- Kultur
- Beilage zur Buchmesse Frankfurt Main
Die Vergangenheit lebt wieder auf
Hannes Bahrmann über »Francos langen Schatten«, Amnestie und Amnesie
Sie wurden herzlichst begrüßt, die sich auf Zeitreise zurück in ihre Vergangenheit begebenden Veteranen der Republikanischen Armee und der Interbrigaden - ob auf dem Campus der Madrider Universität, Schauplatz heftiger Kämpfe im Dezember 1936, oder im Gewerkschaftshaus von Zaragoza. Am stürmischsten jedoch war der Empfang am Bahnhof von Barcelona. Junge Leute umarmten die Verteidiger der Volksfrontrepublik, überreichten rote Nelken. Auf dem Bahnhofsvorplatz noch mehr Jugendliche, schwarze, rote und katalanische Fahnen schwenkend, zwischen ihnen zwei Pappsärge mit den Namen Franco und Stalin.
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Hannes Bahrmann: Francos langer Schatten. Diktatur und Demokratie in Spanien.
Ch. Links, 285 S., br., 20 €.
Der deutsche Kommunist Kurt Julius Goldstein und US-Lincoln-Brigadist Mosess »Moe« Fishman runzeln die Stirn, während Hans Landauer aus Österreich und Alfred Sauter aus Liechtenstein schmunzeln und die spanischen Gebrüder Josep und Vicent Almudevér mit ihren jungen Fans lebhaft diskutieren: Die Sowjetunion sei, neben Mexiko, das einzige Land gewesen, das die Volksfrontregierung in ihrem Abwehrkampf gegen Franco, Hitler und Mussolini unterstützt habe. Und Zwistigkeiten untereinander, vor allem anarchosyndikalistisches Vorpreschen, hätten die eigenen Reihen geschwächt. - So erlebt anlässlich des 70. Jahrestages des Beginns des Spanienkrieges.
Tatsächlich ist es erst die Enkelgeneration in Spanien, die sich für das Geschehen in den Jahren 1936 bis 1939 und die brutale Diktatur Francos hernach interessiert. Es dominiert das große Schweigen. Auch wenn in den letzten Jahren die Suche nach den über 100 000 »Verschwundenen« intensiviert wurde und aus dem »Valle de los Caídos« (Tal der Gefallenen), monströser Pilgerort der Franquisten, jüngst das Grab des »Caudillo« (Führer) entfernt worden ist - im Schulunterricht bleiben die Verbrechen Francos und seiner Büttel weitgehend ausgeblendet, ebenso die Rolle der Kirche als Stütze des Terrorregimes; gänzlich verschwiegen wird der opferreiche Widerstand. »An vielen Orten stößt man auf Symbole der Diktatur«, schreibt Hannes Bahrmann. »Das Emblem an den Kasernen der paramilitärischen Guardia Civil zeigt bis heute das faschistische Rutenbündel. Und in vielen Orten gibt es noch die Plaza del Caudillo.« Der Schatten Francos ist allgegenwärtig im heutigen Spanien, weiß der kundige Autor. Das Buchcover zeigt einen, seinen rechten Arm zum faschistischen Gruß erhebenden, Mann vor dem 152 Meter hohen Kreuz im Tal der Gefallenen. Bahrmann verweist auf die nach wie vor kursierenden Mythen, die Franco fälschlich als Vater der Sozialversicherung, des bezahlten Urlaubs und der staatlichen Rente sowie als Unternehmensgründer lobpreisen; die Telefónica (Telefongesellschaft), ebenfalls seinerzeit erbittert umkämpft, ist bereits 1924, die Fluglinie Iberia 1927 gegründet worden.
Das interessante, informative und gut lesbare Buch wird von einem historischen Exkurs eröffnet, der mit der arabischen Eroberung der Iberischen Halbinsel und der katholischen Reconquista (Rückeroberung) beginnt und den Aufstieg Spaniens zur Kolonial- und Weltmacht reflektiert. Ausführlich werden die ökonomische und soziale Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die aufgrund konservativen Drucks erfolglosen Reformbemühungen der Zweiten Republik beschrieben. Ein erster Militärputsch, 1932 unter José Sanjurjo, gegen diese konnte durch einen Generalstreik vereitelt werden, die Republik büßte dennoch die Unterstützung breiter Volksmassen ein.
Akribisch berichtet Bahrmann über den Wahlsieg der Frente Popular (Volksfront) im Februar 1936, deren erste Maßnahmen und den folgenden Putsch vom 18. Juli. Skizziert wird zuvor der in Marokko beginnende Aufstieg des kleinwüchsigen »Franquito« zum mit 33 Jahren jüngsten General Europas, der schließlich zum am längsten herrschenden Diktator avancierte. Im Gegensatz zu seinem politischen Gegner schlief Franco mit 82 Jahren 1975 friedlich in seinem Bett ein. Man erfährt von dessen sagenhaftem, unrechtmäßig erworbenem Reichtum, von dem seine Enkel und Urenkel profitieren, und vom »Raubzug« der Ehefrau durch die Juwelierländen.
Ein spezielles Kapitel ist König Juan Carlos gewidmet, der sich des Stigmas, Francos Ziehsohn zu sein, erst durch seine Intervention beim Operettenputsch rechter Militärs am 23. Februar 1981 halbwegs entledigen konnte. Noch heute sind in der Cortes Generales, dem Parlament in Madrid, die Einschusslöcher von jenem Coup zu sehen.
Der eigentliche Skandal indes: 45 Jahre nach Francos Tod sind die Amnestiegesetze, die alle Verbrechen vor 1975 straffreif stellten, weiterhin in Kraft. Und der couragierte Richter Balthasar Garzón, der unbeirrt auf eine Ahndung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit im sogenannten Bürgerkrieg und unter der Diktatur drängt, hat Berufsverbot. Unbefriedigend blieb auch das unter sozialistischer Regierung verabschiedete Ley de Memoria Histórica (Gesetz über das nationale Gedächtnis). Der Pacto del Olvido (Pakt des Vergessens) hält die spanische Gesellschaft weiterhin im Würgegriff. Die der Amnestie gefolgte Amnesie endlich aufzubrechen, ist harte Arbeit. Die Nachgeborenen, die sich an diese wagen, sind mit zahlreichen Hindernissen konfrontiert. Was Bahrmann, auch angesichts beängstigenden Rechtsrucks in Spanien, zum bitteren Fazit leitet: »Die Vergangenheit lebt wieder auf.«
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