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Wieder Klartext reden
Vor den anstehenden Wahlentscheidungen werfen Thomas Händel und Klaus Ernst die alte Frage auf: Was ist der Kern linker Politik?
Es sind offenbar nicht nur Journalisten und Politologen, die in der Linkspartei zwar eine erkennbar linke Partei, aber eine linke Partei zunehmend ohne erkennbares Profil sehen. Auf den Internetseiten von Thomas Händel und Klaus Ernst findet sich ein gemeinsamer Beitrag beider Linkspolitiker («Unsere Probleme, unsere Chancen»), der zum selben Schluss kommt. Die Partei sei «häufig mit Themen in der Öffentlichkeit, die dem Ansehen der Linken nicht genützt und bisherige und potenzielle WählerInnen veranlasst haben, uns nicht mehr zu unterstützen».
Was genau damit gemeint ist, folgt auf dem Fuße. Neben «vor laufender Kamera ausgetragenen innerparteilichen Machtkämpfen» seien es Positionierungen gewesen, «die uns zwar für die eine oder andere Initiative oder Bewegung, aber nicht mehr für jene, die bis vor Kurzem unseren Erfolg als die Linke ausmachten, als wählbar erscheinen ließen. Wahlniederlagen, für die eine gründliche Aufarbeitung bis heute aussteht, waren die Folge.» Mit anderen Worten: Wofür die Linke derzeit steht, mobilisiere zwar Aktivisten, locke aber ihre angestammte Wählerschaft nicht hinter dem Ofen hervor.
Das ist ein Befund mit alarmierendem Unterton. Zumal es sich bei den beiden Autoren nicht um irgendwen handelt, sondern um Urheber der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit WASG, die sich 2007 mit der PDS zur Linken vereinigte. Es sei damals darum gegangen, die Interessen der Menschen zu vertreten, die bei gesellschaftlichen Umbrüchen zuerst unter die Räder geraten, schreiben sie. «Das war der Gründungskonsens, der 2007 die Vereinigung der WASG und der PDS zur Partei Die Linke möglich machte. Dieser Grundkonsens war es auch, der uns die Wahlerfolge bescherte …»
Den beiden Autoren geht es um Gebrauchswert und Markenkern ihrer Partei.
Ihn wollen sie bei den nahenden Wahlauseinandersetzungen stärken. Dafür braucht es aber einen Konsens, was Markenkern ist. Es geht also um die nicht neue Frage, was im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Linken stehen soll, wie sie ihren Daseinszweck definiert. Arbeit und soziale Gerechtigkeit – das sind für Händel und Ernst der Markenkern ihrer Partei. Dass die Linke viele Themen bedient, das sei gut so, heißt es im Text. Aber wenn der Markenkern in den Hintergrund trete und Chancen zur «diesbezüglichen Profilierung» unzureichend genutzt blieben, «muss man sich über Wählerverluste in den Arbeiterschichten nicht wundern».
Man wolle deshalb eine Debatte über diesen Markenkern der Partei, erläutert Klaus Ernst im Gespräch. Und er hoffe schon, «dass wir noch genügend Stimme haben», eine solche Debatte auszulösen. Ernst ist Bundestagsabgeordneter der Linken, Händel war zehn Jahre lang Abgeordneter des EU-Parlaments, und bis heute ist er stellvertretender Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Beide sind altgediente Gewerkschafter.
«Wollen wir eine grünere Partei sein als die Grünen?», fragt Ernst polemisch. «Bei den anstehenden und notwendigen ökologischen Umgestaltungen der Gesellschaft muss es eine Partei geben, die darauf achtet, dass die Interessen der Lohnabhängigen knallhart vertreten werden. Denn sie geraten zuerst unter die Räder.» Die Linke sei es, die sich für Arbeiter, Angestellte, Arbeitslose und Rentner immer eingesetzt habe. «Dies ist die Mehrheit der Gesellschaft. Und deshalb sind sie auch Kern unserer Bestimmung.»
Parlamentarische und außerparlamentarische Arbeit gelte es dafür wieder in Einklang zu bringen, heißt es im Papier. Außerparlamentarische Arbeit sei enorm wichtig – «noch so viele Demonstrationen können aber nicht die Arbeit im Parlament ersetzen. Sinnvoll ist eine vernünftige Zusammenarbeit, die letztlich in politischen Mehrheiten münden muss.» Unter der Überschrift «Wieder Klartext reden» plädieren die Autoren überdies dafür, linke Politik nicht zu einem Hort elitärer Debatten zu machen. Es gelte kryptische Begriffe wie «sozial/ökologische Transformation, »Infrastruktur-Sozialismus« aber auch »Green new deal« »so zu ›übersetzen‹, dass sie auch der berühmte lesende Arbeiter (B. Brecht) verstehen kann«.
Der Streit darum, was im Mittelpunkt der Politik der Linken stehen sollte, ist seit Langem Streitpunkt in der gleichnamigen Partei. Ob es zuerst um die soziale Frage gehen müsse oder ob Identitätsfragen einen gleichrangigen Stellenwert besitzen, darum drehen sich die Debatten. In einem ausführlichen Beitrag im »Freitag« hat jüngst ein weiterer Vertreter des Gewerkschaftsflügels der Partei diesen Konflikt ausführlich analysiert.
Ralf Krämer, im Jahr 2004 ebenfalls Mitbegründer der WASG, analysiert dabei die Lage mit den folgenden Worten: »Die Verschiebung des Augenmerks der Linken bzw. sehr vieler Linker weg von den sozialen Fragen und der kapitalistischen Herrschaft im eigenen Land hin zu den anderen, eher kulturellen und globalen Fragen steht in einem merkwürdigen Widerspruch zu der realen Entwicklung. In den letzten Jahrzehnten, der neoliberalen Epoche, sind vor allem die Ungleichheiten innerhalb der einzelnen Länder, im Norden wie im Süden, enorm gewachsen.«
Als linke Herangehensweise im Kampf gegen Unterdrückungen und Benachteiligungen müsse »die Gemeinsamkeit aller Unterdrückten und Benachteiligten unabhängig von besonderen persönlichen Merkmalen und der gemeinsame Kampf für soziale Gerechtigkeit, gleiche Rechte für alle und Demokratie betont und angestrebt werden«.
Solche Wortmeldungen in diesen Tagen erfolgen auch mit Blick auf anstehende Personalentscheidungen in der Partei wie vor den Wahlen von Landtagen und Bundestag im kommenden Jahr. Bei Händel und Ernst ist vom anstehenden Generationswechsel die Rede.
Auch für Klaus Ernst ist die Frage einer erneuten Kandidatur für den Bundestag noch nicht entschieden. Es gelte, jüngere und zugleich möglichst bekannte Repräsentanten der organisierten Arbeiterschaft zu nominieren, schreiben die Autoren. Ihm sei, was die folgende Generation angeht, nicht bange, bekennt Thomas Händel im nd-Gespräch. Er erinnert an Veranstaltungen der Luxemburg-Stiftung mit 1000 Teilnehmern.
Doch einerseits müssten sich linke Gewerkschafter auch in ihren Reihen erst durchbeißen, wo Korporatismus eine große Rolle spiele. Und dann gehe es eben darum, dass sie in der Linkspartei das Profil einer Sozialpartei stärkten, also die Fragen von Arbeit und sozialer Gerechtigkeit. Hier brauchten sie alle Unterstützung. Und das Bewusstsein, dass sie für das Profil dieser Partei entscheidend sind.
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