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Macht der Technik

Der Kampf um technologische Dominanz ist auch einer um Standards und Normen.

  • Peter Schadt
  • Lesedauer: 6 Min.

Die USA und China liefern sich einen Handelskrieg, und Treiber dieses Krieges ist »das Rennen um technologische Dominanz«, so ein Papier der britischen Denkfabrik Chatham House. In dem »Technologiekrieg zwischen den USA und China gerät Europa zwischen die Fronten«, warnte kürzlich das »Handelsblatt«. Im Gegenzug hat die EU-Kommission große Teile des neuen Wiederaufbaufonds dafür reserviert, Europas »digitale Souveränität« zu erlangen oder zu verteidigen. Technik ist also offensichtlich eine Machtfrage. Wer sie beherrscht, beherrscht die anderen. Doch was ist eigentlich »technologische Dominanz« in der digitalen Sphäre?

Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, schreibt am 4. Oktober in der »FAS«: »Wer bei Schlüsseltechnologien wie der Künstlichen Intelligenz global den Ton angibt, wird in der Lage sein, wirtschaftlich, politisch und auch militärisch zu dominieren. Das Rennen um die Technologie-Vorherrschaft steht im Zentrum eines neuen globalen Wettstreits.« Was aber ist der Inhalt dieser digitalen Dominanz?

In ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union im September kündigte Kommissionschefin Ursula von der Leyen nicht weniger als ein »digitales Jahrzehnt« für Europa an. Sie forderte klar definierte Ziele für ein »digitales Europa bis 2030. Um das zu erreichen, muss Europa jetzt führen oder es wird lange anderen folgen müssen, die diese Standards für uns setzen. Deswegen müssen wir schnell handeln.«

Der Standard

Soll die Digitalisierung Europas erfolgreich sein, dann braucht es laut von der Leyen also Standards. Rein technisch ist das zunächst wenig überraschend, bedeutet ein Standard erstmal nicht mehr als eine gemeinsame Sprache der Maschinen, welche als »Internet der Dinge« zusammengeschlossen werden sollen. Ein für Endnutzer bereits bekannter Standard bei der Digitalisierung ist zum Beispiel der USB-Anschluss. Bei Ladesteckern für E-Autos hingegen herrscht noch eine Pluralität verschiedener Anschlüsse.

Von dieser Seite betrachtet sind verschiedene Sprachen und Normen für jedes einzelne Unternehmen eine Schranke seines Geschäfts und damit für die Staaten eine Beschränkung ihrer Kapitale, auf deren Wachstum sie abzielen. Kann ein E-Auto nicht an jeder Ladestation geladen werden, ist das ein Argument gegen E-Autos, und begrenzt das Geschäft für die Anbieter der Ladestationen. Also muss ein Standard her.

Um diesen Standard wird allerdings konkurriert. Einerseits von Unternehmen, welche versuchen, ihre jeweilige Sprache zur Norm auch für die anderen zu machen. In dieser Situation ist die Durchsetzung des eigenen Standards das Mittel des Unternehmens, die Konkurrenten durch »Log-in-Effekte« aus dem Markt zu drängen. Nutzer greifen dann bei Neuanschaffungen auf Produkte zurück, welche kompatibel sind mit denjenigen, welche sie bereits haben. So wird etwa der Nutzer eines I-Phones von Apple eher zum Mac-Book des gleichen Herstellers greifen, weil die Geräte gut miteinander kommunizieren.

Dass Produkte eben keinen allgemeinen Standard haben, wird so zum Mittel in der Konkurrenz der Unternehmen. Doch bleiben die Wirkungen widersprüchlich: Zum einen schützt ein eigener Standard das Unternehmen zwar vor den Wettbewerbern. Gleichzeitig aber bleiben die Absatzmöglichkeiten begrenzt, wenn das eigene Produkt nicht mit allen anderen kompatibel ist. Eine dritte Möglichkeit in dieser Konkurrenz um den Standard ist die Lizenzierung: Unternehmen versuchen, die eigene Technik für alle zur Norm zu machen, indem sie deren Benutzung prinzipiell erlauben - gegen Entgelt versteht sich.

Die Konkurrenz nach außen

Der Widerspruch der Unternehmen wiederholt sich auf staatlicher Ebene. So setzt sich die Bundesregierung zum Beispiel seit Jahren dafür ein, dass der europäische Binnenmarkt gemeinsame Regeln für den Datenschutz hat. Davon profitieren Europas großen Kapitale, welche nun ihre Produkte und Dienstleistungen europaweit ohne Änderungen anbieten können. So wird ganz Europa zu einem riesigen, einheitlichen Absatzmarkt, auf welchem sich die größten - und damit vor allem die deutschen - Kapitale durchsetzen. Umgekehrt werden europäische Datenschutzregeln regelmäßig so gestaltet, dass es den US-Internetgiganten schwerfällt, sie einzuhalten. Das ist kein Zufall. Selbstkritisch gesteht von der Leyen in ihrer Rede ein, dass bei den personalisierten Daten »Business to Consumer« die USA vorne liegen. Standard also ja - aber eben dort, wo der Standard europäisches und nicht amerikanisches Kapital voranbringt.

In diesem Widerspruch bewegt sich die aktuelle Konkurrenz um digitale Dominanz. Einerseits sind verschiedene Standards für jeden einzelnen Staat eine Schranke ihrer Unternehmen. Insofern ist es für alle ein Gewinn, wenn ein gemeinsamer Standard verwendet wird. Umgekehrt wird der je eigene Markt auch für fremdes Kapital geöffnet, wenn gemeinsame Standards gelten. Es geht also nicht einfach nur darum, dass die verschiedenen Techniken kompatibel sind. Es geht vielmehr darum, wessen Kapital welche nationalen Märkte erobert.

Oder um es in den Worten der Präsidentin der Europäischen Kommission zu sagen: Es geht darum, wer folgt und wer führt: »Wir wollen den europäischen Weg ins Digitalzeitalter gehen - basierend auf unseren Werten, unserer Stärke und unseren globalen Ambitionen.« Mit dem dritten Platz hinter den USA und China gibt sich der Staatenbund nicht mehr zufrieden. Hinter dem offiziellen Ziel, sich technologisch gegen die Konkurrenz zu behaupten, steckt der Anspruch auf weltumspannende Dominanz, zumindest in einigen Feldern. Noch einmal Michael Roth dazu: »Europa darf sich beim globalen Rennen um die Tech-Vorherrschaft nicht mit einem Platz auf der Zuschauertribüne begnügen, sondern muss selbst digitale Gestaltungsmacht sein. Ansonsten droht ein Ausverkauf europäischer Selbstbestimmung.« Digitale Souveränität, soviel ist den Ausführungen aus dem Auswärtigen Amt allemal zu entnehmen, ist der Anspruch, die eigenen Tech-Giganten fremde Märkte erobern zu lassen statt selbst erobert zu werden.

Zum Beispiel bei Industriedaten, hier liege Europa in Führung: »Wir haben die Technologie, und wir haben vor allem die Industrie.« Hier verschweigt von der Leyen ein kleines, aber nicht unwichtiges Detail. Immerhin hat Europa nicht nur die gemeinsame Konkurrenz nach außen, sondern auch die innereuropäische Konkurrenz. »Unsere Industrie« ist aus deutscher Perspektive schließlich die heimische Industrie, deren Wachstum schon in der Vergangenheit auf Kosten der Industrie im Rest Europas ging. Das reicht von der Fleisch- bis zur Autoindustrie. Dass Deutschland Exportweltmeister ist, geht eben nicht nur auf Kosten der US-amerikanischen und chinesischen Konkurrenz, sondern ist auch seit Jahren Streitpunkt innerhalb der Union.

Das ist Deutschlands sehr exponiertes Interesse, wenn es »die nationale Kleinstaaterei überwinden und den europaweiten Wildwuchs an Programmen und Strategien in einer gemeinsamen Politik bündeln« will, wie es Staatsminister Roth ausdrückt. Diese gemeinsame Politik entfaltet innerhalb der Union mit den DIN- und Iso-Normen als Standards jedoch eine widersprüchliche Wirkung. Die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes hat einerseits große europäische Kapitale geschaffen, welche gegenüber der USA und China Konkurrenzfähig sein sollen. Ob das allerdings auch von denjenigen Nationen als Erfolg gewertet wird, deren nationale Ökonomie im Wettbewerb auf einen Absatzmarkt für deutsche Unternehmen reduziert wurde, mag bezweifelt werden.

Die Konkurrenz nach innen

Wo andere Nationen überhaupt noch auf ein eigenes Interesse bestehen, das nicht identisch ist mit dem deutschen Interesse, handelt es sich dann aus dieser deutschen Perspektive um den »Wildwuchs«, der endlich »überwunden« werden muss. Man hat Großmacht-Ambitionen, denen gegenüber »nationale Kleinstaaterei« nun wirklich ganz unpassend ist.

Von dieser Konkurrenz nach innen muss abgesehen werden, wenn von der Leyen davon spricht, »Europa mehr Kontrolle über seine Zukunft« zu geben. Immerhin ist es gerade die deutsche Setzung von Standards in der Industrie, welche die meisten anderen europäischen Staaten in die deutsche Hegemonie gezwungen hat. Das Gegenteil von mehr Kontrolle über die eigene Zukunft. »Es geht um Europas digitale Souveränität« meint nichts anderes, als die Konkurrenz der Nationen für sich zu entscheiden und anderen Nationen die eigenen Standards aufzuherrschen statt umgekehrt. Das gilt sowohl für die EU als Ganzes gegen die USA und China als auch für Deutschland innerhalb der Union.

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