Weiter so bis zur Räumung

Trotz Anordnung des Landgerichts bleibt die Kneipe »Meuterei« Kieztreffpunkt

  • Jordi Ziour
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Kiezkneipe »Meuterei« an der Reichenberger Straße 58 verkauft kein Bier mehr, die Türen stehen aber weiter offen.
Die Kiezkneipe »Meuterei« an der Reichenberger Straße 58 verkauft kein Bier mehr, die Türen stehen aber weiter offen.

An die 30 Barbesucher*innen sitzen am vergangenen Mittwochabend vor der Kneipe auf Biergarnituren und Sofas. Sie lachen, trinken und unterhalten sich. Es könnte ein ganz normaler Barabend - in Zeiten von Corona - sein, wäre da nicht die drückende Stille der Kneipe. Niemand zapft mehr Bier, die Barhocker stehen kopfüber auf dem Tresen.

Trotz erlassenen Räumungstitels geht es in der »Meuterei« weiter: »Wir verkaufen keine Getränke mehr, aber wir bieten die Infrastruktur dieses Raumes an und machen weiter Veranstaltungen«, sagt Leonie Bonny vom Kneipenkollektiv. Der Kreuzberger Laden öffnet weiter abends seine Türen. Mittwochs, freitags und sonntags.

Seit anderthalb Jahren ist die Kneipe ohne Mietvertrag. Am vergangenem Mittwoch erließ das Landgericht Berlin einen Räumungstitel, ein konkretes Datum fehlt allerdings noch. Auf der Anklagebank des Gerichts saßen nicht die Mitglieder des Kneipenkollektivs, sondern laut Kollektiv der sogenannte Vertragsinhaber, mit dem das Kollektiv seit Jahren im Clinch liegt und dessen Namen weder die Kollektivmitglieder noch das Gericht nennen wollen oder dürfen. Auf der anderen Seite stand der Hauseigentümer, der die Immobilie vor über acht Jahren erworben hatte.

Auf der Webseite des Unternehmens Zelos Properties GmbH wird beschrieben, wie das Haus Reichenberger Straße 58 seit Frühjahr 2012 kernsaniert worden ist. Die 16 Wohnungen sind bereits verkauft. Von der Kneipe ist auf der Homepage nichts zu lesen. Auf mehrfache Versuche des »nd«, den Vermieter zu erreichen, reagierte niemand.

Eine Sprecherin der Berliner Zivilgerichte teilte auf Anfrage mit, dass der Beklagte die Kneipe zu räumen und die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe. Und erklärte weiter, dass der Vertragsinhaber die Möglichkeit habe, die Räumung gegen eine Zahlung von 13 000 Euro aufzuschieben, bis das Urteil rechtskräftig sei. Das dauert nach dem Urteilsspruch in der Regel vier Wochen, wenn keine Partei Berufung einlegt.

»Das Gerichtsurteil war erwartbar und hat keine sonderlichen Emotionen in uns geweckt. Wir wussten von Anfang an, dass es nicht anders ausgehen wird. Es hätte uns eher gewundert, wenn es anders ausgegangen wäre«, kommentiert Bonny das Urteil nüchtern. Da sie nicht selbst den Vertrag inne haben, bekommen sie nicht mit, wenn ein Räumungstermin festgelegt wird. »Der Vertragsinhaber hat das Kollektiv vor eineinhalb Jahren verlassen. Zwischenzeitlich traf er Maßnahmen, die uns den normalen Kneipenbetrieb unmöglich machten«, erklärt Bonny die Situation.

Sollte es zur Räumung kommen, glaubt sie nicht an Unterstützung der Politik. »Sie ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung«, sagt das Kollektivmitglied. Sie findet, die Politik tue immer so, als sei sie ein passiver Teil des ganzen städtischen Räumungskampfs, aber sie sei ein aktiver Teil.

Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linkspartei im Abgeordnetenhaus, ist auf nd-Nachfrage wenig erfreut über das Räumungsurteil. »Das zeigt wieder einmal, dass große Immobilieneigentümer ihre Interessen knallhart durchsetzen und wichtige alternative Orte zerstören.« Es gebe Spielräume bei der zeitlichen Aufschiebung des Räumungstermins oder in der Art und Weise, wie Amtshilfe geleistet wird, wägt er die Möglichkeiten ab. »Da werden wir in der Koalition drüber reden müssen.« Die Wut der Menschen auf den Senat könne er gut verstehen und als Koalitionspartner sei man in der Mithaftung. Er gibt aber zu bedenken, dass eine Regierung kein einheitliches Gebilde sei. Da gebe es auch manchmal konträre Auffassungen. »Kapitalinteressen haben nach wie vor eine große Macht in Berlin. Um das zu ändern, braucht es mehr als fünf Jahre Regierungszeit«, so Schrader. Doch so viel Zeit hat die »Meuterei« nicht.

Am Mittwoch der Urteilsverkündung durchsuchte die Polizei die Räume der anarchistische Bibliothek »Kalabal!k«, welche sich nur wenige Häuser neben der »Meuterei« befindet (»nd« berichtete). »Die Razzia in der befreundeten Bibliothek Kalabal!k zeigt, wie wichtig ein solidarischer Kiez ist und dass wir zusammenstehen«, erklärt Bonny von der Kneipe. Wie viele alternative Orte im Kiez der »Meuterei« bei einer möglichen Räumung beiseite stehen könnten, bleibt ungewiss. Auch nach der Räumung werden Sie weitermachen. Denn: »Die ›Meuterei‹, das sind nicht die Räume, das ist das Kollektiv, das sind die Leute und unsere Gäste«, sagt Bonny.

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