- Politik
- Bergkarabach
Baku setzt auf das türkische Militär
Der Konflikt um Bergkarabach wird immer mehr zum Testfeld für modernste Kriegstechnik
Die zum Teil schweren Gefechte dauern nun schon über zehn Tage an. Armenien und Aserbaidschan beschuldigen sich gegenseitig, die Kämpfe begonnen zu haben. Vor allem Zivilisten leiden unter den gegenseitigen Angriffen. Nicht nur in der von Armenien okkupierten, in Aserbaidschan gelegenen »Republik« Bergkarabach und einigen weiteren Kreisen. Die Regierung in Baku behauptete am Wochenende, armenische Streitkräfte hätten Raketenangriffe gegen »aserbaidschanische Zivilisten und zivile Infrastruktur« geflogen und dabei die über 300 000 Einwohner zählende Stadt Gandscha sowie die Industriestadt Mingetschawir bombardiert. Die Regenten in Jerewan werfen den Kontrahenten vor, sie würden »bewusst die Zivilbevölkerung« angreifen. Beide Seiten sprechen von Tausenden getöteten Kämpfern aufseiten des jeweiligen Gegners und behaupten, wichtige militärische Erfolge errungen zu haben.
Internationale Vermittlungsversuche führten bislang nicht zum Erfolg. Armenien, das auf Moskau baut, regte eine russische Friedenstruppe an. Sie könnte unter dem Dach der sogenannten Minsker Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), in der sich Russland, Frankreich und die USA seit Jahren um eine Friedenslösung bemühen, operieren. Darauf will sich Aserbaidschan nicht einlassen. Die Führung setzt auf massive militärische Unterstützung der Türkei, die sich zur Regionalmacht aufspielt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan versprach zu Kriegsbeginn: »Die Türkei steht mit all ihren Mitteln an der Seite Aserbaidschans.«
Während Armeniens Armee vor allem von Russland und China ausgestattet wird, ist die Türkei neben Israel der wichtigste Waffenlieferant für Baku. Man drillt bei gemeinsamen Übungen aserbaidschanische Soldaten und bildet deren Führung weiter. Der Waffengang im Kaukasus gerät immer mehr zum Testfeld modernster Kriegstechnik. Nun aber mehren sich zudem Berichte, nach denen Erdogan auch seine »Fremdenlegion« in das Kriegsgebiet geflogen hat. Sie besteht überwiegend aus syrischen Kämpfern der Sultan Murad- und der Hamza-Brigade.
Vor diesem Einsatz waren die Truppen als Teil der Freien Syrischen Armee im Einsatz gegen die Armee des syrischen Präsidenten Baschar al Assad. Einige Söldner kämpften auf Seiten der Terrororganisation Islamischer Staat. Die Türkei setzte diese bewaffneten Haufen bereits auf syrischem Boden gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) ein, später operierten sie in Libyen. So wurde Diktator Erdogan dort zu einer regionalpolitisch wichtigen Figur - ohne, dass er eigene Truppen einsetzen musste. Nun will Erdogan die Methode in den Kaukasus tragen. Unterschiedliche Quellen behaupten, dass bereits bis zu 1000 Söldner den islamischen Brüdern in Aserbaidschan beistehen. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind mindestens 60 Syrer bei Gefechten umgekommen. Islamexperten wenden ein, dass die Widersprüche zwischen Sunniten und Schiiten bislang zu gewaltig waren, um eine solche Waffenbrüderschaft zu erzeugen.
Aserbaidschan ist neben Iran, Irak und Bahrain eines der wenigen Länder mit schiitischer Bevölkerungsmehrheit, die Leihtruppen Erdogans dagegen kämpften bislang im Namen des sunnitischen Glaubens. Doch offenbar lassen sich die bislang unüberbrückbaren Gräben mit ausreichendem Sold und mit dem Hinweis überwinden, dass man ja gegen Armenier, also Christen, kämpfe.
Wer nun von der Nato - aus wohlverstandenem eigenen Interesse - Taten zur Mäßigung des Bündnismitglieds Türkei erwartet, muss sich über Generalsekretär Jens Stoltenberg wundern. Bei einem Gespräch mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu bat er zu Wochenbeginn lediglich darum, dass die Türkei »ihren erheblichen Einfluss nutzt, um Spannungen abzubauen«. Auch die EU, die die Türkei noch immer als Bollwerk wider Fluchtbewegungen nach Europa nutzen will, findet nur schwache Worte. Derweil ist Erdogan auf - aus seiner Sicht - gutem Weg, um in der Tradition des Osmanischen Reiches Raum und Einfluss zu gewinnen. Dass Russland dem nicht tatenlos zuschaut, ist gewiss.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.