Mollis und Steine

Der Roman »Aufprall« bringt das West-Berlin der 80er zurück - von Hausbesetzungen bis Merve-Bändchen

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer »Aufprall« von Bettina Munk, Heinz Bude und Karin Wieland in die Hand nimmt, könnte wegen des auf dem Cover abgebildeten Pflastersteins denken, es handele sich bei dem 80er-Jahre-Roman um ein ganz wildes Steinewerfer-Pamphlet. Das damalige Kreuzberg zu verklären, gehört im Zuge von urbanem Standortmarketing ja fast schon zum guten Ruf, und wer den widerständigen, auch militanten Geist einer schon länger zurückliegenden Vergangenheit beschwört, läuft heutzutage kaum Gefahr, allzu sehr anzuecken. Selbst wenn die polizeilichen Räumungen von Wohnungen und Häusern, um die es im Buch geht, zurzeit wieder zum Berliner Alltag gehören, lässt sich das keinesfalls mit den wilden Zeiten von vor 40 Jahren vergleichen. »Aufprall« ist mehr als nur eine weitere Hommage an den Mythos der 80er in Kreuzberg. Zusammen ein Sachbuch zu schreiben, ist in der linken Szene gängige Praxis. Für Belletristik gilt das leider nicht, wenngleich das italienische Autorenkollektiv Wu Ming, eine Gruppe Postautonomer aus Bologna, recht eindrucksvoll zeigt, dass das sogar auf dem Buchmarkt erfolgreich sein kann.

Der Roman von Bude, Wieland und Munk, die alle drei schon mit unterschiedlichem Bekanntheitsgrad Bücher veröffentlicht haben, wenn auch keine erzählende Literatur, ist ein absoluter Gewinn. Die drei erinnern an die Aufbruchstimmung der 80er Jahre, den Häuserkampf in Westberlin, das gemeinsame Älterwerden und die damit einhergehenden Ausdifferenzierungsprozesse. »Aufprall« ist ein kollektiver Coming-of-Age-Roman.

Dem Text vorangestellt ist ein mehr als 30 Namen umfassendes Personenverzeichnis. Ganz eindeutig sind die drei Autoren einzelnen Figuren gar nicht zuzuordnen, wenngleich der Theorie-Nerd Thomas, der davon träumt, einst ein Buch bei Suhrkamp zu veröffentlichen, dem Soziologen Heinz Bude durchaus ähnlich sein dürfte. Und die Künstlerin Luise, die im besetzten Haus ihr Atelier hat und später nach New York zieht, zeigt biografische Überschneidungen mit Bettina Munk. Wer die Politikwissenschaftlerin Karin Wieland sein könnte, ist dann schon weniger eindeutig. »Aufprall« erzählt von einer Zeit des sozialen Wandels aus Sicht einer lose zusammengewürfelten Gruppe, die viel streitet, gemeinsam leidet, kämpft und sich irgendwann auch wieder voneinander entfernt. Die in der Linken so berühmten und ungehemmt ausgelebten Spaltungen ziehen sich als roter Faden durch die Geschichte.

Wie besetzt man ein Haus? Auch davon berichtet »Aufprall« auf praktische und nahezu intime Weise. Zumindest, wie das vor 40 Jahren in West-Berlin lief, als es im Winter 1980/81 zu einer Reihe von Besetzungen kam. Der Roman bietet die Innenansicht eines solchen Vorgangs: von der Planung bis zur Enttäuschung, als nach der Besetzung das Ausmaß der Schäden an dem heruntergekommenen Objekt deutlich wird. Es geht um die gemeinsame monatelange Arbeit des Instandsetzens, um ein kollektiv gestaltetes Leben und die für die praxisorientierten 80er so typische Chuzpe, ums anarchische Laufenlassen sowie um politische Strategien, den Häuserrat, die Straßenmilitanz, die legendäre Schlacht am Nollendorfplatz, die absurde Polizeirepression, unter anderem im Zuge von regelmäßigen Razzien, deren Schikane man beim Lesen fast miterleben kann.

Das ist teils konkret handlungsorientiert und teils dialogreich erzählt, dann wiederum gibt es Abschnitte, die sich wie eine Mischung aus soziologischer Prosa und frech geschriebenem Feuilleton lesen. Aber es geht nicht nur ums Besetzen, sondern auch um die Aneignung und das Ausprobieren linker Theorie. Die Literatur- und Verlagsinteressierten können in der nebenbei erzählten Geschichte des 1970 gegründeten Merve-Verlags schwelgen, der zunächst im Heftformat unter anderem viele operaistische Texte aus Italien veröffentlichte und ab Ende der 70er Jahre heutige Klassiker poststrukturalistischer Denker herausbrachte.

Neben reichlich Lyotard, einigem an FU-Geschichte, Vorbehalten gegen K-Gruppen-Logik und zu viel Marx-Lektüre gibt es auch eine Handvoll autonomer Geschichte der 80er Jahre. Die zentralen Figuren aus »Aufprall« gehören nicht der Verhandlerfraktion an, sondern stehen zu ihren militanten Aktionen und wollen keine Verträge machen, um die zukünftige Dachterrasse im Szeneviertel abzusichern. Es wird zudem ein ganzes Panorama subkultureller Großstadtgeschichte aufgefächert, von durchtanzten Nächten im Dschungel, dem Ex und Pop, der O-Bar und anderen urbanen Mythen eines schon lange nicht mehr existierenden West-Berlin.

Einen harten Bruch erlebt die jugendliche Gruppe, als ein Ausflug nach Prag in einem schrecklichen Drama endet. Bei einem Unfall kommt eine Besetzerin ums Leben, eine andere liegt wochenlang im Krankenhaus. Plötzlich spielen die in der Provinz zurückgelassenen familiären Beziehungen eine Rolle, die neu gewonnene Freiheit erlebt einen jähen Einbruch. Der titelgebende »Aufprall« ist auch dieser Unfall, nicht nur das revoltierende Aufbegehren einer Gruppe junger Menschen, die als Akteure eines weitergehenden sozialen, ökonomischen und kulturellen Wandels neue soziale Umgangsformen ausprobieren und bereit sind, dafür zu kämpfen. Insofern hat der Pflasterstein auf dem Cover zwar ikonografischen Charakter, um die Radikalität der damit verbundenen politischen Ambitionen zu unterstreichen. Das Buch zeigt anhand der Akteure und ihrer Geschichte mit den Möglichkeiten aber auch die Grenzen auf, mit den Erfolgen auch die Niederlagen dieser Kämpfe.

Heinz Bude/Bettina Munk/Karin Wieland: Aufprall. Hanser, 384 S., geb., 24 €.

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