Trams und Busse stehen still

Beim bundesweiten Warnstreik demonstrierten Beschäftigte des öffentlichen Nahverkehrs für bessere Arbeitsbedingungen

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 5 Min.

Es war ein ungewöhnliches Bild, das sich am Dienstagmorgen in Leipzig darbot: Gespenstische Ruhe an den sonst so belebten Straßenbahnhaltestellen. Auf den Anzeigetafeln, wo sonst die nächsten Straßenbahnen angekündigt werden, rollte nur ein Schriftzug durch. Und an den Glasscheiben der Wartehäuschen klebten kleine Zettel mit der Botschaft: «Sei heute wütend!»

Wenige Stunden zuvor hatten die Fahrer der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB), der Leipziger Stadtverkehrsbetriebe (LSVB) und der LeoBus GmbH den öffentlichen Nahverkehr in Leipzig zum Erliegen gebracht. Sie sammelten sich an den Depots und blockierten die Ausfahrt. Unterstützt wurden sie dabei von der Gewerkschaft Verdi sowie von Fridays for Future, die am Straßenbahnhof Angerbrücke mit einem eigenen Banner vor Ort waren: «Klima schützen heißt die Streikenden unterstützen.»

Bis zum Mittag fuhr in Leipzig weder Bus noch Straßenbahn. In Dresden sollte der Streik bis 20 Uhr andauern, in Chemnitz, Zwickau und Plauen sogar bis Mitternacht. Auch in zahlreichen anderen Städten stand der öffentliche Nahverkehr am Dienstag teilweise oder vollständig still. Betroffen waren etwa Berlin, Hamburg, die Region Hannover, Magdeburg, Kiel und Erfurt. Auch in München, Konstanz und Freiburg waren Beschäftigte dazu aufgerufen, die Arbeit niederzulegen. Die Betriebe empfahlen ihren Kunden, am Dienstagmorgen auf nicht erforderliche Fahrten zu verzichten und auf andere Verkehrsmittel umzusteigen.

«Es fährt nix, das ist gut», zeigte sich der Leipziger Gewerkschaftssekretär Paul Pjanow im Gespräch mit «nd» zufrieden mit dem Streikverlauf. Die Gewerkschaft Verdi hatte die bundesweit 87 000 Beschäftigten im ÖPNV dazu aufgerufen, mit Beginn der Frühschicht die Arbeit niederzulegen. Mit dem Warnstreik will die Gewerkschaft ihre Position im Kampf um einen bundesweiten Tarifvertrag verbessern. Die Arbeitgeber sperren sich bislang gegen eine solche Regelung.

Im Konkreten geht es Verdi um einheitliche Regelungen in Bereichen wie Nachwuchsförderung, Ausgleich von Überstunden und Zulagen für Schichtdienste. Darüber hinaus verlangt die Gewerkschaft eine Vereinheitlichung bei Urlaubstagen und Sonderzahlungen. «Wir brauchen eine Verkehrswende in ganz Deutschland», so Pjanow. Tarif-Föderalismus sei keine Option, denn: «Die Verkehrswende ist ein bundesweites Thema.»

Parallel laufen derzeit in allen 16 Bundesländern Verhandlungen über die jeweiligen Tarifverträge in insgesamt 130 ÖPNV-Unternehmen. Es handelt sich dabei um so genannte Spartentarifverträge, die sich aus Sicht der Gewerkschaft im Laufe der Jahre in den einzelnen Ländern auseinanderentwickelt haben. Seit März fordert Verdi deshalb die Verhandlung eines bundesweiten Rahmentarifvertrages - bislang ohne Erfolg. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) spricht sich gegen die Aufnahme von Verhandlungen aus. «Wir haben mehrfach deutlich gemacht, dass die VKA nicht zuständig ist, Tarifverhandlungen für den öffentlichen Nahverkehr zu führen. Daran ändert auch ein Warnstreik nichts», teilte die Vereinigung am Dienstag mit.

Verdi-Chef Frank Werneke erneuerte indes seine Forderung: «Angesichts 15 000 fehlender Stellen im öffentlichen Personennahverkehr und krankmachender Arbeitsbedingungen, ist es völlig unverständlich, dass die Arbeitgeber bundesweite Tarifverhandlungen ablehnen.» Mit diesem Verhalten hätten die Arbeitgeber Streiks «provoziert».

«Ich nehme die Auseinandersetzung als schwierig war», sagte der Leipziger Gewerkschaftssekretär Pjanow und warf den Arbeitgeberverbänden «eine starke Antihaltung, eine provozierende Haltung» sowie eine «Hinhaltetaktik» und «Zeitspiel» vor. Pjanow erinnerte daran, dass Bus- und Bahnfahrer während der Corona-Pandemie einem besonderen Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind. Dass sich die Arbeitgeber nun derart ablehnend verhalten, sei «ein Schlag ins Gesicht der Kollegen».

Dass sich auch Aktivisten von Fridays for Future dem Warnstreik anschlossen, kam derweil nicht überraschend. Im Juli hatten beide Parteien eine Allianz für bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV und für den Klimaschutz gebildet. «Wir können verstehen, dass viele Personen, die auf den ÖPNV angewiesen sind, unglücklich über die Warnstreiks sind. Auch einige von uns wären heute morgen gern mit Bus und Bahn in Schule, Betrieb oder Uni gefahren», schrieb die Leipziger Ortsgruppe von Fridays for Future auf Twitter: «Aber nur mit angemessenen Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten!»

Unterdessen rief die Gewerkschaft auch die Politik zum Handeln auf. «Der ÖPNV ist völlig unterfinanziert», sagte die stellvertretende Verdi-Bundesvorsitzende, Christine Behle. Das ist ein strukturelles Problem, viele Kommunen haben kein Geld.«

Tatsächlich ging es speziell für die Beschäftigten in Sachsen am Dienstag um eine ganze Menge. Sie kämpfen nicht nur um einen bundesweiten Tarifvertrag, sondern auch um die Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 39 auf 38 Stunden, 400 Euro mehr Gehalt und Sonderzahlungen für langjährig Beschäftigte. »Selbst wenn wir nach Sachsen-Anhalt blicken, sehen wir einen Gehaltsunterschied von 300 Euro«, erklärte Pjanow: »Sachsen ist bundesweit Schlusslicht, was die Bezahlung der Beschäftigten betrifft.«

Bis zum Streikende um 12 Uhr sammelten sich die Bus- und Bahnfahrer am Leipziger Straßenbahnhof, »damit wir auch mal ein bisschen mehr Geld kriegen«, wie ein älterer Straßenbahnfahrer sagte. Der Mann, der nach eigenen Angaben seit 35 Jahren im Dienst ist, blickt auf eine abwechslungsreiche Zeit im Nahverkehr zurück und resümiert, es habe »schon bessere Zeiten gegeben«. Eine Frau wiederum, die zu DDR-Zeiten auf der Schiene unterwegs war und heute im Büro arbeitet, sagte, die Arbeit sei »härter geworden«, die Fahrgäste seien »ungeduldiger«. Vor der Wende »waren die Leute nicht so gestresst«.

Zuvor war auch über mögliche Streikbrecher spekuliert worden. Der Grund: Nur Gewerkschaftsmitglieder bekommen Streikgeld. Wer kein Mitglied und auf seinen vollen Lohn angewiesen ist, muss sich im Unternehmen arbeitswillig melden. Auch die Angst vor Arbeitsplatzverlust spiele eine Rolle, so Pjanow. Allerdings wurden diejenigen, die in den Depots erschienen, von den Unternehmen nicht auf die Schiene oder Straße geschickt.

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