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  • Deutsche Wohnen & Co enteignen

Dünne Luft für dicke Fische

Nächste Stufe im Enteignungsprozess: Senat übergibt Volksbegehren an Berliner Parlament

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf einmal geht es dann doch ganz schnell - zumindest gemessen an den 441 Tagen, die die Senatsinnenverwaltung gebraucht hatte, um das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« rechtlich zu prüfen. Nachdem dieses am vergangenen Donnerstag für zulässig erklärt wurde, wenn auch mit verfassungsrechtlichen Bedenken, hat der Senat am Dienstag eine Stellungnahme zu dem Begehren beschlossen. Damit ist die nächste Etappe erreicht und das Volksbegehren wird ins Abgeordnetenhaus weitergeleitet, das innerhalb der nächsten vier Monate darüber entscheiden muss.

Das Mitte-links-Bündnis ist bekanntermaßen uneins, was die Bestrebungen betrifft, Unternehmen, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, zu vergesellschaften. Während die Linke dafür ist, sehen die Grünen Enteignungen als »letztes Mittel« an, die SPD ist dagegen. Entsprechend liest sich auch die Stellungnahme: So werde das »grundsätzliche Ziel der Initiatoren, den gemeinwirtschaftlichen Anteil am Wohnraumangebot zu erhöhen«, vom Senat unterstützt, wie es heißt. Statt jedoch näher auf die geforderten Maßnahmen einzugehen, verweist Rot-Rot-Grün lieber auf bereits erzielte Erfolge wie den Mietendeckel.

Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« ist trotzdem zufrieden. »Es ist ein Kompromiss«, winkt Sprecher Michael Prütz ab. »Das Wichtigste ist, dass das Ding jetzt seinen Gang geht«, sagt er zu »nd«. 15 Tage hatte der Senat Zeit, eine Stellungnahme zu beschließen, dass es nun schon nach fünf Tagen soweit war, ist für Prütz eine Riesenerleichterung. Die Angst vor einer weiteren Verschleppungstaktik war groß, die Zeit eilt, damit der Volksentscheid rechtzeitig zu den Wahlen im September kommenden Jahres stattfinden kann.

Entsprechend erleichtert ist man auch bei der Linken. »Wir haben alle Energie darauf gelegt, dass das jetzt zeitnah entschieden wird«, sagt die Landesvorsitzende Katina Schubert zu »nd«. »Es ist höchste Eisenbahn.« Sie ist zuversichtlich, dass bereits im Februar 2021 mit der Sammlung der Unterschriften begonnen werden kann. »Ich gehe nicht davon aus, dass das Abgeordnetenhaus das Volksbegehren übernimmt«, sagt sie mit Blick auf die SPD. Bei einer Ablehnung der Forderungen geht es nach vier Monaten in die nächste Stufe, knapp 180 000 gültige Unterschriften müssen dann innerhalb von vier Monaten gesammelt werden. So schnell wie die 77 000 Unterschriften in der ersten Stufe zusammengekommen sind, dürfte das jedoch das geringste Problem sein.

Das liegt eher im Detail. Mehr als 226 000 Wohnungen müssten zur Umsetzung des Volksbegehrens aus Privateigentum in öffentliches Eigentum überführt werden, heißt es in der Stellungnahme des Senats. Dieses Ziel könne nur durch ein »politisch und im konkreten juristisch umstrittenes Vergesellschaftungsgesetz erreicht werden«. Rund 29 Milliarden Euro würde das laut Einschätzungen des Senats kosten, bei einer Kreditfinanzierung müsste das Land Berlin also sechs Milliarden Euro aufbringen, wie Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) am Dienstag nach der Senatssitzung erklärt. »Deutsche Wohnen & Co enteignen« geht hingegen von einer deutlich niedrigeren Entschädigungssumme aus und rechnet mit einer Gesamtsumme zwischen acht und 13 Milliarden Euro. Für Michael Prütz ergeben sich die abweichenden Zahlen aus einer »unterschiedlichen Gewichtung, was die Interessen der Allgemeinheit und was die Interessen der Konzerne sind.«

Trotz des eher zurückhaltenden Senatsbeschlusses fallen die Reaktionen aus der Immobilienwirtschaft am Dienstag erwartbar scharf aus. So vermisst die Industrie- und und Handelskammer eine Distanzierung des Senats von den »standortgefährdenden Zielen des Volksbegehrens« und seinen »schwerwiegenden Folgen«. Ähnlich sehen es die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, die »jahrelange Auseinandersetzungen vor Gericht« prophezeien. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen sieht durch das Volksbegehren gar Investitionen in Schulen, Kitas und Krankenhäuser in Gefahr.

Trotz der schrillen Töne freut sich der Linke-Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, Sebastian Scheel, auf die kommenden Auseinandersetzungen: »Mit dem heutigen Senatsbeschluss ist nun der Weg frei, für eine Debatte im Parlament und in der Stadtgesellschaft zur Frage einer geplanten Vergesellschaftung und deren Folgen«, so Scheel. »Der Senat darf sich dabei aber nicht wegducken, sondern sollte die Meinungsbildung unterstützen«, fordert der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild. Auch er rechnet nicht damit, dass das Abgeordnetenhaus das Volksbegehren annimmt. »Am Ende aber wird es wohl auf die Durchführung des Volksbegehrens hinauslaufen. Und das ist in dieser Frage auch gut so.«

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