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  • Beilage zur Buchmesse Frankfurt Main

Prekäre Heimat

Unter Feldern, Wäldern und Nazis: Thilo Krauses Dorfroman »Elbwärts«

  • Tom Wohlfarth
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon seit ein paar Jahren gibt es in der deutschsprachigen Literatur den Trend zum Dorfroman, zur Provinzerzählung, aber auch zur Herkunftsgeschichte als Rückkehr in diese Provinz. Die Großstadt hat sich ein wenig auserzählt, die wahren Abenteuer der Selbstfindung liegen nun wieder janz weit draußen, mitten unter Feldern, Wäldern und Nazis. Der Lyriker Thilo Krause hat diesem Genre mit seinem ersten Roman »Elbwärts« ein denkwürdiges Beispiel hinzugefügt.

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Thilo Krause: Elbwärts. Hanser, 208 S., geb., 22 €.

Sein namenloser Ich-Erzähler kommt nach Jahren in einer ungenannten Stadt mit Freundin und kleiner Tochter in die Heimatgegend der Sächsischen Schweiz an Elbe und tschechischer Grenze zurück, wo die Familie sich ein altes Haus renoviert, bezeichnenderweise jedoch nicht im Dorf, in dem er aufwuchs, sondern im Nachbardorf.

Er ist der Heimat fremd geworden, die Rückkehr keine Suche nach der Kindheitsidylle, wie er Freundin Christina glauben lässt, sondern eine Konfrontation mit vergangenem Unglück. Der einzige Mensch, den er in der Gegend noch kennt, ist der Jugendfreund Vito, der einst bei einer gemeinsamen Kletterpartie abstürzte und ein Bein verlor. Obwohl Vitos Eltern dem Freund die Schuld gaben, hielten die beiden zusammen - bis die Eltern des Erzählers plötzlich mit dem Sohn wegzogen und die Freunde sich nie wiedersahen.

Ähnlich geisterhaft wie sein Verschwinden damals ist nun auch die Rückkehr des Erzählers an die Orte von früher, seine ganze Erscheinung ein Abbild unbewältigter Kindheit. Während Christina jeden Morgen ins nahe gelegene Ärztehaus zur Arbeit fährt, bringt er die Tochter in den Kindergarten, aber nicht um seinerseits zu arbeiten, sondern um tagelang barfuß und mit löchrigem T-Shirt durch die Wälder zu ziehen - ein scheinerwachsener Huck Finn der Elbe.

Auf diesen Streifzügen nähert er sich, in Erinnerungen, dem Jugendfreund an, den leibhaftig aufzusuchen er (noch) nicht den Mut hat. Und so erfahren auch wir Leser die Geschichte der beiden: den tragischen Unfall, die anfängliche Entfremdung, schließlich die Wiederannäherung und den schmalen Grat zwischen Schuldzusammenhang und Neuanfang, den sie bedeutet.

Traurig-schöner Höhepunkt dieses Ambivalenzverhältnisses ist eine versuchte Flucht aus der dörflichen Enge in den Schutz der Elbsandsteinberge - die natürlich scheitert. Doch die Freundschaft hält allem stand; es sind die Eltern des Erzählers, die die schuldzuweisende Stimmung im Dorf nicht ertragen und schließlich mit dem Sohn in die Stadt ziehen. Als der Erzähler sich zwanzig Jahre später endlich traut, in Vitos Tischlerei aufzutauchen, hat der ihn längst erwartet, freilich nicht nur mit Freude.

Die Reise des Erzählers in die Vergangenheit ist auch in anderer Hinsicht nicht folgenlos für die Gegenwart. Einmal bleibt er auf einem seiner Ausflüge zu lange hängen, vergisst die Zeit - und seine Tochter, die er aus der Kita abzuholen versäumt. Auch von Christina entfremdet er sich: Als er ihr schließlich die Wahrheit über sich und Vito erzählt, ist sie mit der Tochter weg.

Krause schildert diese Erinnerungsexkursionen und Ereignisse in verdichtet-funkelnden Sätzen, in poetischen Bildern und Szenen, in einer glasklar-soghaften Sprache (der in der Hörbuchfassung Nico Holonics einen gelungen-gebrochenen Ausdruck verleiht). Und er tut es durchaus nicht ohne märchenhaft-humoreske Elemente.

Der Erzähler und Vito finden wieder zueinander, der »Barfüßige und der Einbeinige« - noch immer zwei Misfits in der engen Welt, die mehr und mehr von »Glatzen oder denen ohne« bevölkert wird, deren Frakturschriftheftchen freilich auch bei Vito zu Hause herumliegen, der die Nazis so beiläufig empfängt wie die Zeugen Jehovas. Gemeinsam mit dem tschechischen Busfahrer Jan und dessen Frau Brigitte macht sich dieses seltsame Paar auf die Suche nach Christina und der Kleinen, die schließlich in einem apokalyptischen Elbhochwasser ihren Höhepunkt findet. Doch es ist nur zum Teil eine reinigende Sintflut. Sie stiftet Gemeinschaft, aber zerstört sie zugleich.

Dass die patriotischen Dorfbewohner »den Tschechen« die Schuld am Hochwasser geben und die neue (alte) Freundeskommune massiv bedrohen, lässt die Themen Gemeinschaft und Fremdheit in dieser sächsischen Grenzregion erneut zum akuten Problem werden. Der 1977 im nahen Dresden geborene Krause lebt seit Jahren in Zürich. Eine tatsächliche, nicht nur literarische, Rückkehr in die Heimatgegend schließt er aufgrund der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse vor Ort für sich aus. In seinem beeindruckenden Romandebüt macht er diese Prekarität der »Heimat« - ein Wort, das er im Buch bewusst spärlich verwendet - auf mehrfacher Ebene anschaulich.

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