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Konservative für Biden
Mit patriotischem Pathos und Propagandavideos gegen Donald Trump mischen Ex-Konservative auf Seiten des Establishments der Demokraten im US-Wahlkampf mit
»Abschaum« seien die Never-Trump-Republikaner, schrieb Donald Trump im Herbst 2019. Der US-Präsident, aber auch journalistische Beobachter sahen die Niemals-Bewegung moderater Republikaner schon »kurz vor dem Aussterben«. Fast ein Jahr später ist die Gruppe aus ehemaligen Mitarbeitern und Politikern der Grand Old Party und ihres von Trump gedemütigten alten Establishments zurück: Mit scharfer Rhetorik und viralen Videos zur Mobilisierung einer bestimmten Wählergruppe versucht die Anti-Trump-Strömung, ihren Teil dazu beizutragen, das Trump im November abgewählt wird.
Zunächst hatten einige »Never-Trumper« noch auf einen Herausforderer von Trump bei den Vorwahlen seiner Partei gehofft. Doch Umfragen machten schnell deutlich, dass kein Gegenkandidat landesweit mehr als fünf Prozent der Republikanerstimmen erhalten hätte. Zustimmungsraten von 90 Prozent für den Präsidenten unter Republikanern zeigen: Trump hat die Partei fest im Griff.
Darüber enttäuschte Konservative wandten sich angesichts dessen den Demokraten zu. Mit moderaten Establishment-Demokraten bildeten sie gegen Ende des vergangenen Jahres eine medial deutlich zu vernehmende »Never-Bernie«-Koalition. Besonders im US-Kabelfernsehen und in den Kommentarspalten der Gazetten waren ihre Vertreter deutlich überproportional vertreten - im Vergleich zur Zahl der Wähler, die sie repräsentieren.
Als Experten und Kolumnisten vertraten die »Never Trumper« etwa bei CNN, MSNBC oder in der New York Times dann immer wieder Varianten dieser Argumentation: Wir und andere moderate Ex-Wähler der Republikaner werden den demokratischen Präsidentschaftskandidaten nur wählen, wenn er nicht zu weit links steht - gemünzt war das vor allem auf Bernie Sanders.
Das verfing, weil es vom Demokraten-Establishment begierig aufgegriffen wurde und weil es auf die Ängste der Demokratenwähler zielte, die Trump um jeden Preis loswerden wollen. Auch wenn sich die Hälfte von ihnen als »progressiv« bezeichnet, wählten bei den Vorwahlen insgesamt nur 26 Prozent Sanders.
Der siegreiche Joe Biden wiederum gab Ex-Republikanern, die eine Wahlempfehlung für ihn aussprachen, auf dem Demokraten-Parteitag Ende August viel Raum. Es gibt jetzt zum Beispiel die »43 Alumni für Biden« - Hunderte ehemalige Mitarbeiter von US-Präsident George W. Bush -, die »Früheren Sicherheitsbeamten für Biden« und die »Republikanischen Wähler für Biden«.
Sie alle vertreten eine eher kleine Gruppe: Datenjournalisten der Nachrichtenwebsite »FiveThirtyEight« schätzen, dass nur fünf bis zehn Prozent der Wähler, die 2016 für Trump oder 2012 für Mitt Romney stimmten, sich im November für Biden entscheiden. Es handelt sich dabei überwiegend um weiße, gebildete, aktive Wähler, vielleicht entscheidende Stimmen in der Mitte. Allerdings werden in den USA Wahlen immer stärker durch die Mobilisierung der eigenen Basis gewonnen.
Das Aushängeschild der Bewegung ist die Gruppe »Lincoln Project«. Erklärtermaßen hat sie sich zum Ziel gesetzt, besonders in Bundesstaaten mit knappen Mehrheiten bisherige Trump-Wähler zur Stimmabgabe zugunsten Bidens zu bewegen. In erster Linie ist es aber ein Medienprojekt. Die früheren Republikaner-Apparatschiks kämpfen schmutzig. Anders als die Wohlfühlspots der Demokraten stammen ihre Videos von Experten, die viel Erfahrung mit attackierender Propaganda haben. Garniert mit pathosschwerem Patriotismus attackieren sie Trump und seine Unterstützer im US-Senat und beim rechten Fernsehsender Fox, zeigen sie als entrückte Reiche oder machen den Präsidenten lächerlich.
Die erfolgreichsten Spots greifen Trumps Corona-Politik an. Zu dramatischen Geigenklängen fragt ein Erzähler: »Mehr als 26 Millionen sind arbeitslos. Wenn das vier Jahre so weitergeht, wird dann ein Amerika übrig bleiben?« Unter US-Linken gibt es dafür eine gewisse heimliche Sympathie. Schließlich tun die Lincoln-Project-Macher zumindest propagandistisch das, was sich Progressive eigentlich von ihren Politikern wünschen: kompromisslos kämpfen. Parteilinke warnen aber auch, die Progaganda der »Never-Trumper« komme von außenpolitischen Falken, deren mediale Feuerkraft sich schnell wieder gegen Demokraten richten könnte.
Sie fürchten zudem einen dauerhaften Einfluss aus dieser Richtung auf die Partei, die sich in den letzten Jahren leicht nach links bewegt hat. Sanders’ Präsidentschaftskampagne mobilisierte im Frühjahr vor allem viele junge Wähler. Noch stärker stieg die Beteiligung, der »turnout«, jedoch in wohlhabenden Vororten mit vielen älteren Wählern, etwa in Virginia und Texas. Ein Teil dieser Wähler dürfte früher Republikaner gewählt haben. Ein Hinweis darauf, dass Ex-Konservative und moderate Demokraten die Progressiven an solchen Orten überrannt haben.
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