Transgender: Zu viel Gewalt, zu wenig Gesundheit

Kämpferische Stimmung trotz Zukunftssorgen beim Trans* Visibility Day in Kreuzberg

  • Leonie Hertig
  • Lesedauer: 4 Min.
Am Montag wurde vorm Abgeordnetenhaus die Trans-Flagge gehisst. Gleichzeitig streicht der Senat zahlreiche queere Bildungsprojekte in Berlin.
Am Montag wurde vorm Abgeordnetenhaus die Trans-Flagge gehisst. Gleichzeitig streicht der Senat zahlreiche queere Bildungsprojekte in Berlin.

Man hätte meinen können, dass das Wetter extra für den Trans* Visibility Day bestellt wurde. Die Wolken hängen tief und grau am Himmel, es ist kalt und es fällt ein beständiger Nieselregen. Das Wetter passt zur politischen Stimmung in Berlin. Erst vor Kurzem wurden unzählige queere Projekte für das Jahr 2025 100-prozentig gekürzt. Währenddessen wird in den Koalitionsverhandlungen des Bundes besprochen, ob und wie man das Selbstbestimmungsgesetz abschafft, das Menschen ermöglicht, relativ unbürokratisch Geschlecht und Namen auf offiziellen Dokumenten zu ändern. Mehr als 50 Menschen haben sich am Montagabend auf dem Mariannenplatz in Kreuzberg versammelt, um mehr Sichtbarkeit für trans* Menschen zu fordern.

Die Teilnehmer*innen der Kundgebung lassen sich vom schlechten Wetter und entsprechender Politik nicht beirren. Es werden bunte Regenschirme aufgespannt, man gesellt sich näher zusammen. Die Moderation Wolke, mit sonnengelbem Mantel und knallig pinker Tasche, sorgt auf der Bühne für gute Stimmung. Wolke ist nicht-binär, also weder männlich noch weiblich, und benutzt das geschlechtsneutrale Pronomen they. Vor drei Monaten sei they aus Zürich nach Berlin gezogen, sagt Wolke zu »nd«, und bemühe sich nun um eine geschlechtsangleichende Operation. Ein solcher Eingriff erlaubt queeren Menschen, sich an das eigene Geschlecht anzunähern, indem physische Merkmale, die häufig Frauen oder Männern zugeschrieben werden, hinzugefügt oder entfernt werden. Aber als nicht-binäre Person werden die Kosten, anders als bei trans* Männern und Frauen, nicht von der Krankenkasse gedeckt.

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Zurzeit fühlt sich Wolke sicher in Berlin. They erzählt von einem positiven Erlebnis in einem Bus: »Ich wurde von zwei betrunkenen Männern angepöbelt, die mir gesagt haben, dass meine Mutter bei meiner Geburt einen Fehler begangen hat. Daraufhin sind zwei Männer hinter mir aufgestanden. Der eine hat die beiden Betrunkenen zur Schnecke gemacht, während der andere sich neben mich gestellt hat. Das gibt mir Mut.«

Gewalt im öffentlichen Raum sowie die Gesundheitsversorgung von trans* Menschen sind Themen, die viele der Kundgebungs-Teilnehmer*innen beschäftigen. Maxi-Sophie erzählt »nd« davon, dass durch einen Herstellungsstopp die niedrigste Dosis ihres Testosteron-Blockers nicht mehr verfügbar ist und sie jetzt die doppelte Dosis nehmen muss. »Ich kann die Pillen nicht achteln«, erklärt Maxi-Sophie. Stattdessen erhöht sich durch die Einnahme der höheren Dosis über Jahre das Risiko, dass sie gutartige Tumore entwickelt.

Aber schon an die Medikamente zu kommen, ist schwierig, wie etwa Fox berichtet. Fox nimmt an der Kundgebung auf dem Mariannenplatz teil und sagt zu »nd«, dass der Endokrinologe, der them bislang behandelt hat, vor Kurzem weggezogen ist. Diese Mediziner*innen behandeln Hormon- und Stoffwechselerkrankungen. Für trans* Menschen sind sie wichtig, um sich dem eigenen Geschlecht anzugleichen. Jetzt kann Fox sich nicht die richtigen Medikamente verschreiben lassen und muss erneut auf die Suche gehen. »Das letzte Mal hat es nur fünf Jahre gedauert«, sagt Fox düster. Nicht alle Endokrinolog*innen haben sich auf Medizin für trans* Menschen spezialisiert. Noch weniger von ihnen erkennen auch nicht-binäre Menschen als trans* Menschen an.

»Es gibt keinen Ort, der gut für uns ist und uns akzeptiert.«

Lavendel Kundgebungs-Teilnehmerin

Aber selbst wenn man im Gesundheitssystem als trans* Person anerkannt wird, kann es vorkommen, dass man ein Vermögen ausgeben muss. Lavendel, eine Kundgebungs-Teilnehmerin mit glitzerndem Make-up und schillerndem Ohrenschmuck, erzählt »nd«: »Ich musste meine Lebensersparnisse für meine Operation aufbrauchen, um mein Leben zu retten.« Diese Aussage ist nicht übertrieben: Viele trans* Menschen leiden unter Körperdysphorie, was ein soziales und körperliches Unwohlsein im eigenen Körper auslöst. Trans* Personen entwickeln mit höherer Wahrscheinlichkeit durch regelmäßige Diskriminierungserfahrungen psychische Krankheiten und sind häufiger suizidgefährdet.

Lavendel erfährt jedes Mal, wenn sie ausgeht, Angriffe und sexuelle Übergriffe, und verlässt daher kaum das Haus. Sie kommt aus den USA, sagt aber: »Ich kann nicht zurück, ich fühle mich dort nicht sicher.« Etwa hatte Donald Trump am 20. Januar per Dekret verfügt, dass nur zwei Geschlechter anerkannt werden. Aber auch in Berlin fühlt Lavendel sich nicht sicher. Sie erzählt davon, dass sich immer mehr queere Menschen überlegen, wohin sie ziehen würden, falls sich die Situation auch in Deutschland verschärfen würde. »Es gibt keinen Ort, der gut für uns ist und uns akzeptiert«, sagt Lavendel.

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