Ostbeauftragter warnt vor Rechtsextremismus im Osten

Wanderwitz: Gedankengut soll sich nicht in die nächsten Generationen fortpflanzen

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, hat fast 30 Jahre nach der Einheit vor einem wachsenden Rechtsextremismus im Osten gewarnt. Wanderwitz sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Man muss leider sagen, dass der Rechtsextremismus in den neuen Ländern im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung mehr Anhänger findet, als das in den alten Ländern der Fall ist.« Der Rechtsextremismus bedrohe aggressiv die Demokratie. »Mir geht es darum, dass sich dieses Gedankengut nicht in die nächste Generation fortpflanzt.«

Wanderwitz warb für mehr Bürgerdialog im Osten. »Wir haben Sorgen zu wenig beachtet. Da haben wir Defizite, wie auch in der politischen Bildung oder im ehrenamtlichen bürgerschaftlichen Engagement. Das ist in den alten Ländern immer noch deutlich ausgeprägter.«

Am Mittwoch wird der Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit vorgestellt. Darin heißt es, es habe deutliche Fortschritte beim wirtschaftlichen Aufholprozess gegeben. Gleichwohl gebe es anhaltende Unterschiede zwischen alten und neuen Länder: »Das gilt für die Bewertung der Demokratie und der politischen Institutionen, bei Einstellungen zu etwas Fremden oder der Verbreitung rechtsextremistischer Orientierungen.«

Wanderwitz sagte dazu: »Das macht mir erhebliche Sorgen - mehr als beispielsweise die demografische oder die wirtschaftliche Entwicklung. Das ist eine sehr große Herausforderung, weil hier 30 Jahre nach der Einheit neue und alte Länder erheblich auseinander sind. Es wird eher schlimmer als besser. Das ist ein großes Problem.«

Prozess der Einheit »noch nicht vollständig abgeschlossen«

Im Jahresbericht heißt es, auch wenn die Differenzen gradueller Natur seien, zeigten sie, wie andere noch bestehende Unterschiede in den Lebensverhältnissen, dass der Prozess der inneren Einheit Deutschlands nach 30 Jahren noch nicht vollständig abgeschlossen sei.

Der Ostbeauftragte sagte, zwar sei noch vieles zu tun, die Bilanz der Einheit aber sei weit überwiegend positiv. »Wenn wir 30 Jahre deutsche Einheit feiern, würde ich mich freuen, wenn wir alle miteinander sagen: Wir haben 30 Jahre friedliche Revolution und deutsche Einheit, wir leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand in einem geeinten Europa. Das Glücksgefühl von 1990 müssen wir zurückholen. Wir haben allen Grund dankbar zu sein, was wir gemeinsam geschafft haben.«

Für viele Bürger in den neuen Ländern habe sich extrem viel geändert, der Job, die Lebensverhältnisse, es habe harte Brüche gegeben. »Diese Leistung ist in der gesamtdeutschen Debatte unterbelichtet. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass es der Westen war, der das Gelingen der Wiedervereinigung finanziell möglich gemacht hat. Das sollten wir auch anerkennen und einmal mehr Danke sagen.«

Wanderwitz kündigte an, es solle bald ein Bürgerdialog starten. Der parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium hatte im April eine Initiative angekündigt, um Menschen besser zu erreichen. »Corona hat die Vorbereitungen für einen Bürgerdialog verzögert. Wir sind aber nun weit vorangeschritten in den Vorbereitungen. Ich stelle mir Veranstaltungen mit 80 bis 100 Bürgern vor. Ich möchte eigentlich kein digitales Format, sondern physische Termine.« Dabei sollten Gespräche von Angesicht zu Angesicht zustandekommen.

»Wir planen den Bürgerdialog mit mir und anderen politischen Entscheidungsträgern: Landtagsabgeordneten, Staatssekretären und Ministern aus Bund und Ländern, Oberbürgermeistern oder Landräten. Wir wollen eine Art Werkstattcharakter mit wechselnden Tischen, wo dann mal durchgewechselt wird und zwei, drei Themen besprochen werden, je nachdem, in welcher Region wir sind.«

Es solle Politik erklärt, aber auch zugehört werden: »Reden hilft. Manchmal muss man viel reden. Wir haben Sorgen zu wenig beachtet. Da haben wir Defizite, wie auch in der politischen Bildung oder im ehrenamtlichen bürgerschaftlichen Engagement. Das ist in den alten Ländern immer noch deutlich ausgeprägter.«

Zur wirtschaftlichen Lage im Osten und zu gleichwertigen Lebensverhältnissen sagte Wanderwitz: »Ich bin da frei von Illusionen. Es wird immer gewisse Unterschiede geben. Die gibt es auch in den alten Bundesländern, etwa zwischen boomenden Regionen in Süddeutschland und Gelsenkirchen oder Duisburg. Es gibt in den neuen Ländern Regionen, die auf dem Niveau des Westens sind. Unsere Einschätzung ist, dass das Thema Stadt-Land und das Thema boomende Regionen und strukturschwache Regionen zunehmend dominant wird. Man darf nicht dauernd Äpfel mit Birnen vergleichen. Die neuen Länder sind dünner besiedelt, und die Demografie ist schlechter. Das ist nun mal kein Vorteil.«

Im Jahresbericht wird zwar auf bedeutende Fortschritte verwiesen, etwa bei der Beschäftigung. Die Arbeitslosigkeit sei auch in den neuen Ländern in den vergangenen Jahren deutlich gefallen. Die Wirtschaftskraft im Osten liege aber noch erheblich unter dem gesamtdeutschen Niveau.

Nachholbedarf sieht der Ostbeauftragte auch bei der Repräsentation von Ostdeutschen in Spitzenämtern in der öffentlichen Verwaltung und der Wirtschaft: »Das Thema Repräsentanz ist ein ganz wichtiges Thema, das viele Leute beschäftigt. Das ist eine Dauerbaustelle.« Allerdings sehe es in der zweiten und dritten Führungsebene bereits deutlich besser aus. dpa/nd

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