen Institut der Republik, das sich mit kommunalen Themen beschäftigt. »Paragraf 45, Absatz 9 der Straßenverkehrsordnung legt fest, dass für die Einrichtung von Radwegen das Vorliegen einer besonderen Gefahrenlage nicht erforderlich ist«, begründet er seine Ansicht. Er hat auch eine Vermutung, was Berlin falsch gemacht hatte, nämlich »dass die Radspuren mit gelben Baustellenmarkierungen angeordnet wurden«.
»Berlin zählt laut Polizei bereits 14 bei Verkehrsunfällen getötete Radfahrer dieses Jahr und das Verwaltungsgericht verlangt eine genaue Begründung des Sicherheitsgewinns für die Einrichtung von Radwegen auf jedem einzelnen Straßenabschnitt. Das zeigt den sehr großen Reformbedarf der Straßenverkehrsordnung«, sagt Dagmar Köhler zu »nd«. Sie leitet die Fahrradakademie des Difu, die Fortbildung, Information und Vernetzung für Verwaltung und Planer der Radverkehrsförderung anbietet. »Dabei gab es bereits 2009 einen wichtigen Paradigmenwechsel, dass die ›Sicherheit der Leichtigkeit des Verkehrs‹ vorgeht«, erklärt Köhler. Sichere Mobilitätssysteme zu errichten heiße, Menschen systematisch zu schützen und nicht allein auf das richtige Verhalten der Verkehrsteilnehmer zu hoffen.
»Von grundsätzlicher Bedeutung ist das besondere Privileg des Autoverkehrs in der Straßenverkehrsordnung. Die komplette Verordnung ist auf die ›Leichtigkeit und Flüssigkeit‹ des Verkehrs ausgerichtet«, legt Tilman Bracher dar. »Die Privilegierung der Autos geht so weit, dass man nicht einmal Parkplätze umnutzen kann, sie dienen schließlich dem sogenannten ruhenden Verkehr«, kritisiert er.
Bei der Lösung zahlreicher kommunaler Probleme steht die Straßenverkehrsordnung im Weg. Nicht nur bei der Wegnahme von Raum für Autos, sondern auch bei Tempobeschränkungen auf Hauptstraßen aus Lärm- oder Klimaschutzgründen. »Die Ausweisung von Tempo 30 auf Hauptstraßen ist derzeit eigentlich nur vor Schulen und Altersheimen möglich«, erläutert Bracher.
»Das Beurteilungs-Pingpong zeigt uns, dass wir eine Gesetzgebung haben, die auch für Juristen auf beiden Seiten nicht mehr handhabbar ist«, sagt Fahrradakademie-Leiterin Dagmar Köhler. »Gleichzeitig ist das Mittel der Klage das Effektivste geworden, um ein Anliegen durchzusetzen, wie das Beispiel der Deutschen Umwelthilfe bei den Diesel-Fahrverboten zeigt.«
Derweil tastet sich die Berliner CDU langsam an die Fahrradpolitik ran, allerdings mit angezogener Handbremse. Nicht umsonst heißt es in deren kürzlich vorgestelltem Mobilitätskonzept, dass Fahrräder den Autoverkehr »nicht unnötig behindern« sollen. Am Dienstag waren der Berliner CDU-Generalsekretär Stefan Evers, Mitglieder der Jungen Union (JU) sowie Vertreter des Fahrradclubs ADFC gemeinsam auf dem Rad durch Friedrichshain-Kreuzberg unterwegs.
Da ist sogar verhalten Positives zu den Pop-up-Fahrradwegen zu hören. »Sie zeigen auf jeden Fall, dass der Wille da war, Dinge schnell zu verbessern«, sagt der JU-Landesvorsitzende Christopher Lawniczak. Er sieht aber auch schnell Probleme, den möglicherweise könnte ja Platz für Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr fehlen. »Man muss die Nebenstraßen zu Hauptstraßen des Radverkehrs machen«, sagt auch Stefan Evers. Also diese beispielsweise asphaltieren, falls noch Kopfsteinpflaster liegt. Da lässt er sich auch nicht vom Einwand des ADFC-Bundesgeschäftsführers Burkhard Stork beirren, dass »die Ziele der Radfahrer nun mal an den Hauptstraßen liegen«. Evers setzt auf ominöse »intelligente Lösungen«. »Da können wir auch mal über den Verlust einer Fahrspur reden, jedenfalls dann, wenn der Autoverkehr nicht zum Erliegen kommt«, so der Generalsekretär. »Was offensichtlich nicht funktioniert, scheint die Vermittlung in die Nachbarschaft hinein zu sein«, kritisiert er an der »aktivistischen und aktionistischen« Vorgehensweise von Verkehrsverwaltung und Bezirk. »Fahrradfahren ist ein zutiefst bürgerliches Thema«, wirbt ADFC-Mann Stork.
»Die Straßenverkehrsordnung ist ein Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzung«, sagt die Linke-Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig zu »nd«. »Die Linke ist gut beraten, die Verkehrswende nicht anderen zu überlassen, denn es geht um soziale und ökologische Gerechtigkeit.« Leidig kündigt an, dass die Linke »initiativ wird und das Thema auf die Tagesordnung setzt«. Im Frühjahr 2019 hatte die Grünen-Bundestagsfraktion bereits eine Initiative für die Reform der Bundesverkehrsgesetzgebung gestartet - ohne nennenswerten Erfolg.
»Es läuft schon einige Zeit eine Diskussion über die Notwendigkeit eines Bundesmobilitätsgesetzes, das Thema wird in der nächsten Zeit richtiges Gewicht bekommen«, glaubt Mobilitätsexperte Bracher. Das wird allein schon nötig sein, damit das Berliner Mobilitätsgesetz seine volle Wirkung entfalten kann. »Es hat das juristische Problem, dass es eigentlich Bundesrecht relativieren will. Das geht nicht, da machen die Gerichte nicht mit«, sagt Bracher. »Es ist natürlich eine Maßgabe für die Mitarbeiter der Verwaltung, aber es ist nicht unmittelbar durchsetzbar.« Probleme gebe es beispielsweise bei den Busspuren, für deren Einrichtung eine hohe Frequenz von zwölf oder 20 Bussen pro Stunde eigentlich Voraussetzung ist. Auch für die Anordnung von Tempo 30 aus Lärm- oder Emissionsschutzgründen müsse ein aufwendiger Verwaltungsweg beschritten werden.
»Frankreich und Spanien haben in den letzten Jahren neue Mobilitätsgesetze vorangebracht. Weitreichende Maßnahmen wie wir sie derzeit in Paris, Mailand, Madrid, London oder Brüssel beobachten, wie autoarme Innenstadtgebiete, sind nicht über Nacht entstanden«, berichtet Dagmar Köhler.
Reformen für eine »menschenfreundliche Mobilität« voranbringen will die neue Lobbygruppe BundesRad, ein Zusammenschluss von Dutzenden Fahrradinitiativen, die laut eigenen Angaben eine halbe Million Unterstützer hat. Am Donnerstag hat sie dem »Parlamentskreis Fahrrad« im Bundestag ihre Forderungen übergeben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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