»Das ist eine sehr ausgelieferte Position«

Verena Hahn hat sich für einen experimentellen Dokumentarfilm von Preppern filmen lassen

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 7 Min.

Sie haben noch vor der Coronakrise den Film »Deutsche Prepper« gedreht. Wie sind Sie darauf gekommen, sich mit dem Phänomen der Prepper zu beschäftigen - also Menschen, die beispielsweise Lebensmittel horten oder Bunker bauen, um sich auf Katastrophen vorzubereiten?

Ich habe vor einem Jahr meinen Abschluss an der Kunstakademie in Den Haag gemacht. Dafür habe ich mich mit Leuten beschäftigt, die denken, dass sie sich selbst verteidigen müssen, weil sie nicht mehr an die Polizei und den Staat glauben. Ich hatte mit Menschen zu tun, die in Nachbarschaftshilfen und Patrouillen aktiv sind. Da kamen auch die Prepper ins Spiel. Am Anfang habe ich mich vor allem für rechtsextreme Prepper interessiert, später immer mehr für Leute, die zur sogenannten Mitte der Gesellschaft gehören.

Verena Hahn

Die Designerin und Filmemacherin hat an der Kunstakademie Den Haag studiert. In ihrem Dokumentarfilm »Deutsche Prepper« geht sie Welterfahrungen, Selbstwahrnehmungen und Praxen dreier Prepper nach. Die 1992 geborene Künstlerin untersucht Probleme und Möglichkeiten, die entstehen, wenn verschiedene Positionen außerhalb von Onlinekommentarspalten aufeinandertreffen.

Ihren Protagonisten folgt sie in Häuser, Keller und Wälder, um Einblicke zu bekommen. »Deutsche Prepper« hat beim diesjährigen Kunstwettbewerb des Münzenberg-Forums Berlin den ersten Preis in der Kategorie Video gewonnen. Mit Verena Hahn sprach Inga Dreyer.

Warum haben Sie die rechten Prepper nicht mehr interessiert?

Die Szene ist unglaublich divers. Es gibt linksextreme Prepper, rechtsextreme Prepper, Prepper in der Mitte. Mich hat interessiert, wie Prepping eine Beobachtung der Zeit sein kann, in der wir leben. Ich glaube, das Phänomen dokumentiert, wie bestimmte Ressourcen knapp werden und wie sich Machtpositionen verändern. Hinzu kam, dass es unter Preppern eine unglaubliche Frustration gibt, immer in diese Ecke geschoben zu werden. Als ich vor einem Jahr angefangen habe, mich damit auseinanderzusetzen, war es noch einfacher, Gesprächspartner zu finden. Inzwischen habe ich gemerkt, dass es eine große Vorsicht gibt, mit Journalisten oder Filmemachern zu sprechen. Ich wollte niemanden sofort in eine Schublade stecken.

Sie sagen, Prepping sei eine Dokumentation von Phänomenen unserer Zeit. Aber geht es nicht auch um Ängste, die gar keine reale Entsprechung haben?

Sicherlich. Aber ich weiß nicht, ob ich das beurteilen kann. Ich glaube, Prepping ist ein Versuch, Kontrolle darüber zu bekommen, wie du schwierige Situationen überstehen und mit Komplexität klarkommen kannst. Ich finde, darin liegt viel direkte oder indirekte Gesellschaftskritik: Sei es das Gefühl, dass wir nicht wissen, wo Ressourcen herkommen - oder dass diese endlich sind. Dann gibt es diese große Befremdung gegenüber dem städtischen Raum als Ort, an dem man sich untereinander nicht mehr kennt.

Einerseits gibt es das Bedürfnis nach Abschottung, gleichzeitig aber auch den Wunsch danach, sich zu einer Gruppe zusammenzuschließen. Das ist ein merkwürdiger Widerspruch, den es auch an anderen Stellen gibt. Manche Prepper sehen ihre Selbstversorgung als Ablehnung von Konsumkultur und benutzen dann auf ihren Kanälen trotzdem Affiliate Links (Verweise auf Produkte, für die der Youtuber Provision bekommt, Anm. d. Red.).

Auf Youtube haben Sie auch Ihre Protagonisten gefunden. Wie haben Sie sie überzeugt, mitzumachen?

Ich habe sie einfach per E-Mail angeschrieben. Dabei war ich offen und habe gesagt, dass mir klar ist, welche Art von Berichten es über Prepping gibt. So habe ich versucht, Vertrauen herzustellen und den Leuten nicht das Gefühl zu geben, dass ihre Aussagen nachher anders dargestellt werden, als sie gemeint waren. Das war dann so ein schrittweises Annähern.

Sie haben für Ihren Film eine spezielle Form gefunden. Hatten Sie von Anfang an die Idee, den Protagonisten die Kamera zu geben und sich selbst filmen zu lassen?

Das hat sich so entwickelt. Es gab einen Mann, der sehr misstrauisch war. Er hat gesagt, dass er mitmachen würde, aber nicht vor der Kamera zu sehen sein will. Das ist natürlich schwierig bei einem Dokumentarfilm-Porträt. Dann dachte ich, dass es interessant wäre, die Kamera umzudrehen. Im Prepping geht es ja auch darum, sich vorzustellen, wie Menschen in Krisenzeiten zusammenarbeiten. Wenn mich die Leute im Bild positionieren und sagen, was ich machen soll, wird deutlich, wie sie mit anderen umgehen. Außerdem fand ich interessant, dass die Kamera dokumentiert, wie ich in Räume hineinkomme, die eigentlich abgeschlossen sind.

Wie war es, in diese Räume zu gelangen?

Eine Herausforderung war, mit irgendjemandem, den ich nicht kenne, mitten im Wald zu stehen oder in einen Keller zu gehen. Mit einer Person war es grenzwertig. Er war sehr dominant und hat diese unterordnende Rolle, die ich angeboten habe, stark angenommen. Gleichzeitig würde ich aber sagen, dass die Männer Offenheit bewiesen, indem sie mich dort hineinließen. Ich finde es schwierig, die Begegnungen in eine Schublade zu stecken - und merke auch, dass Leute sehr unterschiedlich auf den Film reagieren. Manche finden es vernünftig, wie die Männer leben. Andere finden es unheimlich.

Wie hat sich Ihre eigene Haltung verändert? Was haben Sie gelernt?

Interessant war, die Perspektive zu wechseln und selbst vor der Kamera zu stehen. Ich habe gemerkt: Das ist eine sehr ausgelieferte Position. Die Kamera zu halten ist eine bestimmte Art der Machtausübung, stellt aber auch eine Art von Behinderung dar. Man ist sehr unbeweglich. Ich fand dieses subtile Machtspiel ganz spannend.

Aber trotz dieser Rollenwechsel wird die Geschichte erst im Schnitt durch mich erzählt. Das ist schwierig, weil ich niemanden benutzen wollte, um meine Perspektive zu erzählen. Ich habe versucht, immer so zu schneiden, dass die Männer erklären können, was sie meinen.

Vor allem seit den Hygiene-Demos beschäftigt mich auch der »Lügenpresse«-Vorwurf: Wie kann ich als Filmemacherin mit Menschen arbeiten, die eine andere Haltung haben? Ich komme von einer Hochschule, an der immer gefordert wurde, dass man sehr stark Position bezieht. Es gibt andererseits dokumentarische Ansätze, in denen die Filmemacherin unsichtbar bleibt. Ich finde es interessant, in diesem Dilemma zu bleiben und immer wieder zu fragen: Widerspreche ich? Gehe ich mit?

Haben die drei Protagonisten den Film gesehen?

Ja, alle drei haben den Film gesehen und waren zufrieden - in dem Sinne, dass sie sich wiedererkannt haben. Einer hat gesagt, dass er gut gefunden hätte, wenn ich einen Stabilisierer auf das Bild gelegt hätte.

War er mit seiner eigenen Kamera-Leistung nicht zufrieden?

Ja, genau. Aber das war für mich eigentlich das Interessante: So wie sich die Kamera bewegt, bewegt sich auch die Person. Als ich den dreien den Film gezeigt hatte, war ich sehr nervös, denn es gibt schon die eine oder andere Stelle, die ich diskussionswürdig finde. Aber sie stehen zu dem, was sie gesagt haben. Der konfrontationslose Ansatz war für mich eine künstlerische Strategie, mit Leuten umzugehen, die eine andere Meinung haben. Denn ich habe das Gefühl, dass man sehr wenig mit Leuten spricht, die andere politische Meinungen haben. Aber inzwischen - angesichts dieser Hygiene-Demos - frage ich mich, ob die künstlerische Strategie des Mitgehens die richtige ist. Dass alle möglichen Leute mit Nazis zusammenlaufen und meinen, man könne sich auf einen vermeintlich gemeinsamen politischen Nenner einigen: Das kann man nicht tolerieren.

Das heißt, der konfrontationslose Ansatz hat Grenzen?

Ja, das würde ich auf jeden Fall sagen. Wo diese Grenze verläuft, weiß ich noch nicht. Ich finde es aber trotzdem wichtig, einen Film zu bieten, bei dem Leute danach nicht so genau gewissen, was sie davon halten sollen. Ich finde es gut, in Situationen zu geraten, in denen man mit etwas sympathisiert, das man rational ablehnt - und sich selbst hinterfragen muss. Das künstlerische Medium ist wichtig, um für Verwirrung zu sorgen.

Sie haben drei Männer porträtiert. Ist das Zufall?

Nein, würde ich nicht sagen. Zum einen gibt es relativ wenig Prepperinnen. Es gibt viel mehr männliche Kanäle, auf denen irgendwelche aktuellen politischen Situationen verhandelt werden. Deshalb sind es drei Männer geworden.

Mich hat aber noch etwas anderes interessiert: Ich habe mal ein Video-Interview mit jemandem aus dem fundamentalistisch-christlichen Bereich geführt. In den Kommentarspalten auf Youtube wurde er als Lehrer beschrieben, der sich die Zeit nimmt, mir die Welt zu erklären. Ich war das naive Schulmädchen. Das Verhältnis zwischen dem Naiven und der männlichen Kompetenz fand ich spannend. Das Bedürfnis nach autoritären Persönlichkeiten war in den letzten Monaten ja auch Thema.

Haben die Corona-Monate den Blick auf Prepping verändert?

In einem gewissen Maße vielleicht schon. Ich hatte den Eindruck, dass man Prepper jetzt weniger als verrückte Aussteiger sieht. Ich glaube auch, dass Prepping einige gute Ansätze hat: beispielsweise, dass das Leben fragil ist oder dass Ressourcen knapp sind. Gleichzeitig hatte ich aber nicht das Gefühl, dass Prepper jetzt »ihre Stunde« hatten und uns mit ihrem gelernten Wissen helfen konnten.

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