Die Pandemie der Arbeitslosigkeit

Peru hat die weltweit höchste Covid-19-Sterblichkeit. Wegen fehlender sozialer Sicherheit breitet sich Corona besonders schnell aus

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Martín Vizcarra lässt keine Chance aus, auf die Erfolge der Corona-Bekämpfungsstrategie seiner Regierung hinzuweisen. »Seit acht Wochen sinken die Zahlen der Infizierten und der Covid-19-Patienten in den Krankenhäusern«, so Perus Präsident am Mittwoch in Lima. »Wir sind besser vorbereitet auf die zweite Welle als auf die erste. Im März hatten wir 100 Intensivbetten, heute sind es 1600«, so Vizcarra.

Erfolge, die allerdings auch auf die Defizite des Gesundheitssystems hindeuten, das mitverantwortlich dafür ist, dass Peru in der Corona-Pandemie gemessen an der Bevölkerungszahl die höchste Mortalitätsquote weltweit hat. Mit 33 Millionen Einwohner*innen hatte das lateinamerikanische Land am Mittwoch 829 999 Infizierte und 32 834 Tote registriert, so die aktuelle Zahlen der John-Hopkins-Universität.

Pro 100 000 Einwohner*innen sterben in Peru 101 Menschen, dass ist deutlich mehr als in Belgien, Bolivien oder Brasilien, den Ländern, die ebenfalls eine hohe Mortalität aufweisen. Die Ursachen dafür sehen Entwicklungsexperten wie Carlos Herz, der lange als Berater für die deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) arbeitete, in der ineffizienten Verteilung der medizinischen Ressourcen. »Unser Grundproblem ist das total ineffiziente öffentliche Gesundheitssystem, welches obendrein segmentiert ist. Das knappe Geld für die Gesundheitsversorgung, kaum mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wird unter mehreren Empfängern verteilt«, kritisiert der 66-Jährige.

»Wir haben ein latent unterfinanziertes öffentliches Gesundheitssystem, das von unabhängigen Gesundheitseinrichtungen der Militärs und privaten Kliniken flankiert wird. In Lima gibt es zu allem Überfluss noch ein weiteres Netz von Gesundheitseinrichtungen für die Allerärmsten am Ende der sozialen Leiter, das SIS«, kritisiert Herz kopfschüttelnd. Für den Entwicklungsexperten, der aktuell für eine kirchliche Bildungseinrichtung in Cusco arbeitet, ein Unding. Dies ist eine strukturelle Ursache für die hohe Mortalitätsquote in Peru, argumentieren auch Ökonom*innen aus dem Gesundheitssektor wie Farid Matuk.

Die andere hat viel mit der ökonomischen Struktur des Landes zu tun. Rund 70 Prozent der Arbeitnehmer*innen arbeiten auf eigene Rechnung im informellen Sektor und sind nicht abgesichert. »Wer nicht arbeitet, isst nicht, heißt eine Binsenwahrheit in Peru«, so Carlos Monge, Lateinamerika-Koordinator des Natural Resource Governance Institute in Lima. Das Institut engagiert sich für einen transparenten und effektiven Umgang mit Ressourcen und hat neben dem Bergbausektor auch den Arbeitsmarkt im Blick.

Dort dominieren die kleinen Selbstständigen, Tagelöhner*innen oder Hausangestellte, die rund 72 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die könnten vielleicht zwei Wochen Zuhause bleiben, wenn Präsident Vizcarra sie darum bittet. Dann seien alle Rücklagen aufgebraucht, meint Monge. »Sie erhalten kein fixes Gehalt am Monatsende auf ihr Bankkonto. Viele haben nicht mal eines.« Für ihn passen die von der Regierung in Lima verfügten Maßnahmen oft nicht zur Lebensrealität in den Armenvierteln Limas und anderer großer Städte. »Stadtteile haben oft keinen Wasseranschluss, werden von Tankwagen beliefert, die viel Geld für das angelieferte Wasser verlangen. Da ist die Aufforderung, sich die Hände regelmäßig zu waschen, beinahe zynisch. Das Infektionsrisiko ist folglich hoch«, schildert Monge die Bedingungen.

Folglich sieht sich die Bevölkerungsmehrheit, die sich ohne feste Anstellung durchschlägt, nicht einer Pandemie, die den Alltag dominiert, sondern gleich mehrerer gegenüber. Der Corona-Pandemie stehe die Pandemie der Arbeitslosigkeit, der latenten Unsicherheit durch Kriminalität, der miesen öffentlichen Infrastruktur, im Gesundheitssystem, bei der Trinkwasserversorgung oder dem öffentlichen Nahverkehr quasi gleichberechtigt gegenüber, schildert Monge seine Eindrücke aus Gesprächen auf der Straße. Allesamt Faktoren, die das Infektionsrisiko schüren, das geben auch die Gesundheitsexperten in Lima und anderen großen Städten wie Cusco oder Arequipa zu.

Darüber hinaus verweisen sie aber auch auf die Tatsache, dass in der nationalen Statistik rund 10 000 mutmaßliche Corona-Tote aufgeführt sind, die möglicherweise an anderen Krankheiten gestorben sind. Doch selbst wenn man diese Fälle rausrechnet, würde Peru immer noch zu den Ländern mit den höchsten Mortalitätsquoten weltweit zählen.

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