Die Flüchtlingskinder von Golzow
Das 14-jährige syrische Mädchen Nour Alahmad Alhammash besucht jetzt das Gauss-Gymnasium in Frankfurt (Oder)
»Ich bin nicht schüchtern, gehe direkt auf andere zu und verstehe mich mit den meisten gut«, sagt Nour Alahmad Alhammash. Das 14-jährige syrische Mädchen ist zum neuen Schuljahr auf das Gauss-Gymnasium in Frankfurt (Oder) gewechselt, eine Spezialschule für Naturwissenschaften. Im Gespräch wird schnell klar, dass sie genau weiß, was sie will. »Ich möchte Ärztin werden, und dafür muss ich gute Leistungen bringen«, sagt das Flüchtlingsmädchen, während es in der Schulbibliothek büffelt.
Vor fünf Jahren war Nour mit ihren Eltern und zwei jüngeren Geschwistern nach Golzow im Oderbruch gekommen, gemeinsam mit einer weiteren syrischen Familie und nach jahrelanger Flucht vor dem Krieg in Syrien. Ihr einstiges Zuhause in einem Vorort von Damaskus steht schon längst nicht mehr. Golzow wurde zur Chance auf einen Neuanfang, den die Familie genutzt hat. Vater Mahmoud ist gelernter Fliesenleger, fand schnell Arbeit in einer Frankfurter Firma. Mutter Mervat macht gerade eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement.
»Ich bin stolz und habe große Achtung vor ihnen. In einer neuen Gesellschaft mit fremder Sprache haben sie ihren Platz gefunden«, sagt Golzows Bürgermeister Frank Schütz (CDU), wohl wissend, dass die Dorfbewohner einen großen Anteil an der gelungenen Integration haben. Schütz selbst hatte sich für die Aufnahme von Flüchtlingsfamilien in dem 800-Seelen-Dorf stark gemacht. Sie bezogen Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus, bekamen einen Garten dazu. Nachbarn halfen beim Einrichten, bei Behördengängen, luden sie zu Festen ein. »Zuwanderung ist immer eine Chance«, sagt der Bürgermeister. Im Fall von Golzow war es die Möglichkeit zum Erhalt der nur einzügigen Grundschule - der Schule der »Kinder von Golzow«, berühmt durch eine Langzeitdokumentation der Filmemacher Barbara und Winfried Junge. Um eine neue erste Klasse aufmachen zu können, fehlten damals Schüler. Nour sowie die zwei Kinder aus der zweiten syrischen Familie lösten das Dilemma.
Das Mädchen lernte schnell, nicht nur die deutsche Sprache, wurde Klassensprecherin. »Wenn man von woanders her kommt und angenommen wird, sollte man sich auch Mühe geben«, erklärt die 14-Jährige ihre Zielstrebigkeit. Sprachen haben es ihr offenbar besonders angetan. »Englisch ist mein Lieblingsfach. Aber ich versuche auch, Arabisch nicht zu verlernen.«
Nour sei offen, aufgeschlossen und mitfühlend, beschreibt ihre Klassenlehrerin Martina Kurczyk den »rundrum positiven« ersten Eindruck. »Sie ist gut angekommen in der Klasse, nie allein und ihr Deutsch ist wirklich beachtlich.«
»Ende Oktober ziehen wir aus Golzow hierher«, freut sich Nour, denn die langen Wege zur Schule und zum Einkaufen fallen weg. »Meinen Eltern fällt der Umzug schwerer. Sie haben unter den Nachbarn Freunde gefunden, fühlen sich wohl in Golzow«, weiß Nour.
Sie fühle sich nicht mehr fremd in Deutschland, sagt Mutter Mervat. »Das ist so ein Gefühl wie einst in Syrien vor dem Krieg«, erzählt die 33-Jährige. Neben den guten Freunden in Golzow wird sie aber auch den Garten vermissen. »Ich suche schon in Frankfurt nach einem neuen.«
An ihre alte Heimat Syrien kann sich Nour nur noch bruchstückhaft erinnern, an die Hühner bei der Großmutter, an große Feiern, bei denen die große Familie zusammenkam. Dorthin zurück möchte das Mädchen nicht. »In Deutschland hast Du bessere berufliche Perspektiven, wenn Du Dich anstrengst«, findet Nour, die gern fotografiert, zeichnet und Keyboard spielt. Ihre Eltern seien nur aus Sorge um die Zukunft der Kinder aus Syrien geflüchtet. Ihre Erwartungen will sie erfüllen. »Ich bin so stolz auf meine drei Kinder. Da sie fleißig sind, haben sie in Deutschland eine Zukunft«, glaubt Mervat.
Die zweite syrische Familie lebt schon seit dem Sommer nicht mehr in Golzow. Dort wird es aber auch weiterhin international zugehen, sagt der Bürgermeister. »Im Dorf wohnen eine kurdische, eine bulgarische und mehrere polnische Familien. Demnächst ziehen auch zwei neue Flüchtlingsfamilien aus Syrien zu uns.« dpa
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