Was ist denn hier passiert?

Das Verschwinden der DDR als Glück, Pech und Experiment: »Goldbecks Wenden« von Thomas B. Steinke

  • A. Stropski
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein merkwürdiges Buch - im besten Sinne des Wortes: noch ein, oder wieder ein, oder endlich ein Wenderoman? Thomas B. Steinke macht es sich und seinen Figuren nicht leicht. Gemeinsam mit Goldbeck, einem Diplom-Gesellschaftswissenschaftler (eingeweihte Leser wissen, dass es so einen Beruf nur in der DDR gab), werden wir in wirre Wendetage, in die Zeit davor und natürlich danach geführt. Und mit dem historischen Abstand gewinnen wir einen ernüchternden Blick darauf, was damals mit den Menschen, mit ihren Beziehungen und ihren Wünschen passiert ist - und wozu es dann jetzt wirklich geführt hat.

Goldbeck wird durch die Wende aus seinem Leben geschleudert, versucht irgendwie damit klarzukommen, wie so viele, versucht die neue Situation zu verstehen, anzunehmen - und scheitert mit all dem ziemlich grandios. Das birgt für den Autor schon einmal viele Möglichkeiten, vom Individuellen auf das Gesellschaftliche zu reflektieren. Und man merkt: Er macht es gern. Er nutzt diesen Roman, um immer wieder zu sagen: Seht doch einmal genau hin! Was ist denn hier passiert? Was haben wir gemacht, aus all den Möglichkeiten, aus unseren Problemen, aus unserem Leben?

Alles, was Goldbeck gelernt hat, alles, woran er glaubte, ist mit einem Mal nichts mehr wert, nichts hat Bestand, nichts funktioniert - ein Leben zerbricht. Goldbeck droht, was so vielen der ehemaligen Vordenker, Kurslenker, Fahnenschwenker in der Wendezeit geschehen ist, in die Bedeutungslosigkeit, in die Belanglosigkeit abzurutschen. Aber er trifft auf zwei Menschen, die seinem Leben wieder Struktur geben. Zum einen auf seine alte Jugendliebe Karen - deren Verschwinden er hingenommen hatte, wie so vieles in seinem Leben - und zum anderen auf einen Mann namens Bringsheim, der sich als Chef eines weltumspannenden Mischkonzerns entpuppt und Goldbecks Dilemma sofort erkennt: Goldbeck hat abgeschlossen mit dieser Welt; er hasst alles, worauf er einst stolz gewesen war - und damit ist er bereit für alles! So wird er für Bringsheim zu einem willigen Spielzeug. Bringsheim bietet Goldbeck die Möglichkeit, die Karriereleiter mühelos zu erklimmen, und schon bald sieht sich der gelernte Gesellschaftswissenschaftler mit allen Facetten einer ausgewachsenen kapitalistischen Ökonomie konfrontiert - und diesmal befindet er sich auf der anderen Seite: auf der Seite der Herrschenden, weil Besitzenden.

Er benutzt alle Instrumente, die ihm sein Studium mitgegeben hat, um seine neue Situation zu verstehen - um letztendlich zu erkennen, dass Bringsheim mit ihm nur sein Spiel spielt, so wie mit allem: mit dem Geld und mit den Menschen, die er braucht, um sein Imperium am Laufen zu halten und stetig zu vergrößern. Gemeinsam mit Goldbeck erkennen wir plötzlich: Alles funktioniert genau so, wie Marx es beschrieben hat. Es wird ein Prinzip dieses Romans erkennbar: Die Figuren stehen nicht für Persönlichkeiten, sie stehen für Prinzipien. Bringsheim, der Spieler, Karen, die Mahnerin, und dazwischen Goldbeck, der nach Sinn Suchende, getrieben von Fragen, deren Antworten immer wieder neue Fragen generieren.

Wenn das jetzt wie eine gesellschaftswissenschaftliche Abhandlung klingt - weit gefehlt! Steinke versteht es, immer wieder die Versuchsanordnungen zu variieren. Manchmal führt er uns in entlegene Gegenden, aber immer wieder in absurd groteske Situationen - in denen er seine Figuren neu aufeinandertreffen lässt. Wie im Schauspiel auf der Bühne kommt es einem manchmal vor; ab und zu lässt der Autor das Spiel anhalten, tritt an die Rampe und kommentiert, was da eben passiert ist. Da muss man als Leser ebenfalls innehalten und den einen oder anderen Satz noch einmal lesen. Alles im gesellschaftlichen Kontext und doch durchaus amüsant. Es ist ein intellektueller Rundumschlag mit Tempo und eine immer wieder überraschend kippende Geschichte.

Thomas B. Steinke: Goldbecks Wenden. Quintus, 184 S., geb., 19,90 €. Lesung: 12.10., 19 Uhr, Münzenbergsaal, Franz-Mehring-Platz 1, Berlin; um Anmeldung wird gebeten.

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