Mächtige Allianzen

Europas Fußballverband will beim Supercup zwischen München und Sevilla unbedingt Stadionzuschauer

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Aleksander Ceferin mag sein Versprechen nicht brechen. Der Supercup am Donnerstagabend zwischen Bayern München und dem FC Sevilla, so die Verlautbarung des Präsidenten der Europäischen Fußball-Union (Uefa), werde »so sicher sein wie kein Spiel zuvor«. Das ist eine recht kühne Aussage für einen Testballon, um angeblich über die Teilzulassung von Zuschauern besser urteilen zu können. Als die Uefa diesen Entschluss am 25. August mit Zustimmung seiner 55 Mitgliedsverbände fällte, konnte niemand die Entwicklung in der Pandemie voraussagen: Am Austragungsort Budapest stecken sich derzeit gerechnet auf sieben Tage mehr als 100 Menschen pro 100 000 Einwohner mit dem Coronavirus an. Damit liegt die Inzidenz fast doppelt so hoch wie in München, wo gerade Maßnahmen wie die Maskenpflicht auf Straßen und Plätzen im Gespräch sind.

Die Verantwortlichen der Uefa haben am Dienstag mit Gesundheitsbehörden der Stadt und der ungarischen Regierung geredet - weil es ja einen »Point of no Return« gebe, einen Punkt, an dem beispielsweise Anhänger beider Klubs nicht mehr umkehren können. Aus München sind es fast 700 Autobahnkilometer quer durch Österreich bis in Ungarns Hauptstadt. Ein Stoppschild in Form eines Geisterspiels soll aber partout nicht aufgestellt werden: Die Uefa teilte mit, an der Austragung mit Zuschauern unverändert festzuhalten.

Viele halten das für unverantwortlich: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fürchtet ein »Fußball-Ischgl«. Der Freistaat strich flugs eine Ausnahmeregel: Demnach sind Sport-, Kultur- und Freizeitreisende bei Aufenthalten von weniger als 48 Stunden in Risikogebieten nicht mehr von der Quarantänepflicht befreit. Die Fußballfans sollen nach ihrer Rückkehr gleich einen Test machen. Oder nach Söders Meinung gleich zu Hause bleiben. »Jeder soll sich das noch mal ganz genau überlegen, ob das sinnvoll ist.«

Bereits am Montag hatten 800 von ursprünglich 2100 Bayern-Fans ihre Karten zurückgegeben, Tendenz am Dienstag stark steigend. Aus Sevilla hatten ohnehin weniger als 500 beim Kontingent von 3000 Tickets zugegriffen. Womöglich kommen jetzt weniger als 10 000 Besucher in die 67 155 Plätze bietende Puskas Arena. Die Uefa weiß sehr wohl, was sie mit einem über eine Kerze fliegenden Ballon aufs Spiel setzt: Sollte der Supercup zum »Superspreader« werden, würde das auf absehbare Zeit auch Europapokal- und Länderspiele mit Zuschauern fast unmöglich machen. Wie wenig geheuer mittlerweile auch dem FC Bayern dieses Experiment ist, zeigt die Tatsache, dass keine Sponsoren und Vip-Gäste zur Delegation gehören.

Wer ergründen will, warum trotzdem alles durchgezogen wird, muss die osteuropäischen Allianzen in den Uefa-Gremien durchleuchten. Vor zehn Monaten reiste Verbandschef Ceferin als Ehrengast zur Einweihung der nach dem ungarischen Fußballidol Ferenc Puskas benannten Arena nach Budapest. Bei dieser Stippvisite hatte der Slowene Ceferin auch Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban getroffen. Freundschaftlich soll es zugegangen sein. Ceferin sagte, das Schmuckkästchen werde »auf Jahrzehnte das Juwel in der Krone des ungarischen Fußballs« sein. Die Uefa hatte hier im Mai 2019 bereits die Fußballerinnen ihr Finale in der Champions League ausspielen lassen. Vorläufiger Höhepunkt sollte aber die erste paneuropäische EM 2020 sein. Nach der Verschiebung muss auch Budapest noch ein Jahr warten. Die Vergabe des Supercups 2020 galt als Verbeugung vor dem mächtigen Uefa-Vizepräsidenten Sandor Csanyi, dem erfolgreichsten Banker, größten Weinhändler und vermögendsten Mann im Orban-Reich, der auch gleich noch dem ungarischen Fußballverband vorsteht.

Ceferin und Csanyi hielten es dann für eine gute Idee, den Supercup mit dem Zuschauerversuch aufzuwerten. Die Idee entstand in enger zeitlicher Nähe zum Finalturnier der Champions League, als hochrangige Uefa-Funktionäre erstmals die abschreckende Erfahrung der Geisterspiele machten. Ihnen dämmerte, dass Sponsoren oder Fernsehanstalten bald erhebliche Rückforderungen stellen würden, sollten ihre Wettbewerbe weiterhin in diesem gruseligen Rahmen abgehalten werden. Die Medienrechte machten vor Corona mit 3,3 Milliarden Euro fast 86 Prozent der Uefa-Einnahmen aus.

Die Dachorganisation argumentiert, auch ihr müsste der Schritt zur Normalität erlaubt sein. Obwohl klar zu sein scheint, dass zwei Champions-League-Spiele im März - Atalanta Bergamo gegen Valencia sowie Liverpool gegen Atletico Madrid - dabei geholfen haben, das Virus rasant durch Europa zu tragen. Daher soll in Budapest nun ganz besonders auf die Schutzmaßnahmen geachtet werden: Mindestabstand, Tragen des Mund-Nasenschutzes im gesamten Stadionbereich und ein negativer Coronatest vor der Einreise.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.