Rola-Bola im Schloss
Das Zirkusprojekt Harlekids stärkt das Selbstbewusstsein von Jugendlichen
Lukas ist Zwölf und geht eigentlich zum Boxen. Der schmale Siebtklässler wirkt schüchtern, seine Maske trägt er aber ganz lässig. Und er setzt sich cool mit zum Gespräch, während seine Mitschüler*innen noch zurückhaltend auf die Frage reagieren, ob sie etwas über die Woche, die sie grade im Schloss Trebnitz verbringen, erzählen wollen. Sie haben um die Zeit auch schon zwei Stunden Training hinter sich und warten eigentlich auf das Mittagessen, was hier in der deutsch-polnischen Jugend- und Begegnungsstätte Schloss Trebnitz frisch für sie zubereitet wird. Draußen auf der Wiese drückt die Wärme, als ob die Sommerferien noch einmal zurück gekommen wären. Für Lukas steht jedenfalls fest: «Ich bin voll zufrieden mit den zwei Disziplinen, die ich mir ausgesucht habe. Ich mache Akrobatik und Rola-Bola».
Rola - was? Hinter Rola-Bola verbirgt sich ein Brett auf einer festen Metalldose, auf dem man ordentlich Schwierigkeiten hat, die Balance zu halten. Wenn man sich dann noch vorwärts bewegen soll, könnte man meinen, ist schnell Schluss mit dem Spaß an der Zirkusdisziplin. Für Lukas scheint das nach zwei Tagen Übung hingegen kein Problem mehr zu sein. Vielleicht, weil es ja auch beim Boxen viel aufs Gleichgewicht ankommt.
Aber nicht alle der 47 Kids der zwei siebten Klassen aus der Grund- und Oberschule Mühlrose in der Lausitz sind geübte Sportler*innen oder wollten schon immer mal etwas mit Zirkus ausprobieren wie Lukas, dem dann die Coronakrise dazwischen kam, wie er erzählt. Das ist auch nicht nötig.
«Worum es den Harlekids in keinem Fall geht, ist, dass die Kinder hier etwas leisten müssen, sondern dass sie sich ausprobieren können, etwas anderes kennenlernen», erklärt Mareike Treblin. «Niemand muss sich zusammenreißen, kein Kind muss bei der Abschlussaufführung auftreten, wenn es nicht will - alles kann, nichts muss», sagt die Projektkoordinatorin, die die Besucherin mit Abstand, Maske und Klemmbrett in der Hand durch das weitläufige Trebnitzer Schloss führt. Dessen Räume sind von den sechs Gruppen, in denen die Siebtklässler auch noch Jonglieren, Tellerdrehen und Zaubern lernen können, großzügig in Beschlag genommen.
Oben unter dem Dach zeigt die Luftakrobatiktrainerin Steffi einer Gruppe von Mädchen gerade Übungen, die ebenfalls nicht unbedingt danach aussehen, als seien sie schnell zu erlernen. Aber die Schülerinnen sind aufmerksam - auch wenn sie hier nicht in der Schule sind, in der sie sonst gerade sehr viel mehr Lerninhalte bewältigen müssen als sonst. «Die Coronakrise bringt es mit sich, dass in in der Schule gerade für solche Projektarbeit wie es hier möglich ist, kaum Platz gibt. Es gilt: nur Schulstoff», berichtet Deutsch- und Klassenlehrerin Sabine. Sie ist deshalb besonders froh, über die Möglichkeit, diese Woche zum Schuljahresanfang hier mit ihren Schüler*innen verbringen zu können. Schon mit ihrer letzten siebten Klasse habe sie dieses Angebot der Kooperation von Schloss und zirkuspädagogischem Zentrum genutzt und ist davon überzeugt: «Die Kindern zehren die nächsten vier Jahre davon» erklärt die Pädagogin ihre Erfahrung. «Sie lernen sich vor allem kennen und können sich ausprobieren. Auch als Lehrerin genieße sie die Zeit mit ihnen: »Wann können wir schon mal am Lagerfeuer sitzen, Sterne beobachten und zusammen über die Welt philosophieren?«.
Das »Genialste« sei, meint die gestandene Pädagogin, dass das Angebot kostenlos ist. Die Stiftung SPI - Sozialpädagogisches Institut Berlin »Walter May« - ermöglicht diese günstigen Voraussetzungen über Bereitstellung von Mitteln aus dem Landesprogramm INISEK (Initiative Sekundarstufe). Das Programm läuft zum Jahresende aus, soll aber in ähnlicher Form neu aufgelegt werden.
Bislang habe man immer Möglichkeiten gefunden, Fördermittel zu erhalten und helfe Schulen gern bei der Organisation erklärt Kathleen Schnitter vom Verein Harlekids, der sein Zentrum in Senftenberg seit 1998 betreibt. Drei hauptamtliche Zirkuspädagog*innen und viele Ehrenamtliche halten dort den Betrieb am Laufen, die meisten, erzählt Schnitter, seien bei den Harlekids »groß geworden«. Denn, so auch der Name eines Förderprogramms: »Zirkus macht stark.«
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