Die Bauern haben kein Schwein

Afrikanische Schweinepest bedroht in Brandenburg Tausende Existenzen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Es werde auch wieder Tote geben, hatte Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) angesichts einer »zweiten Welle« der Corona-Pandemie am Dienstag vorhergesagt. Am Mittwoch wurde dann tatsächlich gemeldet, dass ein 87-jähriger Patient aus dem Landkreis Spree-Neiße im Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum gestorben ist. Es war in dieser Gegend der erste mit dem Coronavirus Infizierte überhaupt, der verstarb.

Etwas im Schatten dieses Ereignisses spielt sich noch ein anderes Drama ab. Es grassiert die Afrikanische Schweinepest. Bei mittlerweile 53 toten Wildschweinen wurde sie diagnostiziert, davon 42 bei Neuzelle im Landkreis Oder-Spree, neun bei Schenkendöbern in Spree-Neiße und zwei bei Bleyen in Märkisch-Oderland.

Die Ausbreitung der Seuche

Die Afrikanische Schweinepest ist nicht heilbar. Nur selten verenden die infizierten Tiere nicht.

Erstmals beschrieben wurde die Afrikanische Schweinepest 1921 in Kenia.

Den ersten Fall außerhalb Afrikas gab es 1957 in Portugal.

2007 trat die Tierseuche in Georgien auf und verbreitete sich von dort aus westwärts bis nach Polen.

Belgien hat seit 2018 mit der Afrikanischen Schweinepest zu kämpfen.

Als bisher einziger Staat konnte Tschechien diese Tierseuche erfolgreich bekämpfen.

Am 10. September wurde der erste Fall in Deutschland amtlich bestätigt - es handelte sich um ein totes Wildschwein, das bei Schenkendöbern entdeckt wurde.

Bislang ist Brandenburg als einziges Bundesland von der Schweinepest betroffen.

Es handelt sich um eine Viruserkrankung. Das Virus ist ziemlich robust und überlebt nach Angaben des brandenburgischen Verbraucherschutzministeriums beispielsweise bis zu zehn Tage im Kot von Schweinen und sechs Jahre und länger in tiefgekühltem Schweinefleisch. Drei Stunden hält es eine Hitze von 50 Grad Celsius aus und 20 Minuten lang eine Hitze von 60 Grad.

Mitgeschleppt werden kann das Virus von Hunden, Katzen und anderen Tieren, an Kleidung und Schuhen von Menschen oder auch an Fahrzeugen. af

Menschen können an dieser Tierseuche nicht sterben. Trotzdem stehen Tausende Existenzen auf dem Spiel. Akut bedroht sind zunächst nicht die Schweinehalter, weil die Pest noch nicht auf Hausschweine übergegriffen hat. Geradezu in Panik sind aber bereits Ackerbauern und Rinderzüchter - und sie haben allen Grund dazu. Denn sie dürfen einstweilen nicht auf die Felder. Ihre Traktoren könnten infizierte Wildschweine aufscheuchen, die dann die Schweinepest in bislang nicht betroffene Gebiete einschleppen, wird ihnen gesagt. Auf den Feldern steht aber der Mais und verfault, obwohl ihn Rinderzüchter als Futter und Einstreu dringend benötigen. Außerdem müsste jetzt die Herbstsaat in den Boden, Wintergerste etwa.

Das Betretungsverbot für landwirtschaftliche Nutzflächen gilt für Kerngebiete um die Fundorte der verendeten Wildschweine und für ein weiter gezogenes Gefahrengebiet, das sich bis in den Kreis Dahme-Spreewald hinein erstreckt. Dieses Gebiet muss erst langwierig nach Tierkadavern abgesucht und mit Zäunen abgesteckt sein, bevor die Landwirte wieder auf die Felder dürfen. Für das Gefahrengebiet der Landkreise Spree-Neiße, Oder-Spree und Dahme-Spreewald werden jetzt endlich Ausnahmen zugelassen. So können hier Mais, Sonnenblumen und Gemüse geerntet und die Saat ausgebracht werden.

In Märkisch-Oderland sei dies aber noch nicht möglich, bedauert Staatssekretärin Anna Heyer-Stuffer (Grüne). Sie untersteht Ministerin Nonnemacher, die in Brandenburg auch für den Verbraucherschutz zuständig ist. »Uns allen ist bewusst, dass die angeordneten Maßnahmen für viele Landwirte schmerzhaft sind«, sagt Heyer-Stuffer.

Das ist noch untertrieben. Agrargenossenschaften und anderen kleinen Landwirtschaftsbetrieben könnte es den Todesstoß versetzen. Eine typische Genossenschaft mache im Jahr vier bis fünf Millionen Euro Umsatz, erzählt der Geschäftsführer eines Agrarbetriebs aus dem Gefahrengebiet in Märkisch-Oderland. Man könne sich ausrechnen, dass im Sommer 2021 die Hälfte der Einnahmen fehle, wenn es nicht schnell eine Lösung gebe. Das wäre das Ende, sagt der Mann, der anonym bleiben möchte, um nicht noch mehr Schwierigkeiten zu bekommen.

Freuen würde es die großen Konzerne, die bereits seit anderthalb Jahrzehnten Betriebe und Flächen aufkaufen. Wenn die Genossenschaften wegen der Schweinepest aufgeben müssen, können die Konzerne billig haben, wonach sie schon lange gieren. Die in Ostdeutschland 1945 eingeleitete Bodenreform wäre dann komplett revidiert. Der Kapitalismus hätte damit 30 Jahre nach der deutschen Einheit auch auf den Lande vollständig gesiegt.

Betroffen davon sind genauso die Freien Bauern, die früher als Bauernbund in Erscheinung traten. Sie präsentieren sich oft als Gegenspieler sogenannter Roter Barone, also ehemaliger LPG-Vorsitzender, die sich angeblich nach der Wende alles unter den Nagel gerissen haben. Bei den Freien Bauern organisiert sind etliche Familien einstige Genossenschaftsbauern, die sich ihr in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) eingebrachtes Land zurückgeben ließen und fortan auf eigene Faust wirtschafteten. Sie sind nun genauso durch Schweinepest und große Konzerne bedroht. Ihr Referent Reinhard Jung sieht ein Komplettversagen des Ministeriums. Er sagt: »Über die Mischung aus administrativer Zwangsruhe und hektischem Dilettantismus amüsiert sich inzwischen die halbe Republik.«

Ende letzter Woche seien mit Ausnahmegenehmigung Mitarbeiter einer »offensichtlich gut vernetzten, sehr großen Agrargenossenschaft« damit beschäftigt gewesen, »Kartoffeln zu roden und Luzerne zu häckseln«, will Jung aus sicherer Quelle wissen. »Und das ausgerechnet in der Kernzone, während drum herum 33 000 Hektar nicht bewirtschaftet werden dürfen.« Das Landwirtschaftsverbot in der 15-Kilometer-Zone um die Fundorte sei weder verhältnismäßig noch zielführend. Die dadurch verursachten Schäden überschreiten nach Rechnung von Jung weitaus die Schäden, die zu erwarten sind, wenn die Schweinepest auf Nutztierbestände übergreifen sollte.

Die Bundestagsabgeordnete Kirsten Tackmann (Linke) - sie ist von Beruf Veterinärmedizinerin und wirkte früher am Friedrich-Loeffler-Institut für Tierseuchenforschung - kann zwar noch nachvollziehen, dass Mais nicht geerntet werden darf. Dass aber nicht einmal ausgesät werden darf, versteht sie nicht. Wildschweine, die auf der Suche nach Nahrung in Siedlungen und sogar in die Randbezirke Berlins eindringen, lassen sich von einem vorbeifahrenden Trecker nicht so schnell aus der Ruhe bringen, denkt sie.

Der Geschäftsführer eines Agrarbetriebs, der anonym bleiben möchte, wünscht einen komplett anderen Umgang mit der Krise. Anstatt das Geld für Zäune zu verschwenden, die doch nichts bringen, könnte der Staat den Schweinehaltern doch die Tiere abnehmen, deren Gesundheit überprüfen und sie anderswo hinbringen, schlägt er vor. So wie es jetzt läuft, könnte er sich vorstellen, dass verzweifelte Bauern irgendwann ihre Schweine absichtlich mit der Pest infizieren, damit das Vieh getötet werden muss und sie eine Entschädigung bekommen. Dann wären sie das Problem los. Derweil gebe es keinerlei gesicherte Information für die Ackerbauern, ob sie entschädigt werden, wenn ihnen der Mais verfault und die Herbstsaat ausfällt.

Der Preis für Schweinefleisch ist bereits im Keller. 1,25 Euro gibt es maximal noch für das Kilogramm. Ein Ferkel musste aber für 80 bis 90 Euro gekauft werden. Nach Mast und Schlachtung erbringt ein Schwein rund 85 Kilogramm Fleisch zum Verkauf. Futter und Arbeitsaufwand eingerechnet, machen die Bauern schon jetzt Verlust. Dabei geht der Preisverfall vermutlich weiter. Auch China nimmt wegen der Pest nichts mehr ab.

Deshalb verzichten die Landwirte Tino und Ronny Ryll aus Reinsdorf im Kreis Teltow-Fläming derzeit darauf, sich von einem ihrer 30 Schweine zu trennen und warten ab. Sie halten die Tiere im Freiland. Würde sich die Schweinepest bis Reinsdorf ausdehnen, so würde der Amtstierarzt eine Stallpflicht anordnen. Im Stall haben die Brüder Ryll aber nur Platz für zehn Schweine. 20 müssten sie schlachten lassen und zusehen, ob ihnen noch irgendwer das eigentlich wertvolle Biofleisch für einen Spottpreis abkauft.

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