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Stille Epidemie
In vielen Krisengebieten ist Gewalt gegen Frauen alltäglich – sogar durch Mitarbeiter internationaler NGOs. Ein Gespräch mit der Frauenrechtlerin Monika Hauser
Die Demokratische Republik Kongo ist eines der gefährlichsten Länder für Frauen und gilt sogar als Vergewaltigungshochburg. Wie ist die Situation dort?
Die ist seit vielen Jahren verheerend. Wir haben dort jetzt mehr als 20 Jahre Krieg, ständig wechselnde gewaltsame Konflikte und mehr als fünfeinhalb Millionen Menschen, die innerhalb ihres eigenes Landes auf der Flucht sind. Sexualisierte und häusliche Gewalt gegen Frauen ist dabei allgegenwärtig. Die Ebolakrise hat diese alltägliche Gewaltsituation noch verschärft: Extreme Armut und Hungersnöte treffen auf eine komplexe Lage, die das Leben enorm schwer macht. Jetzt hat Covid-19 diese Situation noch mal weiter verschlechtert.
Monika Hauser ist Gründerin und Vorständin der Frauenrechtsorganisation medica mondiale. Seit der Gründung 1993 setzt die Gynäkologin sich für Überlebende sexualisierter Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten ein. Für ihre Arbeit hat sie bereits mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter den als Alternativen Nobelpreis bekannten Right Livelihood Award. Über patriarchale Strukturen, die auch vor humanitärer Hilfe keinen Halt machen, sprach mit ihr Birthe Berghöfer.
Kürzlich ist zudem bekannt geworden, dass zwischen 2018 und 2020 offenbar 51 Frauen durch Mitarbeiter internationaler Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sexuell ausgebeutet und missbraucht wurden.
Viele unserer Partnerorganisationen berichten immer wieder von ähnlichen Fällen in internationalen NGOs. Tatsächlich ist es so, dass im Rahmen der Ebolakrise, und jetzt der Corona-Pandemie die Vorfälle von Vergewaltigung, sexuellen Übergriffen und Gewalt gegen Frauen und Mädchen signifikant ansteigen. Dieses Phänomen bezeichnet man auch als stille Epidemie.
Das hat Sie also nicht überrascht?
Das überrascht uns seit 20 Jahren nicht. Das ist systemimmanent. Dass sexualisierte Gewalt vorkommt, ist für uns die Regel und nicht die Ausnahme. Wir sollten aufhören, von Einzelfällen zu reden, sondern wirklich die Systemimmanenz benennen. Überall, wo wir ungleiche Machtstrukturen haben, wird auch sexualisierte Gewalt gefördert. Daher gibt es das selbstverständlich auch in der humanitären Hilfe und wir wissen davon seit Jahrzehnten. Deswegen hat der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, auch die »Null-Toleranz-Politik« erlassen, die immer mehr Organisationen übernommen haben. Er hat gesehen, dass sexuelle Übergriffe auch von UN Soldaten und zivilem UN-Personal das Image der Vereinten Nationen stören. Es ist ein Unding, dass wir noch überhaupt nicht weiter sind, obwohl es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Skandale gab.
Zum Beispiel?
2014 gab es den Skandal in der Zentralafrikanischen Republik, in den 1990er Jahren in Bosnien oder auch in Haiti nach dem Erdbeben 2010. Vor zwei Jahren ist bekannt geworden, dass dort Mitarbeiter von Oxfam in Fälle sexueller Übergriffe und sexueller Ausbeutung verwickelt waren. Es ist davon auszugehen, dass all diese bekannten Skandale lediglich die Spitze des Eisbergs sind. Denn in der humanitären Hilfe sind die patriarchalen Strukturen nicht anders als in anderen Arbeitsbereichen.
Wenn internationale Helfer, Diplomaten und Soldaten in Krisenregionen kommen, entsteht zudem ein großes Machtgefälle und eine extreme Abhängigkeit der sogenannten Begünstigten – in diesem Zusammenhang ein wirklich hanebüchenes Wort. Die Männer vor Ort haben eine große Entscheidungsmacht über die Verteilung von Hilfsgütern oder auch Jobs an lokales Personal. Wie wir von unseren Partnerinnen vor Ort immer wieder hören, werden dafür auch sexuelle Gegenleistungen verlangt. Bei Nahrungsmitteln ist das besonders perfide. In Liberia gab es mal eine Kampagne, die hieß »No Sex for Food, No Food for Sex«. Das sagt eindeutig aus, welches Machtgefälle dahintersteht.
Viele der Täter werden nie belangt. Welche Rolle spielt die Straflosigkeit im Kampf gegen sexualisierte Gewalt?
Die spielt ja weltweit eine große Rolle. In Deutschland ist die Dunkelziffer bei Vergewaltigungen hoch, nur wenige Täter werden dafür verurteilt. Das halten wir Feminist*innen und Frauenrechtsaktivist*innen für unannehmbar. Und im Kongo gibt es zwar die entsprechenden Gesetze, aber keinen funktionierenden Justizapparat, keine Möglichkeiten für Frauen, sich Anwälte zu nehmen und ihr Recht durchzusetzen, und dazu kommt noch massive Korruption. Ich erlebe immer wieder, auch in anderen Ländern mit starker Armut und Korruption, dass Täter sich bei Justiz und Polizei sehr leicht freikaufen können. Das ist eine dramatische Situation, in der für Frauen Gerechtigkeit ein leeres Wort ist.
Im Fall der Ebola-Helfer im Kongo haben einige der Organisationen immerhin begonnen, die Vorwürfe zu untersuchen.
Bei zivilen internationalen Helfern ist die juristische Lage in der Tat gar nicht so schlecht: Im Unterschied zu UN-Soldaten genießen diese keine Immunität. Jede Straftat könnte in dem Land, wo sie passiert ist, untersucht und verfolgt werden. Aber es passiert in der Regel nichts. Nachdem bekannt wurde, dass französische Soldaten in der Zentralafrikanischen Republik Jungs sexuell ausgebeutet haben, hat es ewig gedauert, bis Paris diese Soldaten abgezogen hat und denen der Prozess gemacht wurde. In militärischen, aber eben auch in zivilen Strukturen gibt es ein massives Schweigen zu all diesen Themen. Es herrscht ein ganz großer Druck, Angst, Repression, und solche Taten werden gedeckt. #MeToo hat mittlerweile doch weltweit klar gemacht, dass das Schweigen über sexualisierte Gewalt gebrochen werden muss. Aber es ist ein langer Weg, bis sich grundlegend etwas verändert.
Abseits dieses Aufbrechens des Schweigens: Wie kann Opfern sexualisierter Gewalt vor Ort geholfen werden?
Im juristischen Sinne handelt es sich um Opfer, in unserer psychosozialen und Empowerment-Arbeit sprechen wir aber lieber von Überlebenden, um die Kräfte und eigenen Ressourcen deutlich zu machen, die diese Frauen aufgebracht haben. Wir wollen sie außerdem nicht neu viktimisieren.
Im Grunde gibt es überall Unterstützung, allerdings wird die oft dem Bedarf nicht gerecht. Denn es braucht ganzheitliche Unterstützung. Das nimmt medica mondiale gezielt in den Blick: Manche Frauen benötigen zunächst medizinische und dann natürlich auch psychosoziale Hilfe. Die brauchen alle, um überhaupt aus dem Zyklus des Schweigens rauszukommen und über das Geschehene sprechen zu können. Aber auch einkommensschaffende Maßnahmen sind wichtig, damit Frauen aus Abhängigkeitsverhältnissen rauskommen, selbst für sich und ihre Kinder sorgen können. Viele dieser Überlebenden sexualisierter Gewalt bleiben schwanger zurück, werden von der Familie und Gemeinde stigmatisiert und müssen sich alleine durchkämpfen. Zu dieser ökonomischen Perspektive gehört auch immer Aufklärungsarbeit. Schließlich soll sich nachhaltig etwas ändern.
Wir arbeiten weltweit mit lokalen Frauenrechtsorganisationen. Diese müssen besser unterstützt, oft aber auch erstmal offiziell anerkannt werden. Sie wissen um die Gewalt vor Ort, wissen, wie es den Frauen geht und kennen die Hindernisse, die die Frauen überwinden müssen, um Hilfe zu erhalten. Es ist ärgerlich, dass die UN und andere internationale Organisationen solche lokalen Frauenrechtsorganisationen oft ignorieren. Genau das Gegenteil müsste der Fall sein.
Kann präventiv vor sexualisierter Gewalt geschützt werden?
Im Grunde gibt es bereits standardisierte Strukturen zur Prävention: In Deutschland hat zum Beispiel VENRO, der Dachverband entwicklungspolitischer NGOs, Schutzkonzepte und eine gute Handreichung mit präventiven Maßnahmen entwickelt. Darin geht es um Risikoanalysen vor Ort, die Gestaltung der Personalauswahl und darum, schon bei der Einstellung ethische Richtlinien klarzumachen. Es geht aber auch darum, eine gute Feedback-Kultur zu haben, Verhaltenskodizes und Richtlinien, klare Zuständigkeiten, Schulungen und Sensibilisierungstrainings schon vor der Anreise. Das eigene männliche Verhalten muss reflektiert und es muss ein Umfeld geschaffen werden, in dem Ausbeutung nicht mehr als normal gilt.
NGOs erfahren, nicht nur wegen sexueller Übergriffe, immer wieder Kritik und die Vorwürfe, ihre Arbeit würde wenig bewirken. Ist die Arbeit verzichtbar?
Internationale Hilfsorganisationen mildern seit Jahrzehnten immer wieder die schlimmsten Folgen humanitärer Krisen. Ihre Arbeit ist unverzichtbar. Nur ist sie nicht losgelöst von patriarchalen Strukturen. Wir brauchen eine kulturelle und strukturelle Abkehr von männlichen Privilegien. Frauen müssen mehr in Entscheidungspositionen kommen und wir brauchen Männer, die sich selber auch gegen diese Machtungleichheit einsetzen. Solche Männer gibt es vereinzelt bereits. Es ist wichtig, dass die Wegschau- und Gewaltkultur endlich ein Ende hat.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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