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Die Welt aus den Fugen
Knallbunt und schonungslos: Émilie Gleason zeichnet in »Trubel mit Ted« ein Leben mit Asperger
Mit hochgezogenen Schultern, schlackernden Armen und spaghettidünnen Beinen stakst Ted durch die Welt. Er wirkt ungelenk, oft steif und unbeholfen, manchmal geradezu verdreht. In ihrem Comic »Trubel mit Ted« begleitet Émilie Gleason ihre Hauptfigur durch den Alltag. Der Tag beginnt mit dem Weckerklingeln. Ted steht auf, zieht umständlich seine Unterhose an, nimmt das Hemd vom Bügel, knöpft es zu, steigt in seine Hose. Mit riesigen Schritten läuft er ins Bad, kniet sich vor die Toilette, guckt hinein und verzieht das Gesicht. »Fff!«, macht Ted. Wieso? Das bleibt vorerst unklar - genauso wie die Frage, warum es die Autorin mit der Morgenroutine des jungen Mannes so genau nimmt.
In Variationen wiederholt sich die Szene: aufstehen, anziehen, in die Toilette pusten. Mit der Zeit wird deutlich, warum Émilie Gleason das macht: Weil es für Ted sehr, sehr wichtig ist. Er ist Autist, nimmt die Welt auf eine bestimmte Art und Weise wahr. Manches fällt ihm unglaublich leicht, anderes sehr schwer. Das Comic macht mit seinen lebendigen Bildern und seiner durchdachten Dramaturgie spürbar, wie das Leben eines Menschen mit Asperger-Syndrom, einer Form des Autismus, aussehen kann. Teds Tage bestehen aus der immer gleichen Abfolge von Abläufen - wenn er Glück hat. Denn alles, was unerwartet ist, bringt ihn aus dem Konzept. Dann scheint die Welt aus den Fugen zu geraten.
Doch meist läuft alles nach Plan. In seinem Job ist Ted äußerst souverän. Er arbeitet in einer Bibliothek und kennt eine Fülle von Sig᠆naturen, Titel und Erscheinungsdaten der Medien auswendig - was seine Kolleg*innen manchmal nervt. Überhaupt ist Ted nicht der einfachste Zeitgenosse. Besonders bei Fremden eckt er an - zum Beispiel, wenn er sie in der Métro von ihren Sitzplätzen vertreibt. »Das ist mein Platz«, sagt Ted dann bestimmt. Für ihn kommt nicht infrage, woanders zu sitzen.
Sein Leben meistert er trotzdem irgendwie alleine und weitgehend selbstbestimmt. Ab und zu erreicht ihn abends eine SMS seiner Mutter, die fragt, ob er schon die Zähne geputzt hat.
Das Drama beginnt, als eines Tages die Métro-Linie 4 ausfällt. Ted erstarrt, weiß nicht weiter. Nach Stunden spricht ihn eine Frau an. Sie nimmt ihn mit zum Mittagessen. Es gibt keinen »Trippel-Tschiiis-Bacon-Mayo-Extra-Fritten«, den Ted seit zwei Jahren jeden Tag isst. Stattdessen Spinat. Er geht nicht zur Arbeit, sondern zur Chorprobe der älteren Frau. Den Gesang findet er schrecklich, die Frau aber toll. Ted ist verliebt. Von da an sieht man ein kleines, krakeliges Herzchen über seinem Kopf. Als seine Freundin verunglückt, will er sich erhängen.
Seine Erlebnisse und Gefühle übersetzt Émilie Gleason in knallbunte, dynamische Bilder, die in einem rasanten Tempo durch sein Leben führen. Das Comic zeugt von einer großen Empathie für Ted - ohne dabei jemals ins Gefühlsduselige abzurutschen. »Trubel mit Ted« ist keine pädagogische Abhandlung, die wie im Lehrbuch erklären will, was Autismus bedeutet. Stattdessen nimmt die Autorin Leser*innen mit auf eine Reise durch Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens.
Rührseligkeit ist nichts für Émilie Gleason, die Ted auch in seinen unfreiwillig komischen und scheinbar naiven Momenten zeigt. Ted ist kein Held, aber auch keine bemitleidenswerte Figur - zumindest bis ihn sein Umfeld am Ende dazu macht.
Bei Dingen, mit denen er Problemen hat, schleicht sich beim Lesen manchmal der Gedanke ein, dass er eigentlich Recht mit seinen Fragen und Annahmen über das Leben hat. Wie kann man beispielsweise in Filmstars verliebt sein, die man in Wirklichkeit gar nicht kennt? Ted ist verwirrt. Er nennt Dinge beim Namen, weil er bestimmte Konventionen nicht versteht. Eine Frau im Zug nennt er »super fett«. Für ihn eine Feststellung, keine Beleidigung. Denn ihm fällt gar nichts ein, was ihn daran stören sollte, wenn jemand ein hohes Körpergewicht hat.
Mit seinen explosiven Bildern und dramaturgischen Kniffen birgt Émilie Gleasons Comic immer wieder Überrschungen. So wird beispielsweise irgendwann aufgelöst, warum Ted nicht aufs Klo gehen kann: Ihn stören die Blasen vom WC-Stein. Ihn einfach herauszunehmen: Auf diese Idee wäre er von allein gar nicht gekommen.
Inspiriert wurde Émelie Gleason von ihrem eigenen Bruder, bei dem im Alter von 15 Jahren Asperger diagnostiziert wurde. Dass die 1992 in Mexiko geborene Autorin persönliche Erfahrungen mit dem Thema hat, mag dazu beitragen, dass ihr Comic so lebendig, aber auch so entschieden in seiner Kritik ist. Eine erschütternde Wendung nimmt die Geschichte spätestens, als Ted nach einem Zusammenbruch mit Medikamenten vollgepumpt wird. »Trubel mit Ted« ist kein nettes Buch über das Leben mit Asperger, sondern auch eine kluge Beurteilung des gesellschaftlichen Umgangs mit Betroffenen.
Zu Recht hat Émelie Gleason, die in Strasbourg an der Kunsthochschule studiert hat und in Paris wohnt, viel Aufmerksamkeit für ihr Debüt bekommen. Unter anderem wurde es beim Comicfestival Angoulême mit dem »Prix Révélation« ausgezeichnet.
Émilie Gleason: Trubel mit Ted. A. d. Frz. v. Christoph Schuler, Edition Moderne, 128 S., br., 24 €.
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